THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 24 - 2014 POLITIK 11.06.2014

 

Aufbegehren gegen den Machtrausch: János Lázár, das Antlitz des "neuen Ungarn"

Zwei- bis dreitausend Menschen sind noch kein Aufstand und die "Montagsdemo" kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass weder oppositionelle Parteien, noch Bürgerrechtsgruppen oder gar der "Volkszorn" für das Orbán-Regime so bald zu einer Gefahr werden. Doch die Stimmen gegen den jüngsten Machtrausch von Orbáns Vollstrecker, Pitbull und Kronprinzen, Kanzleramtsminister Lázár, werden vernehmlicher und allmählich lagerübergreifend.

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Montag zuerst vor dem ungarischen Parlament gegen die weiteren Einschränkungen in der Medienvielfalt und Pressefreiheit, manifestiert im jüngsten Origo-Skandal sowie der offen politisch artikulierten Werbesteuer, die so formuliert ist, dass es sogar den großzügig alimentierten regierungsnahen Medien den kalten Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Doch die Attacken, die János Lázár reitet, dabei seine und die Macht seines Chefs kaum mehr hinter demokratischen Masken verbergend, gehen noch weiter und betreffen die Zivilgesellschaft insgesamt. Die
Erstellung "schwarzer Listen" "problematischer" Organisationen und Personen, die u.a. "die nationale Sicherheit" gefährden sollen, ist eine neue Qualität der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und findet ihre Vorbilder in klar als autoritär zu beschreibenden Systemen - gewesenen und aktuellen. Die aktuellsten Entwicklungen in der NGO-Affäre mit Norwegen finden Sie hier.

Der Demonstrationszug führte die Protestierer, die absichtlich auf Zeichen der Parteizugehörigkeit verzichteten und deren einziges Symbol die Flagge der ungarischen Republik ist, führte vom Parlament und Sitz des Premiers nicht von ungefähr - symbolträchtig über die Kettenbrücke - zum Firmensitz der Magyar Telekom, die sich im "strategischen Interesse" zum willfährigen
Handlanger der antifreiheitlichen Politik in Ungarn machte. Öffentliche Aufträge gegen ein paar Byokottaufrufe und einen "Shitstorm", da fällt die Abwegung leicht. Dieses Verhalten erinnert daran, dass sich kein Regime ohne wirtschaftliche Basis, ohne Nutznießer, ohne Stützen halten kann. Es ist keine verwunderliche, aber doch eine besondere Schande, dass sich ausgerechnet ein deutsches Unternehmen hier so exponiert. Es ist bei Leibe nicht das einzige ausländische, das gewissenlos agiert, so lange die Profite stimmen und "Strategien" aufgehen.

Der zur Zeit omnipräsente Lázár, der im Fahrwasser des jüngsten Wahlsieges nun die Netze einholt, während sich Orbán - sozusagen in pathologischer Kontinuität bekannter Führersyndrome - um die
architektonischen und repräsentativen Details der Selbstdarstellung Seinerselbst sowie seines Werkes ergeht, dieser charakterlich ebenso zweifelhafte János Lázár, ist Werkzeug und Täter zugleich, sozusagen Hammer und Amboss in Einem. Als frisch gebackener Minister an der Spitze der eigentlichen Regierung Ungarns, dem neustrukturierten, besser: aufgerüsteten Amt des Ministerpräsidenten, MEH, hat er - nur unter Aufsicht seines Chefs stehend - praktisch auf jeden Geldfluss, jede Personalie, jeden taktischen Schachzug und jeden größeren Plan in jedem Winkel Ungarns, in Trianon-Land und in der wirklichen Außenpolitik eine fast uneingeschränkte Machtfülle. Auch gegen diese gingen die Tausenden am Montag auf die Straße.

Lázárs Stellenbeschreibung als MEH-Chef ist geradezu schwindelerregend, zumal er weder der Regierung, noch direkt dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sondern direkt an Orbán berichtet, der dann - demokratisch einfwandfrei - das Nötigste an seine Kontrollorgane (Parlament, Volk) weitergibt.

- Chef des Beraterstabes des Ministerpräsidenten (der nicht zufällig sämtliche anderen Ministerien spiegelt)
- Leiter des Amtes für die Ausschreibung, Vergabe und Kontrolle der EU-Gelder und sonstiger öffentlicher Investitionen (Veto-Recht gegenüber allen Ministerien), Unterabteilungen für "landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung" (lies: Landnahme für Fidesz-Günstlinge), "Forschung/Entwicklung und technologische Innovationen", "Öffentliche Ausschreibungen" sowie "Bauregulierung"
-
Koordinator für die zivilen und militärischen Geheimdienste, einschl. der "Orbán-NSA" TÉK
- Koordinator für "Politikharmonisierung und Regierungsangelegenheiten" (könnte man mit Richtlinienkompetenz übersetzen, meint aber völlige Marginalisierung der anderen Ministerien zu ausführenden Substrukturen des MEH)
- Strukturelle und personelle Aufsicht über den gesamten öffentlichen Dienst (Kompetenz wurde vom Justizministerium abgezogen) und Beauftragter für die "Reorganisation" des öffentlichen Sektors
- Beauftragter für die "Überwachung des gesetzeskonformen Funktionierens der Kommunalverwaltungen"
- Überwachung der "europäischen Angelegenheiten" Ungarns
- Koordination und Entwicklung der Außenwirtschaftsbeziehungen, stratgeische "Ostöffnung", Aufbau eines Netzwerkes von ungarischen "Handelshäusern" (halb privat betrieben, rund 30 sind geplant, erste wurden bereits eröffnet, in Baku, Riad etc.)
- Verantwortlicher für den Schutz des "kulturellen Nationalerbes" (Kunsthandel)

Für Orbán ist diese Konstellation in vielfacher Hinsicht komfortabel: er bündelt die Macht und kann die Grenzen seines Tuns ausloten, ohne sich dabei - in seiner Position gegenüber Investoren, Volk, EU oder internen Machtstrukturen - selbst zu gefährden. Geht Lázárs Feldzug gut, stärkt es ihn,  läuft die Sache aus dem Ruder, kann er kühl lächelnd seinen Vollstrecker verbrennen und selbst noch als Retter der Demokratie in Ungarn auftreten.

 

Wer ist dieser Mann, dieser János Lázár, das fragte die Demo am Montag programmatisch. Eine rhetorische Frage, denn der heute 39jährige ehemalige Oberbürgermeister von Hódmezövásárhely, frühere Fidesz-Fraktionschef, dann Staatssekretär und nun Superminister ist den Ungarn spätestens seit 2010 ein Begriff. Die Stichworte lauten: Audi V8, Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtes, "Wer arm ist, ist selbst Schuld", Tabakhandelslizenzen, Einschränkung der behördlichen Informationspflicht, 1.800 Hektar Staatsland für Freunde und Verwandte, 9.000 EUR Steuergeld für ein paar Hotelübernachtungen in London, 70.000 EUR für eine Fasanenjagd mit Freunden, dazu Dutzende Gesetze in vier Jahren, die auf seinem Mist gewachsen sind, garniert mit dem ewig gleichen, smart-herablassenden Grinsen in die Kameras und ein "Bedauern, dass wir die Todesstrafe nicht einführen dürfen".

Lázár ist das Antlitz des neuen Ungarns, das wirkliche Aushängeschild der Orbán-Regierung, nicht seine hässliche Fratze, sondern sein normales Gesicht, die Quersumme aus all den Rogáns, Kövérs, Bayers, Balogs, Pintérs, Simicskas. Darin sind sich die Tausenden vor dem Parlament mit Millionen zu Hause einig. Mehr aber auch nicht.

Die EU, deren Mitglied Ungarn übrigens ist, schweigt, die EVP-Schwestern sowieso. Allein das Nicht-EU-Mitglied Norwegen meldet sich noch hörbar zu Wort, Oslo hat erkannt, was in Ungarn wirklich auf dem Spiel steht und handelt entsprechend. Daran sollte sich Brüssel ein Beispiel nehmen.

red.

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