THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 20 - 2014   POLITIK 15.05.2014

 

Der Spion, der aus der Puszta kam...: Ungarn ”enttarnt” einen rechtsextremen EU-Abgeordneten als Agenten Russlands gegen Europa

Immer was los in Ungarn: Die führende regierungsnahe Zeitung, "Magyar Nemzet", kam heute mit einer wilden Agenten-"Story" heraus und meldete, dass die ungarische Generalstaatsanwaltschaft beim Europäischen Parlament die Aufhebung der Immunität des ungarischen Abgeordneten Béla Kovács, von der neonazistischen Partei Jobbik, beantragt habe. Grund: Verdacht auf Spionage gegen die Europäische Union. Die Enthüllung fällt zeitlich mit dem gesteigerten Verdacht zusammen, die ungarische Regierung habe ihr Land zum erpressbaren Einfallstor für russische Interessen in der EU gemacht...

Wenn das kein konspirativer Blick ist: Béla Kovács, alias IM Piroschka, im Understatement mit Alexander “Schachmatt” Schukow, Schach- und NOK-Präsident sowie Vizechef der Duma, bei einer “Energiekonferenz” in Moskau.

Seit einigen Wochen ermittle der ungarische Verfassungsschutz aufgrund "anonymer Hinweise" gegen den Politiker, weil dieser "regelmäßig, meist einmal monatlich, nach Moskau" fliege, teilte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft mit. Auch habe er eine russische Gattin “mit österreichischem und russischem Pass, die möglicherweise früher für den KGB arbeitete" und führe häufig Gespräche mit regierungsnahen Personen im Kreml. Details, gar Indizien oder Beweise legte der Sprecher der Staatsanwaltschaft weder vor, noch erwähnte er sie, mit Hinweis auf die Sensibilität der Ermittlungen.

Kovács drohen bei einer Verurteilung wegen Spionage (bzw. Landesverrat bzw. Gefährdung der nationalen Sicherheit) acht bis zehn Jahre Haft, so die Staatsanwaltschaft, ansonsten sei der Fall als "streng geheim" eingestuft, nur das Parlamentskomitee für Nationale Sicherheit habe noch Einblick in die Akten und natürlich nun der Präsident des Europäischen Parlamentes.

Béla Kovács, der aus einer ungarischen Diplomatenfamilie stammt und teilweise in Tokio aufwuchs, studierte vor der Wende am "Institut für Internationale Beziehungen", der berühmt-berüchtigten KGB-Auslandskaderschmiede in Moskau und lebte, nach einem Zwischenspiel in Budapest von 1988 - mit Unterbrechungen - bis 2003 wieder in der russischen Hauptstadt, wo er für "Handelsunternehmen" tätig war. 2005 trat er Jobbik bei und engagierte sich vor allem auf den europäischen Parkett. Interessanterweise unterließ er es, sich direkt ins EU-Parlament wählen zu lassen und rückte - weitgehend unbeachtet - für den von seinem Mandat gleich 2010 zurücktretenden Zoltán Balczó nach.

Der Verdacht hinter den vagen Äußerungen der Staatsanwaltschaft: Kovács, der als der Initiator der kürzlich geschmiedeten "Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen" gilt, der übrigens auch die österreichische FPÖ angehört, wurde von Moskau platziert und soll die EU durch die Stärkung rechter und nationalistischer Bewegungen von innen schwächen - im Auftrag Russlands. Noch genügt dieser Zusammenschluss personell noch nicht für die Bildung einer Extremisten-Fraktion in Brüssel bzw. Straßburg, nach den Wahlen am 25. Mai könnte das schon anders aussehen.

Kovács ließ natürlich alle Vorwürfe dementieren, - mit einer typischen Agenten-Ausrede: "nie in meinem Leben war ich Angehöriger eines Geheimdienstes." Klar, als hätten die russische Top-Agenten einen Betriebsausweis, einen Ansparplan für die Ruhestands-Datschja und ihr Dienstplan ist bei der Gewerkschaft hinterlegt.

Die ungarischen Medien stöbern nun den Reiserouten der Jobbik-Leute hinterher, wobei verdächtig viele Russland-Trips dabei sind, auf denen immer wieder halboffizielle Gespräche geführt wurden, u.a. auch zu "energiepolitischen Fragen", auf dem Foto sieht man Kovács z.B. im vertrauten Gespräch mit Duma-Vize und NOK-Präsident Schukow, selbstredend Mitglied der Putin-Partei "Einiges Russland". Einige mutmaßen, Kovács könnte sogar der Führungsoffizier für Jobbik-Chef Vona sein. Gleichzeitig stellt man Fragen, womit Jobbik seine umfangreichen Postwurf- und Plakatkampagnen, Ferienlager, Schulungszentren und die zigtausenden Uniformen und Ausrüstung für die "Garden" eigentlich finanziert?

Grundsätzlich ist die Konstellation, dass russische Kreise Jobbik unterstützen und / oder finanzieren weder neu noch überraschend (für den Iran gilt ähnliches), überhaupt haben Putin, aber auch die NATO und maßgebliche Kreise in der EU wenig Berührungsängste auch mit rechtsextremen Truppen zu kooperieren, wenn es ihren oder "unseren" angeblichen Interessen dient. Wir erinnern hier nur an die Swoboda und den "rechten Sektor" als "proeuropäische Kräfte" auf dem Maidan oder die Abordnungen und Lobeshymnen von europäischen Rechtsradikalen als Wahlbeobachter bei der "Volksabstimmung" auf der Krim (auch Kovács war übrigens einer von denen!) sowie die eindeutig nationalistisch-völkischen Äußerungen russischer Regierungspolitiker wenn es um "die Russen" in der Ukraine geht.

Der Zeitpunkt der Budapester "Aufdeckung" allerdings ist ziemlich entlarvend und macht die "Story" irgendwie billig: kommt sie doch ausgerechnet am Tag nach dem
von Premier Orbán durch seine Rede ausgelösten mittleren diplomatischen Erdbeben, dem "Autonomie-Streit" mit der Ukraine, bei dem man ihm von Seiten Kiews unterstellt, aufgrund wirtschaftsstrategischer Interessen eine Achse mit Putin hinsichtlich der (weiteren) Destabilisierung der Ukraine geschmiedet zu haben.

Ungarn müht sich nun nicht nur gegenüber der Ukraine hektisch um Ausräumung dieses "Missverständnisses", sondern muss und will vor allem gegenüber der EU jeden Verdacht im Keim ersticken, Orbán-Land wäre - seit dem Atomdeal mit 10-Mrd-EU-Kredit - zum erperssbaren Einfallstor für russische Interessen in der EU geworden. Ein rauchender Colt in Form eines überführten Russland-Spions aus dem extrem rechten Spektrum des Landes würde so gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe treffen und Orbán könnte, wenn alles glatt läuft, sogar noch als Retter der EU dastehen.

Freilich vergaß die "Magyar Nemzet" heute auch nicht, sämtliche Geheimdienst-"Affären" unter "sozialistischer" Ägide in einem Extra-Kasten unter dem Jobbik-Spionagefall hübsch für die Leserschaft aufzubereiten. Mit dem Thema Russland oder EU hatten die zwar nichts zu tun, aber man weiß, was man sich und dem Land schuldig ist.

 

Eine Meldung unterließ die Regierungszeitung jedoch: Ministerpräsident Orbán traf sich am Mittwoch mit Gazprom Chef Aleksej Miller, um mit ihm über eine "Beschleunigung des Baus der South Stream Pipeline" zu beraten. Die bereits geplante Route, 230 Kilometer zwischen den serbischen und slowenischen Grenzen zu Ungarn müsse "umgearbeitet werden", seit Österreich im April noch mit ins Boot gesprungen ist und auch einen Anschluss an die ukrainefreie Pipeline wünscht. Der staatseigene Energiekonzern MVM (auch Betreiber des AKW in Paks, das mit russischem Kredit ausgebaut werden wird) teilt sich die Baukosten von ca. 600 Mio. EUR in einem Joint Venture mit Gazprom zur Hälfte. Anschließend reiste Orbán dann nach Bratislava und forderte von der EU "mehr Energiesicherheit" und "höhere Diversität" bei den Lieferquellen, wetterte wieder gegen die einseitige Abhängigkeit. Vielleicht ist er ja ein "Doppelagent"?

red., a.l.

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