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(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   POLITIK 14.02.2014

 

Hausmeister Laci hat alles im Griff...

Saisonende im Staatszirkus: Highlights aus vier Jahren Parlamentsarbeit in Ungarn

Am Donnerstag fand die letzte Parlamentssitzung der aktuellen Legislaturperiode statt. Parlamentspräsident Kövér freut sich über einen Weltrekord, zwei Rechtsaußen werfen EU-Flaggen aus dem Hohen Haus und die Regierungsmehrheit schreibt den künftigen Abgeordneten vor, wie sie zu arbeiten haben. Hat sich das Parlament endgültig zur Abstellkammer der Demokratie in Ungarn erniedrigt? Hausmeister Laci sieht das anders und sich als Garant der Freiheit des Parlamentarismus, - der Narrenfreiheit.

László Kövér, Fidesz-Gründer, Wahlkampfleiter und oberster Hausmeister des Parlamentes.

Rekorde für die Ewigkeit

Eine ganze Verfassung, fünf Verfassungsänderungen an selbiger und 859 Gesetze wurden seit Mai 2010 in Ungarn neu beschlossen oder grundlegend geändert, 280 oder rund 50% mehr als in der vorherigen Legislaturperiode. Der schillernde Parlamentsspräsident, László Kövér, nannte das einen "Weltrekord" und sagte das ohne Ironie, mit offenem Stolz. Immerhin ist auch das Parlamentsgebäude selbst ein Weltrekord: nirgendwo gibt es so viel Stein und umbauten, beheizten Raum für so wenige Bürger. Ein Weltrekord der heißen Luft, sozusagen.

21 Beschlüsse sandten die seit 2010 amtierenden Präsidenten (es waren derer Drei, Sólyom auslaufend, Schmitt abschreibend, Áder) ans Parlament zurück, 24 waren es davor. Während unter den Sozialsten jedoch 19 Reklamationen zur gänzlichen Stornierung bzw. grundsätzlichen Überarbeitung der Vorhaben führten, konnten 20 der 21 beanstandeten Fidesz-Gesetze mit marginalen Änderungen doch noch in Kraft treten.

Unter der sozial-liberalen Vorgängerregierung schafften es noch 15 Gesetzentwürfe und 12 Resolutionen der Opposition, die Regierungsmehrheit zu überzeugen, in dem jetzt zu Ende gehenden Zyklus waren es noch zwei bzw. drei. - Was in der amtlichen Statistik fehlt, sind die vielen Fälle von Gesetzen, die allein aufgrund missliebiger Gerichtsurteile gefällt wurden, womit man nicht nur die Judikative an sich kalt stellte, sondern die Arbeit der Gerichte selbst auch direkt einschränkte. Hier ein Beispiel von vielen.

Auch die Zahl der Gesetze und Bestimmungen, die über Kardinalsgesetze praktisch für die Ewigkeit gemacht wurden, ist bemerkenswert, Drei Dutzend “Kardinalsgesetze” kennt das Land, die pratisch alle wichtigen Agenden, von der Bildungspolitik bis hin zum Einkommenssteuersatz, somit auch die Tagespolitik kommender Regierung an die Kette einer 2/3-Mehrheit legen. Wie brachial und schamlos man dabei auch rechtsstaatliche Normen und Grundrechte aushebelte, das war wirklich rekordverdächtig. - Aber Schwamm drüber, sagen Merkel, Steinmeier, EU usw...

Unser Reporter berichtete 2012 einen ganzen Tag lang aus dem Parlament, seine Eindrücke können Sie hier nachlesen.

Hinter verschlossenen Türen: Altes Parlament bestimmt Regeln für neues Parlament

Da im neuen Parlament nur noch 199 statt wie heute 386 Mandatsträger zu finden sein werden, glaubte die Regierungspartei, noch am letzten Arbeitstag den neuen Volksvertretern eine neue Geschäftsordnung vorsetzen zu müssen. Diese solle, so Parlamentspräsident Kövér, die Arbeit des Parlamentes "effizienter" gestalten: > die Anzahl der Sitzungstage wird radikal reduziert, um etwa ein Drittel und in Blöcken zu drei Wochen zusammengefasst, damit "die Abgeordneten mehr Zeit haben, sich um ihre Wahlkreise zu kümmern". > Gesetzesentwürfe wandern nun direkt in die zuständigen (von der Regierungspartei dominierten) Ausschüsse, allfällige Änderungsanträge werden von einem dem Plenum vorgeschalteten Legislativausschuss abgehandelt, so dass in den Sitzungen selbst nur noch eine formale Debatte (mit gekürzten Redezeiten) und die Gesamtabstimmung über das Paket stattfinden muss und das Volk mittels Fernsehübertragung nicht mehr mit zu vielen Details belastet wird. Die Ausschussitzungen finden grundsätzlich hinter verschlossenen Türen statt. So sollen “unnötige Debatten” vermieden werden.

Die Regierung bestimmt, was eilig ist...

Kövér beließ es nicht nur bei dieser weiteren Marginalisierung der parlamentarischen Debatte und Einschränkung der Transparenz von Entscheidungsfindungen. Er machte sich auch noch über die Opposition lustig: diese hätte mit ihrer Kritik an der Vielzahl von Eilanträgen, Dringlichkeitsgesetzen und Last-Minute-Änderungen, die von den Regierungspartei inflationär eingebracht wurden, völlig Recht. Daher wird in "in Zukunft die Regierung festlegen, welche Gesetzentwürfe im Eilverfahren" absolviert werden. Bereits zuvor hatte der Parlamentspräsident bedauert, dass das Parlament sich mit viel zu vielen gesetzlichen Details befasse. Das muss doch nicht sein und hält nur auf, er strebe daher ein System an, in dem das Parlament zwar noch grundsätzliche Gesetzesvorhaben beschließe, "die Umsetzung und die Details aber durch Regierungsdekrete" umgesetzt werden sollten. Das Parlament stört sonst die Regierung.

Der Jobbik-Abgeordnete Tamás Gaudi-Nagy griff sich die EU-Flaggen, sein abtrünniger Mitnazi Lenhardt von der “Ungarischen Morgenröte” wollte nicht nachstehen. Niemand hielt sie auf, kein Parlamentarier, kein Saaldiener, keine Parlamentsgarde...

Opposition soll sich mehr beteiligen, aber auch mehr die Klappe halten...

Kövér wünscht sich aber dennoch "mehr Beteiligung" der Opposition, die sich mit dem Fernbleiben von der Debatte über die neue Verfassung seiner Meinung nach demaskiert habe. Eine Verfassung übrigens, die von nur einer Partei geschrieben und abgesegnet wurde. Das ist vielleicht kein weiterer Weltrekord, reicht aber doch für die Play offs in einer sehr absonderliche Liga von "Republiken".

Überhaupt, die Opposition: die könnte sich in der nächsten Legislaturperiode wirklich "etwas ruhiger artikulieren". Den EU-Flaggen-Rausschmiss seitens zweier Neonazis gestern nannte er genauso eine "Idiotie" wie die Sirenen-Aktion der Grünen gegen den Atomdeal. Immerhin haben sich die Nazis gebessert, früher haben sie diese Fahnen noch angezündet... - Diese Parteien, so Kövér, erfreuen sich eben kaum eines Rückhaltes in der Bevölkerung, nur durch derart asoziales Verhalten könnten sie auf sich aufmerksam machen. Strafgelder von mehreren tausend Euro sind die Folge, notfalls droht der Ausschluss von einigen Sitzungstagen. Die Kurse an der Kövérschen Bußgeld-Börse schwanken wie die Demokratie in Ungarn: lautes
Sirenengeheul gegen AKW-Ausbau kostete neulich knapp 3.000 EUR, die Registrierung von Juden zu fodern, war schon für  170.- EUR zu haben.

László Kövér 2010 und 2103

“Sternstunden”: Zoten, Judenliste und Prügel-Józsi

Weitere Verhaltensauffälligkeiten im Parlament der letzten vier Jahre verschwieg Kövér in seinem Resümée: die fast täglichen Zoten von Regierungsabgeordneten gegen weibliche Kollegen der Opposition, die ebenfalls meist ungeahndeten rassistischen Wortmeldungen der Jobbik-Nazis und ihrer "unabhängigen" Kollegen, die zögerliche Reaktion des Präsidiums auf die Forderung nach einer "Judenliste". Dass fast alle Debatten im Hause nur noch respektlose Propaganda- und Worthülsentauscherei zwischen Regierungs- und Oppositionsblock ist, gut, das wusste man schon länger. Auch dass die Regierungsfraktion ein halbes Jahr einen Mann in ihren Reihen duldete, der seine Frau krankenhaus geprügelt hatte, ging in Kövérs gestrigem, bilanzierenden Radiointerview unter. Immerhin, der Prügel-Józsi schrie wenigstens nicht unzivilisiert im Plenum herum. Und das ist es, was einen Hausmeister interessiert.

Geisterbeschwörung unter präsidialer Aufsicht

Es gibt nicht wenige, die glauben, Parlamentspräsident László Kövér, der so ganz nebenbei auch Wahlkampfleiter des Fidesz ist, wolle den Parlamentarismus am liebsten ganz abschaffen, das Hohe Haus, dessen berühmter Vorplatz nach Regierungsbeschluss gerade mit vielen, vielen Millionen auf "den Stand von 1944" dekonstruiert wird, was auch die Extraktion von Denkmälern des 1. Präsidenten der 1. Republik und eines Armendichters notwendig werden ließ, dieses Hohe Haus sei eigentlich nur noch die erste Spielstätte des Ungarischen Staatszirkus` und Kövér dessen Impresario mit passendem Zirkusdirektorenbart. Auch der Auftritt eines fernöstlichen Schamanen, der - mit präsidialer Genehmigung - um die Goldene (Zirkus)-Krone (Herabwürdigung der Heiligen Krone bringt 1 Jahr Gefängnis) tanzte und trommelte, um die "guten Geister" zu beschwören, war so Manchem ein Hinweis auf die Wandlung des Legislativzentrums in ein Kuriositätenkabinett zur maximalen Volksbelustigung oder - je nach Einstellung - -verarschung.

Parlamentsgarde als bewaffneter Garant des Parlamentarismus?

Diese Einschätzung ist aber ganz falsch. Immerhin hat sich Kövér persönlich dafür eingesetzt, dass eine 400köpfige Parlamentsgarde geschaffen, mit 100.000 Schuss aufmunitioniert und in der Verfassung verankert wurde. Diese Truppe in prächtigen Operettenuniformen, die irgendwie auch an den Parlamentsvorplatz (1944) erinnern, steht optimalerweise unter seinem Befehl, er persönlich also wacht über die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes, ist damit ein Garant der Demokratie. - Im Gegensatz dazu, “würden die Sozialisten wieder auf uns schießen, wenn sie könnten.” Kövér könnte, aber er würde nicht... Probeweise kümmerte sich diese Garde bisher mehr um die Ruhe außerhalb als innerhalb des Parlamentes, aber das sind Abstimmungsfeinheiten, das wird schon noch...

Auch andere Leistungen vollbrachte Kövér, die in die Geschichtsbücher eingehen sollten (die ja nun auch Fidesz selbst schreibt) und gar nicht oft genug gewürdigt werden können: Unsere Leser erinnern sich mit heiligen Schauern an die mit Parlamentsmitteln finanzierte Exhumierungsfeier eines Pfeilkreuzlerpolitikers in Rumänien, auf der Kövér sprach und sagte, dass das "Vorbild in uns lebe". Dafür wurde er von der Knesset zur persona non grata erklärt, denn, so meinte man in Jerusalem, man könne nicht "gleichzeitig Wallenberg und Nyirö ehren".

 

In Ungarn kann man das. Kövér kann sogar noch viel mehr: Überall wo Ungarn leben, ist für mich Ungarn, das ist sein Credo. Und so ließ er nicht nur einmal die Fahne der Székler (die allerungarischsten aller Ur-Ungarn, die in Rumänien bis heute in Knechtschaft leben müssen) vom ungarischen Parlament wehen und erklärte die Slowakei "geistig, kulturell und historisch als zu Ungarn gehörig". Dabei will er - im heutigen Europa - "die Einheit der Nation ohne Rücksicht auf die Grenzen" wiederherstellen. Friedlich, versteht sich, obwohl man in den Neunzigern als die Slowaken beim Staudammbau illegal die ungarischen Landesgrenzen verschoben hatten, "auch mit Waffengewalt hätte vorgehen können."

Die Slowaken, die Rumänen wie die Ungarn können also froh sein, dass wir mit unserem Hausmeister Laci einen derart moderaten, verantwortungsvollen Wächter der Scheindemokratie und Narrenfreiheit an der Parlamentsspitze haben und nicht etwa einen durchgeknallten Scharfmacher. Und die Israelis sollten sich gar nicht so weit zum Balkon herauslehnen. Denn Ungarn, liebe Knesset, baut vielleicht Medienzentren, Parteibüros, Klosterschulen, Campingplätze und viel Mist in seinen Nachbarländern, aber (noch) keine Siedlungen! Apropos: wie viele Ungarn leben eigentlich in Israel?

red. / ms.

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