THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 05 - 2014 POLITIK 27.01.2014

 

Ungarns grüne Jungfer

Parteien zur Wahl in Ungarn. Teil 2: LMP

Die grün-liberale Partei hielt am Wochenende ihren Wahlparteitag ab: das Dogma der Bündnisverweigerung bleibt bestehen, man riskiert damit vier weitere Jahre Orbán und das eigene parlamentarische Aus... - "Politik kann anders sein", dafür steht der Parteiname "Lehet Más a Politika" der LMP seit 2009. Schmerzhaft lernt sie, dass auch sie nicht auf einem politischen Ponyhof lebt...

Parteien zur Wahl in Ungarn. Teil 1: Jobbik

Bei dem zweitägigen Wahlparteitag der LMP in Budapest wurden u.a. die 106 Kandidaten für die Direktwahlbezirke gewählt. Mit 22 Kandidatinnen, also rund 20%, stellt die Partei den höchsten Frauenanteil unter allen Parteien. Schon das macht sie anders. Schwerpunkt des Delegiertentreffens war auch die Ausgabe griffiger Wahlkampfparolen, ohne dabei in die dumpfe Schlammschlacht der großen Blöcke zu verfallen. Doch ohne klare Slogans und Stichworte, lässt sich im radikalisierten wie banalisierten Wahlkampf der Links- und Rechtsblöcke kaum die notwendige Aufmerksamkeit erscheischen. Es sind nur die "Brot- und Butter"-Argumente, die das Volk bewegen, stellte MSZP-Chef Mesterházy kürzlich fest - und zog daraus seine Konsequenzen...

THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Demokratie funktioniert nicht ohne Bürgerbeteiligung

Die LMP will diesem vermeintlichen Zwang zur Demagogie nicht folgen, redet aber dennoch Klartext: Die letzten 25 Jahre hätten sich die "politischen Eliten des Landes prächtig amüsiert" und das Land "ausgeraubt", resümiert Co-Parteichef András Schiffer. 2010 hatten die Menschen von der Selbstbedienungsmentalität ihrer Politiker die Nase voll und wählten mit Fidesz und Orbán eine Kraft an die Macht, die ihnen große Versprechungen gab. Doch die Regierung der letzten vier Jahre hat die "falsche Antwort auf die Krise in Ungarn" gegeben, man habe die falsche Richtung beibehalten, nur die "Fehlentwicklungen noch intensiviert und ins Extrem getrieben."

Schiffer betonte das größte Manko der heutigen ungarischen Gesellschaft: dass eine Demokratie nicht stark sein kann, wenn die Bürger nicht an ihr mitwirken. Weil sie nicht wollen bzw. nicht sollen. Die LMP sei die einzige Kraft, die diese Mitwirkung wirklich als Kernpunkt ihrer Politik sieht. Außerdem sei sie auch die einzige Partei, die nachhaltige Pläne für langfristige Ausgabenreduzierung und die Stärkung der heimischen Wirtschaft vorweisen könne, so Schiffer. Weitere eigenständige Schwerpunkte der LMP-Programmatik lauten: gründliche, nachhaltige Energiewende, kein Ausbau der Atomkraft, dafür Entwicklung erneuerbarer Energien; Öffnung und Auswertung aller Stasiakten (hat E2014 übernommen), Stärkung der direkten Demokratie.

Von der Überraschungspartei 2010 zum Fidesz-Wahlhelfer 2014?

Die LMP war 2009, aus Anlass der damaligen Europawahlen aus vielen kleinen Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen gegründet worden, sie erreichte nicht ganz 3%, wurde aber bei der "Abrechnungswahl" 2010 zu der Überraschung. Sie profitierte von dem Unwohlsein liberal und moderat konservativ gesinnter Menschen, die überfällige Abwahl der MSZP zu einem alleinigen Triumphzug von Orbáns Fidesz zu machen. Dieser wurde es nichtsdestotrotz, dennoch erhielt die LMP respektable 7,5% der Stimmen und darf bzw. muss sich hinsichtlich ihrer Ahnung Orbán betreffend 2014 mehr als bestätigt fühlen.

Seitdem bemühen sich die Co-Parteichefs András Schiffer und Bernadett Szél im mühsamen Wechselspiel einer auch innerlich demokratisch agierenden Partei und dem schwierigen Ego ihrer Protagonisten, um die Besetzung von Themen, die dem Anspruch grün-liberal, bei einer Spannweite von entspannt links bis moderat konservativ, genauso gerecht werden, wie dem selbst auferlegten Dogma, ja keinem der Großblöcke Fidesz oder MSZP+weitere zu nahe zu kommen.

Die Verweigerung von Zweckbündnissen führt so weit, dass die LMP schon früh ein taktisches Wahlbündnis mit der linken Wahlallianz verweigerte, um ihre Reputation als unabhängige Kraft, die nur für den Bürger arbeitet, nicht aufs Spiel zu setzen. Dass man so die Wiederwahl Orbáns begünstigt, nimmt man offenbar in Kauf. Denn eine zusätzliche Konkurrenz im linken Spektrum ist, bei der am 6. April nur notwendigen relativen Mehrheit in den Direktwahlbezirken, eine direkte Hilfe für den Regierungskandidaten, denn im rechten Bereich herrscht Hegemonie - bzw. wird sie notfalls hergestellt.

Die LMP und die Linke: kein Sex vor der Ehe, aber Petting mit Nazis?

Was ist wichtiger für Ungarn? Die möglichst baldige Ablösung Orbáns und seiner Nomenklatura oder zunächst das Ringen um eine saubere Politikalternative, die dieser Ablösung auch dadurch einen Sinn gibt, dass nicht die Verursacher seines Aufstieges, also die Mesterházy-Gyurcsány-Bajnai-Allianz wieder zur Politik von vor 2009 zurückkehrt? Diese Frage ließe sich nur beantworten, wenn man der LMP irgendwann die Regierungsfähigkeit zutraut. Doch dafür fehlt ihr der Mut zur Plattheit und Demagogie, kurz: diese Partei agiert einfach zu intellektuelle für eine Massenwirkung, sie ist sozusagen: für die Macht zu klug. Oder doch nicht? Kritiker werfen Schiffer eine Egoshow im Kleide des Dissidenten vor, der auch nicht davor zurückschrecke, interne Konkurrenten mit Intrigen mundtot zu machen. Also doch eine ganz "normale" Partei?

Bernadett Szél und András Schiffer

András Schiffer, der durchaus egozentrische Kopf der Partei, sendet dabei immer wieder gemischte Signale aus: während er Orbáns Oligarchenstadl bei jeder Gelegenheit verdammt, den Abbau von Bürgerrechten anprangert, sich mit Petitionen, Referenden und Interpellationen gegen die Gleichschaltung oder Auflösung demokratischer Kontrollinstanzen wehrt, verweigert er sich natürlichen Bündnispartnern. Nicht nur aus der o.g. hehren Absicht politisch-moralischer Reinheit, sondern auch aus Angst vor Konkurrenz und Verlust des "Alleinstellungsmerkmals". Doch sah man ihn immer wieder auch in entspannter Plauderei mit Abgeordneten der Neonazis von Jobbik. "Um Orbán abzulösen, würde ich sogar mit dem Teufel paktieren", begründet er diese Begegnungen. Aber erst nach der Wahl, nicht davor. Kein Sex vor der Ehe, sozusagen. Aber Petting mit Nazis? Kürzlich trat er mit dem aus Fidesz ausgetretenen Ex-Staatssekreträr Ángyán vor die Kameras, um gegen die regierungsseitige Unterdrückung der Aufklärung von Steuerbetrügereien mobil zu machen. Ángyán vertritt aber z.B. bei der “Bodenreform” mittlerweile immer mehr die Jobbik-Linie.

Abspaltung der Dialogbereiten setzt Existenz aufs Spiel

 

Diese in mehrfacher Hinsicht "andere Politik", die bemühte politische Jungfräulichkeit, hatte Folgen und der Wahlparteitag am Wochenende hatte daher nicht nur praktische Fragen zu lösen, sonder musste auch eine tiefe Wunde heilen: Genau vor einem Jahr spaltete sich die Partei, trat knapp die Hälfte der LMP-Abgeordneten um die jungen Aktionisten Benedek Jávor und Timea Szabó aus der Fraktion und der Partei aus, Dutzende Anhänger folgten. Die Gruppe schloss sich als neue Partei "Dialog für Ungarn" zusammen und im Herbst der Mitte-Links-Allianz "Gemeinsam 2014" von Ex-Premier Bajnai an. (Sie ist somit nun Teil des linken Oppositionsbündnisses "Einigkeit" aus MSZP, DK, E2014 und Fodor-Liberalen, dazu in der kommenden Wochen mehr.) Es war der Teil der LMP, der die Ablösung Orbáns vor alle anderen Überlegungen stellt.

Die Rumpf-LMP bangt nun um den Wiedereinzug ins Parlament, das Überspringen der 5%-Hürde wird nicht leicht, nach unserer Einschätzung - im Gegensatz zu den meisten ung. "Meinungsforschungsinstituten" - aber gelingen, was auch der Grund ist, die LMP - noch - nicht unter den "Sonstigen" aufzuführen.

www.lmp.hu

red. / m.s.

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