THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 13 - 2014   POLITIK 30.03.2014

 

Verliererparade

40.000 kamen: Oppositionsbündnis in Ungarn übte sich in Zweckoptimismus

Die Protagonisten des Oppositionsbündnisses "Regierungswechsel" konnten am Sonntag in Budapest rund 40.000 Anhänger mobilisieren, - in etwa ein Fünftel der
Regierungsdemo am Vortag. Programmschwäche hin und Personalkatastrophen her: zu spät hat die Linke erkannt, dass Wahlentscheidungen in Ungarn heute nicht anhand von Argumenten getroffen werden, sondern eine Glaubensfrage sind. Dennoch will man zur Wahl alles mobilisieren, allein schon, um die Neonazis nicht zu stark werden zu lassen.

Ex-Premier Gyurcsány, DK, Fotos: MTI, eigene Fotoserie am Ende des Textes.

Mit Ex-Premier Ferenzc Gyurcsány eröffnete die Personalisierung der diesjährigen Wahlniederlage, der DK-Sektenführer, Oppositionsspalter und wohl effizienteste Wahlhelfer der Regierungspartei den Reigen der Verlierer vor den Kundgebungsteilnehmern an der Oper. Ihm folgten die Chefs der marginalen LMP-Abspaltung "Dialog für Ungarn", die Ein-Mann-SZDSZ-Reaktivierung Gábor Fodor sowie Bajnai mit seiner "Gemeinsam 2014", der in punkto Spitzenkandidatur der zahlen- und umfragemäßig stärksten Linkskraft, der MSZP, den Vortritt lassen musste. Das Ergebnis: ein blasser MSZP-Chef Attila Mesterházy, ein Ziehkind der alten Parteigranden, bemüht, das fragile Bündnis bis über den nächsten Sonntag zu retten, zusätzlich schwer getroffen vom Skandal um seinen Ex-Vize und dessen unerklärliche Millionen auf österreichischen Konten und einer ganzen Reihe kleinerer "Enthüllungen".

Was tun? Ex-Premier Bajnai am Sonntag vor der Oper in Budapest.

Was die Redner ihren Zuhörern boten, waren die bekannten Tiraden gegen den politischen Gegner, wobei sich Gyurcsány (Seine Aussage, "...das Land wird von einem verdammten Lügner regiert" entbehrt aus dem Munde des Ex-Premiers nicht der Komik) besonders deutlich durch regelrechte Beschimpfungen hervorhob. Verzweifelte Aufrufe, zur Wahl zu gehen, wechselten mit Prophezeiungen vom Untergang des Landes in den dunkelbuntesten Farben ("In Ungarn regiert wieder die Angst", Bajnai) und in der Frage nach "Ost oder West". Spitzenkandidat und MSZP-Chef Mesterházy sprach von den 3 Millionen Armen des Landes, von Orbán als Putins Pinscher, versprach höhere Mindestlöhne - auch netto usw.

Die Gegenveranstaltung zum "Friedensmarsch vom Vortag" unterschied sich zwar in der Polung, aber wenig in der Form: was gestern eine Messe war, war heute eine Gruppentherapie. Mit den dabei üblichen Mätzchen: alle sollten etwas Rotes am Wahltag tragen, sagte ein MSZP-Mann. Es soll eine Abstimmung "gegen Jobbik" sein. D.h., wenn man schon einsah, dass man gegen Fidesz nichts ausrichten kann, solle man doch bitte dennoch zur Wahl gehen, um den Neonazis wegen eigener Inaktivität nicht die Oppositionsführerschaft zu überlassen. Fakt ist: der Linken fehlen rund 1 Mio. Stimmen zum Sieg, selbst mit Maximalmobilisierung und Umfrage-Fehlern sind die nicht mehr machbar.

Den personellen und programmatischen Dilletantismus der in der demoskopischen Not zusammengezimmerten Oppositionsallianz vor Augen, der Aussichtslosigkeit gewahr, gegen den Populismus der Orbán-Maschine anzukommen, fuhr Ex-Premier Bajnai am Vortag der Oppositionsdemo in Székesfehérvár nochmal schweres verbales Geschütz ins Feld. Ungarns Zukunft sei mit Orbán "eine sehr dunkle", erst Recht mit der Ankündigung "so weiter zu machen", denn nur daraus bestehe dessen Wahlprogramm. Nicht nur, dass der Forint, der in vier Jahren bereits von 265 auf 313 gefallen sei bis 400 Forint je Euro weiter sinken könne, Orbán 500.000 junge Menschen aus dem Lande getrieben habe, um "bald eine Million neue Arbeitsplätze in London, Berlin und Wien" zu schaffen, nun könnte es bald so weit sein, dass "Fidesz private Spareinlagen übernimmt", so wie sie es vor vier Jahren bereits mit den privaten Rentenbeiträgen handhabten.

MSZP-Chef und Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisses, Attila Mesterházy

Bajnai, den man gemeinhin als den fähigsten aktiven Oppositionspolitiker der demokratischen Seite ansieht, erkennt ein wenig spät, dass sich mit rationalen Argumenten in Ungarn heute kein Blumentopf mehr gewinnen lässt. Wäre er zu anständig, um sich auf Populismus einzulassen, dann hätte er ihn jetzt auch ausgelassen. Doch nun, eine Woche vor den Wahlen an zivilisatorische Urinstinkte wie die Verlustangst der Bürger hinsichtlich ihres Bankkontos zu appellieren, ist nur noch ein hilfloses Pfeifen im Angesicht der kommenden Niederlage, die auch er mit seiner Zaghaftigkeit und zu vielen faulen Kompromissen im Umgang mit zweifelhaften Bündnispartnern mit herbeigeführt hat.

Aufgrund der eklektischen Konstellation zwischen farblosen Fachleuten, steifen Apparaten und irreparablen Egomanen, war man unfähig eine Vision zu formulieren, eine kommunizierbare, glaubhafte Politikalternative aufzustellen, die den Ungarn den materiellen und emotionalen Aufwand einer erneute 180-Grad-Wende schmackhaft machen könnte. Also bleiben der in Angststarre vereinten Opposition nur die Vergehen und das Versagen der Regierung anzuprangern, in der Hoffnung, einige unentschlossene Bürger sind doch noch bereit, den allgegenwärtigen Erfolgsstatistiken und Eigenlobeshymnen zu hinterfragen und mit den realen Lebensverhältnissen abzugleichen.

Doch Orbán zu wählen - oder auch, ihn nicht zu wählen - ist heute keine Frage der Bewertung politischer Arbeit und ihrer Auswirkungen auf die Bürger - es ist eine Glaubensfrage geworden. Und es sind nicht zufällig jene Religionen die erfolgreichsten, die den Menschen das Großartigste prophezeien. Unter dieser Voraussetzung verwundert der Vorsprung des Regierungslagers kaum noch und auch nicht das eigentlich unglaubliche Phänomen, dass gesellschaftlicher und konstitutioneller Totalmubau, die Unterwerfung der Demokratie, die Beugung des Rechtsstaates, die Gängelung des Bürger und der so organisierte wie legalisierte Raubzug der Regierungspartei quer durch sämtliche Branchen zwar geradezu epische Ausmaße angenommen haben, sich die Leute aber lieber über die "linke Mafia" erregen, als über ihre neuen Herren.

Die Ablehung dessen, was sich als "nationale Revolution" vorgestellt hat, würde die Menschen dazu zwingen, sich selbst eine weitere Fehlentscheidung einzugestehen, da rennt man doch lieber mit wehenden Fahnen in den Abgrund und glaubt an eine gute Landung...

red. / cs.sz.

Weniger Fanatismus, mehr junge Leute, weltoffenes Publikum und freundliche Begegnungen, so das Fazit unserer Fotoreporterin, Therese Glöde, von der Oppositionskundgebung. Bilder sagen mehr als Worte:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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