THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 25 - 2014 GESELLSCHAFT 18.06.2014

 

Die Selbstgerechten: Bundespräsident Gauck war bei Besuch in Ungarn das Gestern wichtiger als das Heute

Das deutsche Staatsoberhaupt, Joachim Gauck, seit seiner Auszeichnung an Minister Balog als der deutsche Ungarnkenner etabliert, stattete am Montag Budapest einen Besuch ab, aus Anlass des 25. Jahrestages der Umbettung von Imre Nagy und als Anlauf auf die Viertel-Centenariums-Feiern zum Mauerfall und der politischen Wende in Osteuropa. Das akut gefährdete Erbe von 1989 im heutigen Ungarn - das ging Gauck offensichtlich nichts an. Geschichtsverfälschungen hin, Diffamierung von Bürgerrechtlern und Oppositionellen her. Abends war Fußball. - KOMMENTAR

Bundespräsident Gauck am Montag bei der Besichtigung der streitbaren “Schau”
im Haus des Terrors in Budapest

Beim Besuch des von der Regierungs"historikerin" Mária Schmidt betreuten "Haus des Terrors" sprach Joachim Gauck von der "gemeinsamen Aufgabe für die Länder, die unter kommunistischen Dikaturen gelitten haben", die "Vergangenheit aufzuarbeiten". Zwar sprach Gauck auch davon, dass man die Demokratie schützen solle und "jede Art von Terror" zu bekämpfen ist, doch viel mehr unterschwellige Dissenz mit Orbáns Politik fand nicht statt. Sein Wort von der gebotenen Vorsicht vor der "Hybris der Macht" wird in Ungarn nicht als Anspielung verstanden, denn hier vertritt man das Volk und zwar ausschließlich.

Gauck hätte deutlicher werden müssen, - aber er wollte nicht. Nicht einmal zum Thema Stasik-Akten, in Ungarn bis heute von einer “großen Koalition” wohlbehütete Bückware, kam etwas. Das Protokoll der Tournee mit den Präsidenten der Visegrád-4-Staaten an die Orte der Wende platzierte den Inhalt hinter die Form, wie es dem Protokoll wesenseigen ist.

 

Das “Haus des Terrors in Budapest”, einst Gestapo- und SS-, dann Stasi-Sitz, etablierte sich in den letzten Jahren als direktiver Angelpunkt des Orbánschen Geschichtsrevisionismus`. Während die Ausstellung das Verhältnis von Stalinismus : Nazismus / Holocaust in etwa 80:20 abbildet, diffus verwebt und damit den wahren Charakter beider Diktaturen und ihrer Stützen und Kausalitäten bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen lässt, schwadroniert die Direktorin regelmäßig über böse Liberale, den Schaden, den die 68er anrichteten und revidiert frei Hand die Geschichte von Holocaust und Nazismus in Ungarn. Ihr - ebenfalls staatlicher - Kollege vom neuen Institut "Veritas" (Orwell schau herunter!) befand Deportationen ungarischer Juden in von deutschen Nazis besetzte Gebiete bereits als, wörtlich, “fremdenpolizeiliche Maßnahme”. Er ist immer noch im Amt und maßgeblicher Planer von neuen Gedenkzentren, Konferenzen - und Schulbüchern!

Mit diesem Umfeld, speziell dem "Haus des Terrors", wird hinfort die Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen ein groß angelegtes Kooperationsprojekt starten, um die "dunklen Abschnitte der Geschichte" (Gauck) aufzuhellen. Die Kooperation soll eine "Datenbank der Opfer der kommunistischen Regime" erbringen, die ihnen, so Schmidt, "einen Namen geben" soll. Weitere Länder sind gerne zum Mitmachen eingeladen.

Der erhobene Zeigefinger blieb nur allgemein, Orbán traf er damit nicht. In Andeutungen, die ihn wohl ruhig schlafen lassen, in Budapest aber von Keinem verstanden werden, wand er sich durch die Visite.

Wie eine solche Kooperation ohne kritische Anmerkungen zur aktuellen "Gedenkkultur" in Ungarn auskommt, bleibt zwar Gaucks und auch Knabes dunkles Geheimnis, ist aber eigentlich kein Wunder: denn bei dem aktuellen Orbánschen "Gedenkterror" geht es um den Holocaust, den Nazismus und den Zweiten Weltkrieg. Damit ist man in Deutschland sozusagen vorbildlich durch, nun heißt es für Gauck und die Seinen, sich um den eigenen Widerstand und dessen künftige Inszenesetzung, den Nachruhm zu bemühen und sei dies - wie im Falle Ungarns - auch ein Gewinn für Entdemokratisierer vom Schlage Orbáns. Denn bei dem geht es nicht um ein bisschen Eitelkeit, eine Deutung und Bedeutungssicherung, sondern um knallharte Machtpolitik. "Gedenken" ist bei uns in Ungarn ein Mittel konkreter Politik. Einer Politik, diametral zu dem, was der Bürgerrechtler und ebenso der Pfarrer Gauck einmal vertrat.

Dass Gauck - und damit Deutschland - mit dieser Kooperation - speziell mit Frau Schmidt und dem Terrorhaus - Orbáns Reinwaschungen, Relativierungen und offene Geschichtsverfälschungen, seine nationalistisch-völkische Befreiungstheologie, in die auch der Reformsozialist Nagy als Säulenheiliger gepresst wird, indirekt legitimiert, - diese Überlegungen sind angesichts der Haltungen und Äußerungen des deutschen Staatsoberhauptes bei den Themen Ukraine-Russland-Nato, NSA, Kriegseinsätze der Bundeswehr etc. eigentlich keine Überraschung mehr, nur eine logische Fortführung eines von der Macht und der szenebedingten Selbstgerechtigkeit schwer getrübten Weltbildes, das derart “pragmatisch” geworden ist, dass sogar die Kooperation mit Rechtsextremisten, wie denen in der ukrainischen Interimsregierung “für den guten Zweck” möglich wird, auch weil man das gleiche Feindbild teilt und sich offensichtlich nicht von den Reflexen des Kalten Krieges trennen kann und will. Was aber ist dagegen schon eine Kooperation mit Orbán?

Auch die aktuelle Diffamierung Andersdenkender in Ungarn auf allen nur möglichen Ebenen (ob durch Säuberungsaktionen in Gedenkstätten und Hochschulen oder öffentlich-rechtlichen Medien, die Beschimpfung von Demonstranten, auch Holocaust-Überlebenden am Okkupationsdenkmal als "Linksextremisten" etc., der - noch verbale - Ausschluss von Oppositionellen aus der "Nation") sowie seine aktuellen antidemokratischen Eroberungsfeldzüge werden von Gaucks Auftreten in Budapest gestützt - ob er das wollte oder nicht. Ein Essen mit alten, heute politisch abgeschriebenen Kameraden, wie dem Ex-OB Demszky, ist da kein Zeichen, sondern höchstens ein nostalgisches Klassentreffen. So naiv und uninformiert ist man in Berlin nicht, dass man von der aktuellen Hetzjagd auf Amnesty und Co. nichts wusste - von den vier Jahren zuvor erst recht...

Ungarn ist man zu historischer Dankbarkeit verpflichtet, heißt es bei den Deutern der Geschichte immer wieder. Welchem und welchen Ungarn? Sollte man sich von dieser Dankbarkeit - und wohl auch von der eigenen Rolle und Sendung - derart übermannen lassen, dass man das Hier und Heute, die Wahrheit und die Demokratie des Protokolls, des Events oder der "Würde des Amtes" wegen links liegen lässt?

Wenn Gauck - und das nehmen wir an - an der Demokratie auch außerhalb Deutschland und den Opfern im Kampf um selbige verpflichtet ist - dann war sein Auftritt in Budapest ein einziger Fehltritt - gerade im Geiste von 1989, der auf diese zelebrale Weise zum Ritual verkommen muss, zur Phrase. Orbán hat sich bereits mehrfach und ganz offen aus der Riege der Demokraten und Europäer entfernt (hier eine der aktuellsten Deklarationen dazu) und arbeitet hart und stringent daran, seinem Land und sogar Europa den gleichen Weg zu weisen. Daraus müssen endlich Lehren gezogen werden.

Vier Fäuste für ein Hallelulja: die Ex-Pfarrer Eppelmann und Gauck beim Fußballgucken auf der Terrasse des Kempinski am Montagabend in Budapest.

red. / m.s.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.