THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 15 - 2014   POLITIK 08.04.2014

 

Siegesfeiern und Wundenlecken

Reaktionen der in- und ausländischen Politik auf die Wahlen in Ungarn

Während Orbán seinen Wahlsieg als überragendes Mandat des Weitermachens interpretiert und OSZE-Kritik schroff zurückweist, löst sich das Linksbündnis in seine Bestandteile auf. Die neonazistische Jobbik triumphiert und droht für 2018 mit der Machtübernahme. / Die CDU gratuliert Orbán und behauptet, er sei der Mann, der Extremismus verhindere, EVP-Chef Daul sieht die Gründe für den Wahlsieg in der Wahrheitsliebe Orbáns, der EP-Sozialist Swoboda möchte diese Wahrheiten doch lieber genauer beobachten lassen.

WAHLERGEBNISSE - THEMENSEITE WAHLEN

Salutiert seinen Untertanen: Wahlsieger Orbán in der Wahlnacht. Foto: MTI

Ministerpräsident und Fidesz-Chef Viktor Orbán hielt noch am Wahlabend eine seiner typischen Reden (hier auf Englisch nachzulesen), in der er - einmal mehr - den Anbruch einer neuen Ära ankündigte. Am Montag gab er ein paar Statments vor internationalen Pressevertretern zum Besten. Sein Wahlsieg sei eindeutig und unzweifelhaft. Die Wähler hätten auch ihre Meinung zu "internationaler Kritik" an "Ungarns Weg" zum Ausdruck gebracht.

Auch die teilweise kritische Einschätzung fehlender Fairness im Umfeld der Wahlen, wie sie am Montag vom Chef der OSZE-Beobachtermission vorgebracht wurden, wies Orbán scharf zurück. "Es git hier nichts mehr zu diskutieren", sagte er.

Die Wähler hätte "Ja" zum "neuen Verfassungsystem" gesagt und "unsere Wirtschaftspolitik und unsere Volksregierung" bestätigt. Es sei dabei nicht wesentlich, ob man wieder eine 2/3-Mandatsmehrheit erlangen werde, er sei in jedem Falle "authorisiert, seine Politik so fortzuführen".

Der OSZE-Missionschef Audrey Glover sagte am Montag, dass die Wahlen grundsätzlich gut organisiert waren und die Wähler hinreichend Möglichkeiten hatten, ihre Stimmen abzugeben. Allerdings sei der "Rechtsrahmen für die Wahlen wesentlich geändert worden", die "Kontrollinstanzen" und die "mediale (öffentlich-rechtliche) Berichterstattung" war "Fidesz-voreingenommen" und die Regierung habe "den Unterschied zwischen Staat und Partei verschwimmen lassen". Die zunehmende Zahl von "fidesznahen Geschäftsleuten", die sich Medienunternehmen kaufen sowie die "Steuerung von Anzeigenaufträgen an bestimmte Medien" unterlaufen den Pluralismus, so Glover.

Parlamentspräsident und Fidesz-Wahlkampfleiter László Kövér sieht in dieser Wahl ein historisches Ereignis ersten Ranges. In einem TV-Interview am Montagabend sagte er, dass die kommende Regierung nun auch die Ungarn außerhalb der Staatsgrenzen vertrete, da diese erstmals auch alle wählen konnten.

Dieser gemeinsame Auftritt des Oppositionsbündnis “Regierungswechsel” könnte für lange Zeit, wenn nicht für immer der letzte gewesen sein... Foto: MTI

Die Wahlverlierer vom Fünf-Parteienbündnis "Regierungswechsel" verweigerten Orbán einen Glückwunsch zu dessen Wahlsieg, den sie jedoch anerkannten, trotz weiterer Vorwürfe eines ungerechten Wahlsystems und sonstiger sturktureller Benachteiligungen. Ex-Premier und “Együtt 2014”-Chef Gordon Bajnai und MSZP-Chef Attila Mesterházy sowie DK-Vorsitzender und Ex-Premier Gyurcsány räumten in unterschiedlichen Abstufungen auch ein, dass es ihnen nicht gelungen ist, den Menschen eine attraktive Alternative zu vermitteln.

Das Wahlbündnis wird aller Voraussicht nach nicht zu einem Fraktionsbündnis führen. Die MSZP stellt mit 29 von 38 die größte Gruppe innerhalb des Bündnisses. Bajnais "Gemeinsam 2014" kündigte an, "keine Kompromisse in der Oppositionsarbeit zu Gunsten einer gemeinsamen Fraktion" eingehen zu wollen. Da die vier Abgeordneten keine Fraktion bilden können (dazu braucht es fünf), werde man so gut es geht im Parlament, vor allem aber außerparlamentarisch für einen "Regimewechsel" kämpfen.

Gábor Fodor, einziger Abgeordneter seiner Ungarischen Liberalen Partei hat sich noch nicht entschieden, ob er "Gemeinsam 2014" oder eventuell der DK, ein Koalitionsangebot machen will, womit die Gruppe eine Fraktion mit entsprechenden Rechten und Mitteln bilden könnte. Fodor verlangt, dass er sich innerhalb einer solchen Fraktion weiter als "unabhängige liberale Partei" präsentieren könnte.

MSZP-Chef Attila Mesterházy hat trotz seines schlechten Abschneidens einen Rücktritt bisher ausgeschlossen, das sagte er im TV-Kanal ATV am Sonntag. Er fokussiere sich bereits auf die Europawahlen und die Kommunalwahlen im Herbst. Ebenfalls im Studio, sein Ex-Chef und Vorgänger Ferenc Gyurcsány, der selbst keinen eigenen Anteil an der Wahlniederlage seines Bündnisses erkennen mochte.

Die neonazistische Jobbik, drittstärkste Partei im Parlament, kostete ihren enormen Zugewinn auf 20,5% der Stimmen aus, Parteichef Gábor Vona erklärte, - im Sinne seiner neuen Verbürgerlichungstaktik" dass man eine "konstruktive Opposition" sein wolle. Am Sonntag sagte er vor Anhängern noch, dass man sich nun "den Staub abklopfen" werde, um "2018 die Wahl zu gewinnen." Jobbik sei nun die "stärkste euroskeptische Kraft Europas". Er selber habe seinen Wahlkreis (in Gyöngöyös) nur um "ein paar Hundert Stimmen" verloren, "weil Zigeuner in Massentransporten zu den Urnen gefahren wurden", um für Fidesz zu stimmen. Das sei "heute zwar legal, aber moralisch verwerflich." Vona kam freilich über seine Parteiliste ins Parlament.

EVP-Vorsitzender Joseph Daul und die CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag übersandten dem wiedergewählten Premier Orbán ihre Glückwünsche, Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten fordert "genaues Monitoring" zu Grundrechten

Der kürzlich wegen eines Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundnormen von seinem Ministeramt zum Rücktritt gebrachte stellv. Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich lässt auf der offiziellen Fraktionswebseite schreiben:

"Wir gratulieren dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zur gewonnen Parlamentswahl - Rechtsradikale Partei Jobbik hat keine Chance / Die Regierungspartei FIDESZ hat am gestrigen Sonntag die Parlamentswahlen in Ungarn gewonnen. Dazu erklärt der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Friedrich: Wir gratulieren Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner Regierungspartei FIDESZ herzlich zum klaren Wahlsieg bei den Parlamentswahlen in Ungarn. In beeindruckender Weise hat Viktor Orbán erneut das Vertrauen von weiten Teilen der ungarischen Wählerinnen und Wähler gewinnen können. Damit wird Ungarn weiterhin eine stabile Regierung haben. Die klare Mehrheit von FIDESZ wird auch dazu führen, dass die rechtsradikale Partei Jobbik keine Chance hat, ihre extremistischen Ideen umzusetzen.“

Der letzte Satz ist besonders bemerkenswert, da - im Gegensatz zur Darstellung der CDU - gerade das wahltaktische Kalkül und die "Schaukelpolitik" Orbáns Jobbiks zusätzliches Erstarken erst ermöglicht hatte. Für Fidesz ging es in erster Linie nicht um den Kampf gegen Rechtsextremismus, sondern darum ein aufkommendes Protest- und Oppositionspotential im rechten Spektrum zu binden und es auf diese Weise nicht den Mitte-Links-Kräften zukommen zu lassen.

EVP-Chef Joseph Daul, der sich bereits
beim letzten "Friedensmarsch" als großer Orbán-Verehrer, aber weniger als Ungarn-Kenner outete, schrieb: "Herzlich gratuliere ich Viktor Orbán und FIDESZ zum heutigen, beeindruckenden Wahlseig. Die ungarischen Menschen haben ihr Vertrauen in Premier Orbán und dessen Regierung erneut zum Ausdruck gebracht, weil er ihnen immer die Wahrheit gesagt hat und mutige Reformen umsetzte, die die Wirtschaft des Landes zurück auf die Spur gebracht haben. (...) Ich bin davon überzeugt, dass Fidesz diesen Wahlsieg auch bei den Europawahlen (25. Mai, Anm.) wiederholen wird."

Bereits vor der Wahl
überbrachte der deutsche Ex-Kanzler Kohl "meinem Freund" seine "volle Unterstützung".

 

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda erinnerte Orbán daran, dass dieser unabhängig von der Höhe seiner Wahlsiege die Gesetze und Werte der Europäischen Union zu respektieren habe. In den letzten vier Jahren habe der Ministerpräsident die Verfassung und viele Gesetze auf eine Art und Weiste umgeschrieben, die Ungarn hinter "demokratische, europäische Standards" verweisen. Daher müsse die EU genau auf die Einhaltung ihrer Regeln der neuen Orbán-Regierung achten. Swoboda forderte, dass die vom EU-Parlament sowie Vertretern mehrerer nationaler Regierungen gefordete "Monitoring-Gruppe" für Grundrechte bald eingeführt und arbeitsfähig gemacht wird.

red.

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