THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 14 - 2014   AKTUELL 02.04.2014

 

Das Schweigen der Pathologen:
Stillstand und Fortgang im Simon-Welsz-Skandal

Seit 12 Tagen lässt ein Obduktionsbericht über den urplötzlich im Polizeiauto gestorbenen “Geschäftsfreund” von Ex-MSZP-Vize Simon auf sich warten. Warum, fragt die Opposition. Die Regierung will hingegen endlich ein Geständnis der MSZP über die undeklarierten Gelder. Gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen bestimmen die Debatte um ein Thema, dessen wirkliche Ausmaße weiter hinter Schleiern bleiben.

Mittlerweile fanden die Behörden fünf Konten des ehemaligen "sozialistischen" Politikers und Spitzenfunktionärs und nun U-Häftlings Gábor Simon, und zwar bei Banken in Graz, Salzburg, Zürich und Wien, auf denen zusammen ca. 1 Mio. EUR liegen bzw. lagen. Diese Gelder nicht deklariert zu haben, wie es die Vorschriften des Parlamentes vorsehen, brachte ihn um seine Ämter und Parteimitgliedschaft, sein Parlamentsmandat gab er selbst auf.

Polizisten untersuchen eine Garage des Todesopfers auf Spuren. Wer untersucht die Polizei?

Der zuständige Parlamentsausschuss kam gestern in einem Zwischenbericht zu dem Schluss, dass die "Herkunft der Gelder mit seinen Ämtern zu tun haben muss", lies: die MSZP hat illegale Parteigelder bei ihrem Ex-Vorsitzenden Simon geparkt. Diese Fidesz-Version der Vorkommnisse wollte Ausschussmitglied und LMP-Chef Schiffer (Grüne) nur teilweise mittragen. Es sei klar, dass Simon gelogen und Gelder versteckt habe, es sei auch offensichtlich, dass sich der MSZP-Vorsitzende Mesterházy (Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisses) beharrlich weigert, vor dem Ausschuss auszusagen. Daraus dürfe man jedoch keine automatische Schuld oder Mitwisserschaft konstruieren, mahnte er den Ausschuss, seine zumindest angedeutete Vorverurteilung im Parteiauftrag einzuschränken und rechtsstaatliche Grundnormen einzuhalten.

Mesterházy erklärte mehrfach, er wisse nichts von der Herkunft der Gelder, laut den ersten Aussagen Simons sind sie aus "früheren Geschäften" lukriert worden und hätten nichts mit der Partei zu tun. Einem Fidesz-Tribunal wolle er sich aber nicht stellen. Es gibt mittlerweile aber auch ernstzunehmende Gerüchte, wonach sich Simon in der U-Haft allmählich zu einer anderen Version wechselt, ob aus schierer Angst vor einer hohen Strafe oder Rachegelüsten gegenüber seinen einstigen Parteifreunden, die ihn stante pede im Regen stehen ließen, sei dahingestellt.

Die regierungstreue "Magyar Nemzet" meldet, dass ihr Protokolle eines Zellengenossen von Simon vorliegen, wonach Letzterer davon gesprochen habe, dass sowohl der frühere MSZP-Chef Gyurcsány wie auch der jetzige, Mesterházy, die Geldquellen und den Verbleib gekannt hatten. Bei den Einnahmen handele es sich um den Erlös aus dem Verkauf einer Villa im 18. Bezirk sowie aus einer Kick-back-Zahlung bei einem Land-Deal mit einem ausländischen Handelskonzern. Belege oder Quellen hat die "Magyar Nemzet" dafür - wie so oft - nicht, aber die Aussage passt natürlich wunderbar ins Bild, allein deshalb wird sie auch publiziert.

Wusste Welsz zu viel von den “Falschen”?

Die MSZP versucht jetzt, sich der verheerenden Wirkung des "Simon-Skandals" im Wahlkampf bewusst geworden, den Spieß umzudrehen: denn seit nunmehr 12 Tagen wartet die Öffentlichkeit bereits auf einen Bericht der Gerichtsmediziner zu Todesursache und -umständen von Tamás Welsz (Foto), des Geschäftspartners des weiter in U-Haft befindlichen Simon. Wie berichtet, war der illustre und zwielichtige Businessman mit eigenartigen Kontakten in afrikanische Bananenrepubliken der Lieferant des gefälschten Passes aus Guinea-Bissau an Simon, der damit ein Konto bei einer ungarischen Bank eröffnen wollte, was ihn letztlich in die Untersuchungshaft brachte.

Tamás Welsz, gerade 41 Jahre alt, war
beim Transport im Polizeiwagen hin zu einer Vernehmung urplötzlich gestorben, die Gerüchteküche reicht seitdem vom plötzlichen Herztod, über Selbstmord mittels Gift bis hin zur Exekution, weil einige Mächtige sich vor Informationen fürchteten, die Welsz den Richtern möglicherweise überbringen wollte. Die MSZP fragt nun recht ungeniert: die Regierungspartei FIDESZ möge doch bitte angeben, wer von ihren Mitgliedern sich auch Pässe von Welsz hat beschaffen lassen und wo deren undeklarierte Konten zu finden seien.

 

Gestern durchsuchten Polizisten die Wohnung und das Büro des Toten nochmals, offenbar bereits auf der Spur nach einem im Körper von Welsz gefundenen Gift, wie eine einschlägige Quelle bestätigt. Eine Vergiftung als Todesursache sagt allerdings noch immer nichts über Mord- oder Selbstmord aus. In jedem Fall will die MSZP einen Bericht noch vor den Wahlen, was immer das auch bringen sollte...

Die Regierungspresse will von einer Aussage von Welsz` Freundin wissen, wonach dieser einen Tag vor seinem Tod von seiner "hoffnungslosen Lage" berichtet habe und dass er "alles was er weiß, der Polizei sagen und mich dann umbringen" werde. Auch sollen bereits Testergebnisse aus der Gerichtsmedizin durchgesickert sein, ein Peptid-haltiges Gift soll danach im Körper des Toten gefunden worden sein.

Simons Fall hat in den letzten Tagen auch einige Betriebsamkeit in den Reihen der Regierungspartei ausgelöst: mit Fidesz-Fraktionschef Rogán und Wirtschaftsminister Varga haben gleich zwei Kapazunder aus dem Orbán-Umfeld - teils mehrfach - ihre gesetzlich vorgeschriebenen Vermögensdeklarationen im Parlament "angepasst", wobei vor allem umfangreiche familiäre Verflechtungen bei Eigentumsstrukturen von Immobilien ins Auge stachen, weniger die Bankguthaben, die meist betont bescheidene Höhen aufweisen.

Beobachter staunen über die Ungeschicklichkeit der MSZP, sich wegen einer lächerlichen Million, die man derart dilletantisch “versteckt” hat, seit Wochen derart am Nasenring durch die mediale Manege führen zu lassen, während die Gegenseite das Land mittlerweile strukturell übernommen hat, aber offenbar cleverer in der Anonymisierung ist. Die Gerüchteküche reicht dort schon seit längerem nicht mehr nur in die Schweiz, sondern über Bosnien, die Kanalinseln und Gibraltar bis tief in die Karibik - ist aber in manchen Fällen gar nicht mehr nötig, denn der Raub ist z.B. beim Tabakhandelsmonopol oder der Bodenvergabe längst legalisiert.

red.

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