THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 10 - 2014   FEUILLETON 04.03.2014

 

Kulturhauptstadt Hungária

Eine Heimstatt dem Narziss: Ungarn gibt Startschuss für gigantisches Museumsquartier mit nationalem Auftrag

Für fast eine halbe Milliarde Euro soll zwischen Heldenplatz bis hinein ins Stadtwäldchen bis 2017 in Budapest ein Museumszentrum von "Weltmaßstab" entstehen. Das Projekt steht unter direkter Kuratel der Regierung, die beteiligten und neu zu schaffenden Museen werden von einer erznationalistischen Aufsichtsbehörde auf Linie getrimmt. Stadtplaner sind über die Holzhammer-Methoden entsetzt, die Opposition beklagt die hohen Kosten und die kulturelle Gleichschaltung. Eine europaweite Ausschreibung soll dem Projekt nun internationales Flair verschaffen.

Das Areal rund um den Heldenplatz, am Ostende des Andrássy Boulevards wurde durch die Budapester Gründerzeit ab ca. 1870 bis zum Ersten Weltkrieg geprägt. Doch anstatt sich um eine sanfte KOmplettierung des Areals zu bemühen, die durchaus angebracht wäre, schneiden die Orbánschen Pläne mitten in eines der wenigen Grünareale der Hauptstadt ein.

Bereits bis 27. Mai müssen "Konzeptpläne und Designstudien" für fünf Neubauten sowie diverse Renovierungen und Flächengestaltungen bei einer elfköpfigen Jury beim Ministerium für Humanressourcen, dem auch die Kultur untersteht, eingereicht werden. Neben Vertretern der halbstaatlichen Kunstakademie MMA, die als zentrales Kontrollorgan für die “Staatskunst” installiert wurde, werden auch Ministerialbeamte und der Direktor des Museums der Schönen Künste, László Báan (gleichzeitig Regierungskommissar für das Projekt Museumsquartier) sowie der niederländische Architekt und Direktor des Amsterdamer Rijksmuseums, Wim Pijbes, in der Jury sitzen. Der oder die Gewinner der europweiten Ausschreibung sollen am 19. Dezember 2014 verkündet werden. Ob die Ausschreibung für das Gesamtprojekt gilt oder Bewerber sich für jedes einzelne Objekt bemühen können, war noch nicht bekannt, Minister Balog will Details auf einer Pressekonferenz Ende der Woche verkünden.

Im Zentrum das Museum der Schönen Künste, das sich vor allem den alten Meistern widmet. Deren Direktor lenkt nun als “Regierungskommissar” die Errichtung des Museumsquarties.

Geplant sind im Umfeld des Museums der Schönen Künste und der Kunsthalle, insgesamt fünf Neubauten zwischen Dózsa György út am Heldenplatz bis hinein ins Stadtwäldchen, das dafür verkleinert und massiv umgebaut werden muss. Die Petöfi Sport- und Veranstaltungshalle wird abgerissen und durch eine neue Halle an etwas anderer Stelle ersetzt, der traditionsreiche Hauptstädtische Zirkus wird umgesetzt, Zoo und Verkehrsmuseum sollen renoviert werden. Bereits zuvor war der über 100 Jahre alte Vidam Park, ein Vergnügungspark geschlossen worden.

Sollte wirklich noch nicht feststehen, wer den Auftrag bekommt? Die Ausschreibungszeit ist doch sehr knapp bemessen. Bisher kursierten, wie in dieser Abbildung, nur einige unverbindliche Vorstudien zu denkbaren Entwürfen.

Die Ausschreibungen beziehen sich vor allem auf die Neubauten, allen voran eine neue Nationalgalerie (derzeit in der Burg, die mutmaßlich zum Regierungsviertel ausgebaut wird), an die auch ein neues Gebäude für die Zeitgenössische Sammlung Ludwig angeschlossen wird. Außerdem soll ein neues Ethnographisches Museum in der Umgebung des Weltausstellungs-Ensembles Vajdahunyad entstehen, das so zu einem gigantischen Magyaristischen Folkloretempel mit angeschlossenem Trianon-Gedenkpark werden wird. Das Palais am Kossuth Platz beim Parlament, das derzeit die ethnographischen Sammlungen beherbergt und fachkundig betreut wird aufgelöst und wahrscheinlich zum Amt des Ministerpräsidenten umgebaut, der jetzt noch - für Republiken unüblich - direkt im Parlamentsgebäude residiert. Auch die Verwendung als Hauptsitz für das Balogsche Superministerium ist im Gespräch. Weitere Neubauten werden ein Architekturmuseum, ein Haus der Fotografie und ein Haus der Ungarischen Musik sein, die beiden Letzteren gibt es bereits in dezentralerer Form (Liszt-Museum, Mai Manó) etc. Zu diesem Zwecke werden Sammlungen umgelagert, aufgelöst und neu gruppiert und teilweise sogar regelrecht gefleddert, vor allem aber wird alles unter die Aufsicht der MMA zentralisiert.

Während die Opposition die Gigantomanie des Projektes in Zeiten knapper Kassen und großer sozialer Probleme anprangert und zudem fürchtet, dass die Zentralisierung der Museen der nationalistischen Geschichts- und Werteumdeutung der Regierungsideologie dient, bei gleichzeitiger finanzieller Austrocknung städtischer, kommunaler und privater Einrichtungen, kritisieren Stadtplaner und Historiker vor allem die Zerstörung der stadthistorisch gewachsenen Strukturen am und um den Heldenplatz. Gegen ein Museumsquartier an sich sei nichts einzuwenden, allein so etwas besitze man schon und es trägt den Namen: Budapest. Soll heißen, man soll sich um den historisch gewachsenen Bestand im Burgviertel, an den Ringstraßen und der Peripherie kümmern. Doch Städteplaner sind keine visionären Politiker vom Schlage Orbáns. Der Narziss braucht eine Heimstatt, eine Kulturhauptstadt Hungária.

Derzeit werden die Kosten für das Gesamtprojekt regierungsseitig auf ca. 420 Mio. EUR taxiert, doch interne Schätzungen rechnen bereits heute mit deutlich Mehr, sogar mit Mehr als dem Doppelten. Wie uns ein Ministrieller vertraulich wissen ließ, zeigen “worst case Szenarien” bereits Summen von über 1 Milliarde EUR an, Mehrkosten aufgrund von Fehlplanung oder Schlampereien bzw. Korruption nicht eingerechnet.

Seit 2008 gab es bereits Pläne für Erweiterungen am Heldenplatz, allerdings beschränkten die sich auf einen Ausbau des Museums der Schönen Künste, mit unterirdischen Lagern und einem neuen Besucherzentrum. Mit jedem Jahr der Regierung Orbán wurden die Pläne größer und gigantischer, nun beginnen sie auch die Substanz des Stadtwäldchens zu zerlegen.


MMA-Akademiechef Fekte (rechts) mit Superminister Balog. Dass sein Großinquisitor auch mit antisemitischen und nationalistischen Themen Stimmung macht, bekümmert den “ausgezeichneten Herrn Balog” wie immer wenig. Er erkärte der MMA “die volle Unterstützung der Regierung”.

Die Regierung sieht die Budapester "Museumsinsel" wiederum als "Meilenstein", ein Projekt  "im Weltmaßstab", als Beitrag zur "nationalen Kulturentwicklung", gleichermaßen eine Attraktion für Touristen wie eine Lehr- und Schaffensstätte für die Ungarn. Der Präsident der Kunstakademie, die vom Ministerium praktisch alle Hoheiten und Mittel über die staatlichen Kulturinstitutionen, vor allem die Museen erhielt, der über 80jährige Györy Fekete, machte bereits mehrfach klar, dass Kunst im heutigen Ungarn "national" zu sein hat und entsprechende Funktionen erfüllen soll. Wem das nicht passte, der wurde bereits entlassen oder nahm seinen Hut, selbst mehrere vom Fidesz eingesetzte Museumsdirektoren und Ministeriumsmitarbeiter schmissen bereits hin, sogar der Kulturstaatssekretär des Fidesz, praktisch der Kulturminister, scheiterte mit seiner Kritik an dem Ultranationalisten und musste seinen Schreibtisch räumen.

Fekete beschimpfte eine Schau junger Künstler, die sich mit der Frage was überhaupt “Ungarisch” sei, auseinandersetzen als Blasphemie und ließ sich über ungarische Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln als "im Westen so genannte Ungarn" aus. In seiner Akademie räumte er auf, nur noch Speichellecker und Nationalgesinnte duldet er, Chaos und Exodus in Kauf nehmend. Er plant jetzt "nationale Kunstsalons", die sich bestimmten Themen und Künstlern widmen sollen und wie sie im 19. Jahrhundert üblich waren...

Eine neue Heimstatt dem Narziss: Premier Orbán schwadroniert vor einem embelmatischen Schlachtenschinken des “Nationalkünstlers” Munkácsy über seine Visionen zur Aufgabe von Kunst und Museen. Dabei fällt er noch hinter das 19. Jahrhundert zurück.

Für Premier Orbán soll eine Nationalgalerie nicht nur der Bewahrer von Kunstschätzen sein oder ein Ort, der durch Sonderaustellungen gar in einen grenzüberschreitenden Diskurs über Epochen und Werte eintritt. Orbán sieht die Sache klarer, bei einer Ausstellungseröffnung mit aktueller, staatlicher Auftragskunst zur "nationalen Revolution", umriss er die Aufgaben einer Nationalgalerie so: sie soll "die Souvernität des Staates und die Christlichkeit des Ungarntums während seiner tausendjährigen Geschichte" repräsentieren. Nur gut, dass auch ein Ölgemälde von ihm selbst in der Schau zu sehen war.

 

Die Kosten spielt die Regierung herunter, denn die will man großteils aus EU-Quellen decken (schließlich hat man nicht wie Kasachstan oder Dubai, Öl- und Gasquellen zur Verfügung, nur den gleichen schlechten Geschmack), die europäische Wertegemeinschaft finanziert also den nationalen Umbau und den Größenwahn dieser Regierung mit.

Diese argumentiert vor allem mit dem langfristigen Gewinn, den man aus dem Projekt zu ziehen hofft, "finanziell wie spirituell". Architekturbüros, die sich für den lukrativ erscheinenden Auftrag bewerben möchten, sollten also nicht nur die üblichen Absonderlichkeiten beachten, die bei öffentlichen Auftragsvergaben in Ungarn schon immer an der Tagesordnung waren, sondern auch, dass sie mit ihren Ausschreibungsunterlagen auch ein deutliches Statement für eine dirigistische, narzistische und in weiten Teilen nationalistische Kulturpolitik abliefern, sich zur Partei im Orbánschen Kulturkampf machen.

Weitere regierungsamtliche Stadtbauprojekte:

Burgbasar, rund 30 Mio. EUR
Kossuth Platz und Parlament, ca. 300 Mio. EUR
Fußball-, Sportstadien, Olympia-City, ca. 350 Mio. EUR

red.

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