THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 13 - 2014   FEUILLETON 27.03.2014

 

Unser Schätzchen

Römisches Prunkgeschirr oder Attilas Müslischale? Orbán brachte den Seuso-Schatz nach Ungarn zurück!

"Wenn ein Land Kraft und Prestige besitzt, ist es in der Lage sich zurückzuholen, was ihm gehört." Erst ein neues Lego-Werk, dann die U-Bahnlinie M4, der Burgbasar und nun auch noch der Schatz vom Silbersee! Orbán kann einfach alles. Seit gestern ist die Hälfte des mysteriösen Seuso-Schatzes, "unser Familiensilber" zurück in Ungarn. Womöglich hat sogar Attila, der Hunne schon von diesen Tellerchen gegessen. Die Präziosen werden nun neben der Heiligen Krone ausgestellt.

Viktor Orbán genießt den Augenblick, den Coup des Jahrzehnts.
Gestern bei der Präsentation im Parlament.

Gestern ließ Premier Orbán eine handverlesene Auswahl Journalisten zu einer kurzfristigen Presseaudienz ins Parlament laden. Thema: Unbekannt. Sicherheitsstufe: 1a. Da auf dem Podium neben IHM auch der Regierungsbeauftragte für unsere neue Kulturhauptstadt Hungária, László Baán, Akademiepräsident Pálinkás und Kanzleramtschef und EU-Mittel-Kassenwart Lázár sowie seltsame Leintücher installiert waren, war allen Anwesenden sofort klar: es musste etwas Bedeutendes sein - und es würde sehr teuer werden. Es wurde eine Sensation!

Nun könnte man umstandslos davon berichten, dass sieben von vierzehn Stücken eines römischen Silberschatzes, das kunstvolle Tafelgeschirr eines höheren Beamten - vielleicht der Garnison und Grenzstadt Aquincum - aus dem 4.-5. Jahrhundert, also der Endzeit des Römischen Reiches nach einer ziemlich schrägen Odysee wieder nach Ungarn zurückgekehrt sind. Doch das würde weder der Geschichte vom Seuso-Schatz gerecht, noch der Heldentat unseres obersten Reichsschatzjägers.

Die Story hat an sich schon das Zeug für einen abendfüllenden Krimi, aber man kann natürlich auch ein Heldenepos daraus machen: die Präziosen wurden - so die amtliche ungarische Version - am Balaton um 1978 von einem Hobbyarchäologen gefunden, der 1980 auf mysteriöse Weise "verstorben" ist. Offiziell war es Selbstmord, aber wer weiß das schon. Die Sache wurde über die Jahre immer komplizierter, denn bald eine handvoll Staaten erhob - auch wegen des fehlenden Grabungsnachweises - Anspruch auf das Geschirr, die 14 Teile bekamen den Namen Seuso bzw. Sevso-Schatz, dieser ist nämlich auf einem der Prachtstücke eingraviert und bezeichnet einen nachweisbaren hohen römischen Beamten dieser Zeit.

Der Schatz selbst gelangte zur Zeit des Todes seines Finders 1980 nach London in die Hände von Lord Northampton – mit einer Exportlizenz des Libanon, der später selbst die Eigentümerschaft reklamierte. Als 1990 bei Sotheby’s in New York eine Auktion stattfand, (Ausrufungspreis 40 Mio. Pfund, heute in etwas 40 Mio. EUR), die die finanziellen Turbulenzen des Lords beruhigen sollte, pochte neben Ungarn sowie dem Libanon auch Jugoslawien auf die Eigentümerrechte. Alle drei Staaten waren einst Teil des östlichen römischen Imperiums. Die Auktion wurde gestoppt, als herauskam, dass die libanesischen Dokumente gefälscht waren.

1993 entschied ein amerikanisches Gericht, dass kein Staat den Anspruch auf rechtmäßige Eigentümerschaft belegen könne, mittlerweile waren es sechs. Seitdem galt der Schatz, dessen Wert auf rund 80 Mio. EUR geschätzt wird, aufgrund seiner ungeklärten Herkunft als unverkäuflich. Er ruhte bis zum September 2006 in einem Safe, bis das Auktionshaus Bonhams den Seuso-Schatz für geladene Gäste, Fachleute und „Interessenten“ ausstellen würde.

Die ungarische Regierung war empört und protestierte gegen die "Verkaufs"-Ausstellung. Für sie stand immer fest, dass der Schatz auf ungarischem Boden gefunden und illegal außer Landes gebracht worden sei. Als Beweis bezog man sich auf die Inschrift „Pelso“ auf einem der markantesten Teller des Seuso-Fundes, zusammen mit einem Symbol für Wasser. „Pelso“ war nachweislich der römische Name für den Balaton - und der war nachweislich schon immer in Ungarn!!!

Seit 2006 herrschte Funkstille. Die Sozis kümmerten sich nicht um Silber, nur um Gold. Dann kam Orbán. Zehn Tage vor der Wahl beweist er, wie sehr ihm das Erbe "seines" Volkes am Herzen liegt und "Wenn ein Land Kraft und Prestige besitzt, es in der Lage ist, sich zurückzuholen, was ihm gehört."

15 Millionen Euro und enormes Verhandlungsgeschick habe seine Regierung in die Rückerlangung "unseres Familiensilbers" investiert, angesichts des Schätzpreises und des kulturellen Wertes ein geringer Preis. Warum sich die gierigen Kapitalisten von der Insel mit rund einem Drittel des Nennwertes zufrieden gaben, wurde nicht genauer evaluiert. Orbán erläuterte nur, dass die Beschaffung der ausfuhrgenehmigung ein diplomatisches Meisterstück seines Flügeladjudanten Lázár war.

"Davon ausgehend, dass die Kunstwerke uns gehören, ist es doch besser, wenn sie hier sind als irgendwo anders. Daher entschieden wir, sie nach Hause zu bringen", so ein vor Stolz fast platzender Premier, der nicht das Detail aussparte, wonach der Werttransport "über Land und bewacht vom Antiterrorkomando TÉK" abgewickelt wurde. Wennschon, dennschon. Hat Orbán den Ärmelkanal trockenlegen lassen? Wie auch immer: "Wann die andere Hälfte des Schatzes nach Ungarn kommt, ist nur noch eine Frage der Zeit".

Dieses Zierfass gehört zu den Stücken, die noch nicht wieder in Besitz Ungarns sind...

Aber was heißt hier "uns"? In aller Bescheidenheit verschwieg Orbán die eigentliche Sensation, doch mit dem Hinweis "Familiensilber" entlarvte er sich selbst: Die Landnahme, die Árpáden, der Heilige István ließen, als die Teller geschaffen und in Gebrauch waren, ja noch ein halbes Jahrtausend auf sich warten. Doch der geistige Urgroßvater unserer Könige, der ungehobelte Vorbote des edlen Ungarn, Attila, der Hunnenkönig, vagabundierte eben in jenem 5. Jahrhundert durch das Karpathenbecken und entlang der Donau.

Ist es nicht denkbar, dass er sich in den Kämpfen um das zerfallende und von barbarischen Stämmen bereits zerfranste Römische Reich im 4. und 5. Jahrhundert in den Besitz der Teller und Pokale brachte, sie vielleicht als königliches Campinggeschirr mit sich führte und ein nachlässiger Lakai sie beim Spülen im Balaton dortselbst vergaß? Möglicherweise hat also "unser" Attila von den Tellerchen gegessen, vielleicht sogar sein Müsli auf sie übergeben! Der sagenumworbene Schatz des Attila ist noch immer abgängig. Aber, wer weiß, in vier Jahren sind ja wieder Wahlen und bei denen wird man alle Register ziehen müssen!

Für Museumsdirektor und Reichsschatzmeister Baán ist es auch so schon ein beglückender und "historischer Moment", ab Samstag wird das Silberzeug - kostenfrei - im Parlament zu bestaunen sein, dort, wo auch die Heilige Krone für das Volk exhibitioniert ist. Später dann dürfte das 1.600 Jahre alte Schätzchen zentraler Teil des neuen Nationalen Museumsquartiers und damit auf Dauer öffentlich und zum Ruhme des Landes zugänglich werden und das ist - jetzt mal Spaß beiseite - allemal ein besserer Ort als irgendein finstrer Tresor auf den Britischen Inseln.

red. / m.s.

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