THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 10 - 2014   WIRTSCHAFT 07.03.2014

 

Nationale Korruptionsmeisterschaften

Wahlkampf in Ungarn: Unseren täglichen Skandal gib uns heute...

Der Wahlkampf in Ungarn geht seinen erwartbaren Gang. Die Claims zwischen dem rechten Regierungslager der linken Oppositionsallianz sind lange abgesteckt. Orbánistan vs. EU-Kolonie, das soll die Alternative zu sein. Jetzt geht es im täglichen Grabenkrieg nur noch darum, den Kontrahenten möglichst im Stundentakt madig zu machen. Die Vorwürfe zu Korruption und Machtmissbrauch treffen dabei eigentlich immer die Richtigen. Ein Überblick.

Linke Mafia gegen rechte Mafia. Oben ein Plakat einer fidesz-treuen “Bürgerbewegung”,
unten die Antwort der MSZP. Aktuelle Plakate aus dem ungarischen Wahlkampf.

Politisch ist alles gesagt, was das Volk wissen muss: Fidesz hat Ungarn als Nation und Wirtschaft wieder aufgebaut, während die Linke als Vasallen der Multis und der Ostküste (hüstel) die ungarischen Familien attackieren und dem neuen Moskau ausliefern. Die Linke wiederum weiß, dass die Regierung das Land und dessen Ruf ruiniert und die jungen Leute ins Ausland treibt, sich außerdem schamlos bereichert, während sie - die Linke - eine neue prosperierende, zur Abwechslung mal demokratische und europäische Republik gründen wird. Es geht um Orbánistan oder EU-Kolonie. Noch Fragen?

Im dazugehörigen Wettstreit des gegenseitigen Madigmachens liefern sich Rechts und Links gerade ein halbspannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Das ist auch sehr bequem: den anderen schlecht zu machen, erspart einem die Mühe, seine eigene Güte erklären zu müssen. Ein kleiner Überblick mit aktuellen und weiter zurückliegenden Highlights der ungarischen Korruptionsmeisterschaften.

Aufschlag für Zuschlag

Aktuell kam zu Tage, dass der Anfang 2010 - noch unter der Vorgängerregierung - zu 8 Jahren Haft wegen illegaler Parteinfinanzierung, Untreue und Bestechlichkeit
verurteilte Ex-MSZP-Funktionär János Zuschlag von seiner Partei eine Abfindung in Höhe von 50 Mio. Forint (ca. 180.000 EUR) erhalten hatte, damit er die Partei verlässt und kein schlechtes Licht auf den Vorsitzenden, den damaligen Premier Gyurcsány wirft. Zuschlag war vor wenigen Monaten aus der Haft entlassen worden (nach eineinhalb Jahren U-Haft und ca. 4 Jahren regulärer Haft). Mit ihm waren damals ein gutes Dutzend weitere Funktionäre verurteilt worden. Zuschlag hatte öffentliche Mittel in Höhe von rund 400.000 EUR auf Parteikonten und für eigene Zwecke umgeleitet. In dem Schweigegeld sieht die Regierung eine Bestätigung dafür, dass ihr Lieblingsfeind Gyurcsány von den Machenschaften wusste.

Dieser "Skandal" passt prima zu dem kürzlichen Abgang des Ex-Vize-MSZP-Chefs Simon, der bis heute Herkunft und Zweck von 700.000 Euro auf seinem österreichischen Konto nicht erklären kann, was wiederum belegt, dass die Sozis einfach nichts dazu gelernt haben. Wo bitte bunkert das bürgerliche Lager sein Schwarzgeld? Das fragt wiederum Gyurcsány, der seinen Reichtum übrigens als "gesetzestreuer Geschäftsmann ohne politische Verbindungen" gemacht hatte.

Die Rechte kann alles besser: sogar Schulden machen!

Die linke Opposition hält sich weniger mit Einzelfällen auf und führt überhaupt die ganz große Klinge. Sie bennent u.a. die rund 650 Mrd. Forint (2,2 Mrd. EUR), mit denen die Regierung seit 2010 Privatunternehmen aus- und aufgekauft hat als Teil eines Systems, bei dem nur Fidesz-nahe Unternehmem profitieren. Auch die 3x3000 Milliarden Forint an Zusatzbelastungen des Volkes (
erhöhte Steuerlast, eingezogene und verpulverte private Rentenbeiträge, Neuverschuldung für Paks II-Ausbau) rechnet man der Verlustiersucht des Fidesz an. Immerhin kann man darauf verweisen, dass die Regierung, die sich dem "Krieg gegen die Schulden" verschrieben hat, heute mehr Schulden verwaltet als die "Schuldenmachweltmeister" von der MSZP zu ihren “allerbesten” Zeiten.

Täglicher Tango corrupto

Bei solchen Dimensionen kommt einem die Auflistung von Einzelfällen schon fast kleinlich vor und es ist nur normal, dass der Medienkonsument angesichts der schieren Informationsflut achselzuckend abstumpft. Man wundert sich täglich (freilich nur in linken und unabhängigen Medien und Köpfen) über wundersame Konstellationen u.a. bei Vergaben von großzügigen PR- und Berater-Aufträgen an Firmen mit Nahverhältnissen der Eigentümer zu amtsführenden Politikern, die teilweise erst Wochen vor der Ausschreibung gegründet wurden. Der Postenschacher erreichte sogar die Verwandtschaft des Präsidenten, eine Angehörige wurde - wie man liest, von fachlichen Fähigkeiten unbeschwert - bei der zentralen
Schulverwaltung, einem wahren Musterbetrieb, untergebracht.

Ein Unternehmen, das gerade beim
Umbau des Platzes am Parlament jede Menge Geld verdient, geriet ins Visier der Finanzpolizei. Bei einer früheren Ausschreibung soll die Firma ihre Bilanzen manipuliert haben, um die Anforderungen für eine Auftragsvergabe erfüllen zu können. Ein Verfahren läuft, das Geld fließt aber weiter. Nur weil "linke" Journaille den Mund nicht halten konnte, wird nun ein anständiger Mittelständler durchs Dorf getrieben.

Das Schattenreich der Kleptokraten als staatsbildender Teil Ungarns

Öffentliche
Aufträge an Unternehmen mit Off-Shore-Hintergrund, an Firmen ohne Mitarbeiter, existente Adresse und ohne jeden Umsatz kursieren seit Monaten durch die Medien, bieten aber nichts wirklich Neues. Das Schattenreich der Kleptokraten ist längst "staatsbildender Teil" Ungarns geworden, denn es agiert vielfach legalisiert. Am ungeniertesten war das beim Tabakhandelsmonopol, der Aneignung der Spargenossenschaften, die man erst zwangsverstaatlicht und dann wieder privatisiert hat (an das vom Staat eingesetzte Management) sowie der Fidesz-Landnahme sowie bei der Förderung von Stadionbauten exerziert worden. Zu irgendetwas muss die Rekordzahl an Gesetzen der abgelaufenen Legislaturperiode ja gut gewesen sein.

Keine Fotos bitte...

Verschiedene aktuelle Urteile sollen die Elite des Landes dabei vor Nachstellungen schützen, so konnte einer der einschlägigen Oligarchen gerichtlich durchsetzen, dass Redaktionen nur noch genehmigte Fotos von ihm publizieren dürfen und auch den dazugehörigen Kontext absegnen lassen müssen. Das nannte man früher Hofberichterstattung, in Ungarn argumentiert man mit "Schutz der Persönlichkeitsrechte", wobei man die Persönlichkeit durchaus weglassen kann, nur die Rechte sind (ist) zu schützen.

Ominöser Tod eines Software-Programmierers

 

Die Handlung, nicht nur der folgenden Episode, könnte einem billigen Mafia-B-Movie entsprungen sein. Kein Wunder, dass viele Ungarn glauben, sie sind im falschen Film. Aber es ist ein Dokumentarfilm: Besonders skurril mutet der plötzliche Tod eines 47jährigen, kerngesunden Software-Programmierers an, der bereits unter den Vorgängern der Lieferant eines Monitoring-Systems für die Abrechnung von EU-Mitteln wurde und dafür jährlich Millionen an Euro Lizenzgebühren kassierte. Bereits die Vorgänger scheiterten damit, ihm den Quellcode seiner Software abzukaufen und sowohl diese wie auch die Fidesz-Administration schickten ihm regelmäßig die Finanz ins Haus, ohne greifbare Ergebnisse.

Nun kam der neu ernannte
EU-Geld-Verwalter, nämlich Orbáns Amtschef Lázár mit einem Regierungsdekret daher, das den Erwerb des Quellcodes anwies, auf das man Geld “sparen” möge. Als der Rechteinhaber wieder ablehnte, kürzte man ihm einfach die jährliche Lizenzgebühr und deklarierte die Übernahme seiner Firma für einen willkürlichen Betrag, kurz: man enteignete sein Unternehmen aus "nationalem Sicherheitsinteresse". Einen Tag, nach dem der "Kaufpreis" überwiesen war, fand man den Mann tot in seiner Wohnung. Gestorben im “nationalen Interesse”, sozusagen.

red. / cs.sz. / a.l.

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