THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 23 - 2014 POLITIK 04.06.2014

 

Designierter Justizminister in Ungarn: Recht der “Gemeinschaft” vor Menschenrecht

Der Kandidat für das Amt des Justizministers im dritten Orbán-Kabinett, der Jurist und derzeit Pariser Botschafter László Trócsányi, hat sich bei seiner formalen Anhörung vor dem zuständigen Parlamentsausschuss gleich standesgemäß eingeführt: mit einer Missachtung Europäischer Gerichte und einem Bekenntnis gegen Rechtsstaat und individuelle Freiheit.

Beim gesetzlich vorgeschriebenen Parlaments-Hearing, unter den heutigen Mehrheitsverhältnissen natürlich ein rein formals Spektakel, äußerte László Trócsányi, der von dem zunächst ins Außenamt, dann nach Brüssel welchselnden Tibor Navracsics das um die Agenda des Öffentlichen Dienstes verkleinerte Justizministerium übernehmen wird, besteht darauf, dass "die lebenslange Haft ohne Aussicht auf Freilassung definitiv Teil des ungarischen Rechtes" bleiben wird.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte das vorige Woche anhand eines konkreten Falles gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gerichtet, schloss aber - was von Regierung und ihren Medien in Ungarn verschwiegen wird - die Möglichkeit einer lebenslangen Sicherheitsverwahrung bei vorliegender Gefährdung nicht aus.
Mehr dazu. Die Einführung der Todesstrafe wiederum lehnte der ehemalige Verfassungsrichter und Delegierte zur Venedig-Kommission und Noch-Botschafter in Paris jedoch wiederum mit Verweis auf diese internationale Konvention ab - Orbáns Amtschef Lázár hatte das Fehlen der Todesstrafe kürzlich "bedauert".

Bemerkenswert ist ein zentraler Satz, den der Minister-Kandidat am Dienstag sagte, nämlich: "Das Recht wird in Zukunft den Interessen der Gemeinschaft dienen und über dem Recht des Individuums stehen." Damit legt Trócsányi das Glaubensbekenntnis der Diktatur ab, denn die genannte "Gemeinschaft" ist - per definitionem de mufti - nicht die Summe der in Ungarn lebenden Menschen, sondern die "Volksgemeinschaft", laut Verfassung sind "alle Ungarn" (auch außerhalb) nationenbildend, der "Rest" ist lediglich staatsbildend.

 

Premier Orbán hatte bereits mehrfach öffentlich festgehalten, dass, wer nicht seinem Weg des "neuen Ungarn" folgen mag, auch nicht Teil der Nation, wörtlich: "unserer Gemeinschaft" sein kann. Gemeinschaften sind immer frei und damit auch politisch-ideologisch interpretierbar, ein Individuum ist es nicht. Denn auch Kollektivrechte werden durch Einzelfälle gewährt, es ist das Individuum, das seine Rechte vor Gericht durchsetzen muss und kann. Werden ihm diese durch eine "höhere Aufgabe" verwehrt, führt das zu Rechtsbeugung und Entrechtung. Letztlich sprach Trócsányi nur aus, was sich durch die forcierte Gesetzgebung der Orbán-Regierung bereits immer mehr in aktives Recht auswirkt. Die Instrumentalisierung der Justiz für politische Zwecke.

Der Parlamentsausschuss bestätigte Trócsányis Kandidatur mit 7 (Fidesz) gegen 2 (Linke) Stimmen bei 2 (Jobbik) Enthaltungen.

red.

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