THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 20 - 2014   BOULEVARD 13.05.2014

 

Audienz im Häuptlingszelt: Orbáns erster Arbeitstag - Glosse

Am Samstag mit 130 von 199 möglichen Stimmen gewählt, eine Stunde später vom "Volk" gefeiert und dabei eine Rede gehalten, die der Opposition wie eine "Dshihad-Erklärung" an die EU vorkam. Wie viel Arbeit noch vor Orbán liegt, wurde am Samstag ebenfalls deutlich. Hier die “christlichen Werte” und dann: 10 Punkte aus Ungarn für Conchita Wurst. Was ist da falsch gelaufen? Es wird Zeit, dass der Chef die Zügel wieder anzieht!

Der Premier, im Moment vor Betreten des päpstlichen Balkons, auf dem er sich dem Volke zeigt.

Eine Regierung hat er zwar noch nicht aufgestellt, auch ein Regierungsprogramm wird - unverständlicherweise - von einigen vermisst, doch Ministerpräsident Orbán legte am ersten regulären Arbeitstag seiner dritten Amtszeit schon einmal "das Tempo für die nächsten vier Jahre vor", wie er auch seiner Facebook-Seite stolz schreiben ließ. Sein Programm ist ohnehin seit Wochen bekannt, es besteht aus zwei Worten: "Weiter so!" Die Sozis müssten nur einmal zuhören!

Orbáns erster, hyperaktiver Tag startete - wie alle Tage - am Morgen, da stattete Orbán der Bruderfraktion KDNP (Christdemokraten) einen Besuch ab und versicherte der für Regional-, Nationalitäten-, Glaubensschutz und Staatsjagden zuständigen Altherrenrunde, dass seine Amtszeit in "den besten Traditionen der europäischen Christdemokraten" stehen wird. Nun, Christdemokraten in Europa haben mitunter eigenartige Traditionen: Männchen mit komischen Bärten an die Macht hieven, Arbeiter zusammenschießen, Steuergeld an Banken umleiten, unliebsame Regierungen wegputschen usw. Doch Ungarn macht es ja bekanntlich besser. Hier schröpft man die Banken und benutzt statt Kugeln das Arbeitsrecht, um den Pöbel im Zaum zu halten, nur von den komischen Bärtchen hat man sich noch nicht verabschiedet, wie uns der ebenfalls wiedergewählte Parlamentspräsident László-"Wo ich bin, ist Ungarn"-Kövér belegt.

KDNP-Fraktionschef Péter Harrach überreichte Orbán - im Sinne der Nächstenliebe, die nach Christenüberzeugung kein menschlicher, sondern ein christlicher "Wert" sei - einen Gesetzentwurf über die Behandlung des Problems der Forex-Kredite, das, so versprach Orbán "bis Sommer" abgehandelt sein soll. Übersetzung: es kommt der Forex-Zwangsumtausch zu Lasten der Banken, was immer die Gerichte auch über "Einzelfalllösungen" oder die EU über Vertragssicherheit ventiliert. Mit dem harten Schnitt ist man beim Volk auf der sicheren Seite, denn die Finanzhaie haben (nicht nur) in Ungarn noch weniger Freunde als die Sozis - und das soll hier etwas heißen! Die Kosten dieser Lösung werden die Banken weiter sturmreif schießen, womit wir dem eigentlichen Ziel dieser Amtszeit näher kommen: der Überführung des ungarischen Finanzmarktes in die Hände unserer Partei.

Nach seiner Visite bei unseren Katholiban lud Orbán der Reihe nach wichtige Stützen seiner Macht zur Audienz: den alten und den neuen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften (EU-finanzierte Forschungsprojekte!), den 81jährigen Präsidenten der Akademie der Künste, der obersten Zensurbehörde der Staatskunst, Gyula “Kunst muss national sein!” Fekete (10 Punkte aus Ungarn für Conchita Wurst, was ist da falsch gelaufen?), dessen Arbeitsvertrag noch von Admiral Horthy unterzeichnet ist und der nun beim Aufbau der Kulturhauptstadt Hungária helfen soll sowie den - total unabhängigen - Rechnungshofchef.

 

Danach pilgerten die 13 Spezialabgeordneten (ohne Stimme, aber mit Rederecht im Parlament) der nationalen Stämme, pardon, Minderheiten, ins Häuptlingszelt und holten sich auch der Oberste Richter des Landes, gefolgt von der Präsidentin der Richterkammer und dem Generalstaatsanwalt ihre Direktiven für die kommenden vier Jahre ab. - Stunden später wurde gegen 13 ehemalige Bezirkssozialisten ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch und Korruption beim Verkauf einer Edelimmobilie an der Andrássy út eingeleitet und - in bester christlicher Tradition - der Ex-MSZP-Vizechef Simon aus der U-Haft in den Hausarrest überstellt. Das ist mal ein Tempo!

Bekannt wurde außerdem, dass das Amt des Ministerpräsidenten, derzeit geleitet von Staatssekreträr Lázár, der praktischerweise auch als Kassenwart für die EU-Milliarden fungiert, per Gesetz in den Rang eines Ministeriums überführt werden soll. Damit erübrigt sich eigentlich die Aufstellung einer neuen Regierung. Wann der Einmarsch in Norwegen stattfindet, wurde noch nicht terminiert, zuvor hält man noch “Konsultationen mit Moskau”, - natürlich ausschließlich zum Atomdeal...

Bericht vom ersten Sitzungstag des neuen Parlamentes.

a.l.

Uns liegen - exklusiv - die Fotos aller neuen Regierungsmitglieder in alphabetischer Reihenfolge vor:

Anm.: die Fotos, Quelle: MEH, stammen allesamt von der offiziellen Facebook-Seite Orbáns aus den vergangenen zwei Tagen und lassen nur zwei Schlüsse zu: Entweder entwickelte sein Hoffotograf eine homoerotische Obsession gegenüber seinem Objekt oder - sollte diese Art der Selbstdarstellung vom Premier selbst gesteuert sein - Ungarn und Orbán haben ein noch viel größeres Problem als gedacht...

red.

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