THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 04 - 2014 GESELLSCHAFT 21.01.2014

 

Der Feind steht links

Holocaust-Gedenkjahr in Ungarn: Marx für Genozide im 20. Jahrhundert verantwortlich

Die politisch-ideologische Instrumentalisierung der amtlichen Holocaust-Gedenkshow wird immer offensichtlicher. Die Regierung setzt dazu fast täglich deutliche Zeichen. Mal subtil, mal plump, immer aber Richtung Farce.Der Premier gedachte betont würdig der Vertreibung der Ungarndeutschen, sandte aber zum Gedenken an die jüdischen Ghetto-Opfer nur niedere Chargen. Während sich jüdische Verbände über die Verhöhnung von Holocaust-Opfern seitens eines Offiziellen empören, zeigt die Regierung, wo der wahre Feind steht: nämlich links. Die Ablenkung von der Tagespolitik scheint willkommen.

Marx soll aus der Corvinus-Wirtschafts-Uni verschwinden, wünscht sich die Regierungspartei, wegen dem, “was aus seinen Ideen entstand.” Wann verschwindet dann Jesus aus den Kirchen?

Mehr zum Thema in:
Wer ist hier das Opfer?
Funktionaler Antifaschismus: Ungarn und die große Holocaust-Gedenkshow 2014

Die Staatsspitze, Präsident und Premier, führten am Montag eine Konferenz der "Freunde Ungarns" im Präsidentenpalast durch. Dazu versammelte man eine ganze Reihe von im Ausland bekannten oder tätigen "Exil"-Ungarn, Wissenschaftler, Künstler, Geschäftsleute (nicht wenige davon, sind in Ungarn selbst sehr gut dotiert tätig) und schmierte ihnen Honig ums Maul. Deren Mission, laut Orbán, sei es, "aktuelle und objektive Informationen über Ungarn zu verbreiten" und den Ruhm Ungarns in der Welt zu mehren, in dem man die "außerordentlichen Leistungen der Ungarn" aufzeichnet und verbreitet. - Ebenfalls am Montag gedachte Staatspräsident Áder - einmal mehr - den "Märtyrern von 1956", bereits am Wochenende reiste Premier Orbán nach Baja, für eine Gedenkveranstaltung zur Vertreibung der Ungarndeutschen. Diese nutzt er vor allem, um sich vehment gegen Kollektivschuldthesen zu wehren. Nicht nur ein Beobachter hatte das Gefühl, dass Orbán damit weniger die ungarndeutschen Opfer als die "ungarische Nation" in summa meinte.

Dagegen ließen sich von Regierungsseite beim traditionellen Gedenken an die Befreiung und die Opfer des Budapester Ghettos (69. Jahrestag) am ehemals jüdischen Viertel und der Großen Synagoge in Budapest am Freitag nur ein Staatssekretär, ein Fidesz-Bezirksbürgermeister sowie Ex-Premier Boross (1993/94, für 2014 als nationaler Gedenk- und Kranzabwurfbeauftragter reanimiert) blicken. Mehrere Oppositionspolitiker, darunter Oppositionsführer Mesterházy, diplomatische Vertreter, u.a. der Nuntius des Vatikans und der Botschafter Israels waren anwesend, weiterhin der Chef des Jüdischen Weltkongresses Lauder und ungarische Gemeindevertreter, das Oberrabbinat sowie einige Überlebende des Holocaust an ungarischen Bürgern jüdischen Glaubens bzw. Herkunft. Der israelische Botschafter, Ilan Mor, stellte in seiner Ansprache u.a. klar, dass die "Ankunft der Sowjetsoldaten die Rettung vor der Nazihölle bedeutete", ein "historischer Fakt, der nicht geleugnet werden darf." Mor warnte vor "Versuchen, die Geschichte umzuschreiben."

Apropos umschreiben: Der Dachverband der Jüdischen Organisationen in Ungarn, Mazsihisz, hat der Regierung mit dem Austritt aus den gemeinsam geplanten Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenkjahr gedroht, sollte sie den Veritas-Institutsleiter nicht ablösen, der die Deportation von bis zu 20.000 Juden an die deutschen Nazis und ukrainische Paramilitärs (Staatschef war damals das Unschuldslamm Miklós Horthy) als "fremdenpolizeiliche Maßnahme" bezeichnete.
Hier mehr dazu.

Die linke Partei DK bezeichnete die Äußerung des Militärhistorikers Sándor Szakály, dessen Institut maßgeblich die interpretatorischen Vorgaben für das offizielle Holocaust-Jahr verantwortet, als "Holocaustleugnung". Damals wie heute musste klar sein, dass die "Ausweisung" zum gewaltsamen Tod dieser Menschen führen musste. Szakaláy entschuldigte sich im Fernsehen dafür, "falls er Menschen weh getan habe", seine Einschätzung "könnte womöglich nicht ganz richtig" gewesen sein.

Das von der Regierung gerade erst installierte "Wahrheitsinstitut" soll die Geschichte Ungarns "von 1867 bis 1990" interpretieren, wobei darauf zu achten ist, dass die Horthy-Ära reingewaschen und Ungarn als Opfer darzustellen ist. Der Name "Veritas" stellt so eine Freudsche Parallele zum Orwellschen "Wahrheitsministerium" dar.

Während sich Historiker, Künstler und Intellektuelle über den
durchgesickerten Entwurf (Adler gegen Engel) zum amtlichen "Okkupationsdenkmal" auf dem Freiheitsplatz (gegenüber dem sowjetischen Befreiungsdenkmal, das damit auch zu einem Okkupationsdenkmal uminterpretiert wird) die Haare raufen, versucht die Fidesz-Anhängselpartei KDNP die Debatte umzulenken.

 

In einem offenen Brief der KDNP-Jugendorganisation IKSZ, unterstützt vom Vizeparteichef und Staatssekretär Bence Rétvári, fordern die "Christdemokraten" just hinein in die Holocaust-Relativierungsdebatte die Abmontage der Statue von Karl Marx aus der Eingangshalle der Corvinus Universität (siehe Foto) in Budapest (frühere Karl Marx Wirtschaftsuni). Es sei "nicht hinnehmbar, dass Marx, der offen antisemitische und rassistische Sichtweisen vertrat, in Ungarn eine Statue hat...", er sei der "Vater der kommunistischen Idee", die "später für Diktaturen eingesetzt wurde", "seine Ansichten sind im 21. Jahrhundert inakzeptabel", Rétvári ergänzte, dass man Marx, genauso wie zuvor die Büste Georgij Dimitrovs (die ebenfalls auf dem Gelände stand) zum Statuen-Park am Stadtrand verfrachten solle, denn Marx´ Ansichten, "und was daraus wuchs, bereiteten den Boden für die unmenschlichen Diktaturen und Genozide des 20. Jahrhunderts." Wann, aufgrund dieser Begründung die Namen A. Einstein, E. Teller, R. Wagner, N. Macchiavelli, J. v. Nazareth u.v.a.m. aus dem öffentlichen Leben getilgt werden, teilte der Staatssekretär nicht mit.

Budapest und Ungarn erleben seit 2010 eine wahre Umbenennungswelle, wobei nicht nur historische "Altlasten" entsorgt, sondern ideologisch passende Gestalten wie Ronald Reagen, Papst Johannes Paul II. sowie - auf lokaler Ebene - auch Miklós Horthy und Co. zu neuen Ehren kommen. Revisionistische Trianon-Denkmale sind mittlerweile fast überall im Land Standard. Die Akademie der Wissenschaften hatte im Regierungsauftrag einen Zensurkatalog für die Benennung von öffentlichen Plätzen vorgelegt.

Mehr zum Thema Geschichtsrevisionismus etc. in:
Wer ist hier das Opfer? Funktionaler Antifaschismus: Ungarn und die große Holocaust-Gedenkshow 2014
http://www.pesterlloyd.net/html/1401holocaustgedenkjahr.html

Mehr zur Vernaderung von Regierungs- und Extremistenideologie
Ungarns brauner Sumpf
Parteien zur Wahl in Ungarn. Teil 1: Jobbik
http://www.pesterlloyd.net/html/1404parteienzurwahljobbik.html

Mehr zur Problematik Antisemitismus, samt regierungsseitiger "Ausrutscher" hier http://www.pesterlloyd.net/html/1318vordemwjc.html

red.

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