THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 25 - 2014 NACHRICHTEN 16.06.2014

 

Verlustängste: RTL interessiert sich in Ungarn plötzlich für die Politik

Die neue Werbesteuer für Medien, die, ab einem Umsatz von ca. 1,6 Mio. EUR im Jahr die Unternehmen 10 bis 40% ihres Umsatzes kosten wird, schlägt weiter hohe Wellen. Orbán und sein Kanzleramtschef Lázár lassen keine Zweifel daran, dass politisch-strategische Ambitionen über dem fiskalischen Effekt für diese Maßnahme stehen. RTL schwingt sich aus Verlustängsten nun zum Kämpfer für die Pressefreiheit auf.

RTL schaut genauer hin: Orbáns heimliche Vermögenswerte, die Karrieren seiner Freunde, versickernde EU-Millionen. Bis vor kurzem war das bei RTL Klub kein Thema, heute sind es die Aufmacher. Ein vorgetäuschter Sinneswandel im Eigeninteresse, der dem Sender viel Spott und Häme aus den Reihen richtiger Journalisten einbrachte. Allerdings: viele Ungarn erfahren - der Reichweite RTL´s Dank - so wirklich erstmals was von den epischen Raubzügen der Regierungstruppe...

Kanzleramtschef Lázár bezeichnete die Ankündigung von RTL, das rund die Hälfte der geschätzten jährlichen 9 Mrd. HUF (30 Mio. EUR) zu tragen haben wird, sich mit allen nur denkbaren Möglichkeiten gegen die Steuer zu wehren, als eine "Erpressung", die der Sender "in Deutschland machen" solle, aber nicht in Ungarn, Orbán schob nach, dass "RTL - auf die eine oder andere Weise - irgendwann ungarisch" sein wird und behauptete, dass die Werbesteuer gar nicht steuerlich nötig sei, aber der "Gerechtigkeit" diene, denn nun würde auch die Werbebranche ihren "Anteil an den öffentlichen Lasten" tragen (die zahlen natürlich sämtliche anderen Unternehmenssteuern auch).

Die Oppositionspartei E2014 kündigte an, sich an Brüssel zu wenden, um die Steuer aufzuhalten, vor allem, da man einen schweren Schaden für die Reste von Meinungsvielfalt und damit -freiheit für Ungarn fürchtet und hofft, die Nichtvereinbarkeit mit EU-Regeln nachweisen zu können. Möglicherweise funktioniert das aber - wie bei anderen Branchensteuern - nur über den Nachweis, dass die sektoralen Steuereinnahmen nicht für den gleichen Sektor ausgegeben werden. Dann wären die Steuern nämlich nicht EU-konform und ein Verstoß gegen den fairen Wettbewerb. Lázár wollte die Einnahmen in die Kindergartenentwicklung investieren.

RTL Klub, der ungarische TV-Marktführer in deutschem Eigentum, nutzt seine bestehende Medienmacht und lancierte in den vergangenen Tagen eine Reihe Sendungen, die sich in scharfer Form gegen die Regierung wandten. Das ist insofern interessant, da RTL bisher eher mit einer konsequenten Boulevardisierung und Kommerzialisierung versuchte, politische nicht anzuecken und die für sie nicht ungünstigen Werbebedingungen des neuen Mediengesetzes zu nutzen. Sogar an den Präsidenten schrieb man einen Brief, darin betonte man die gefährdeten demokratischen Werte, nicht den drohenden Umsatzeinbruch.

Dieser Kurswechsel im Eigeninteresse wird denn auch von anderen unabhängigen Medien kritisiert, die konstatieren, dass es RTL auch diesmal nicht um die Pressefreiheit als solcher geht, sondern sie politische Berichterstattung nur als Mittel zum Erhalt der eigenen Profite einsetzt. Sollte RTL damit durchkommen und z.B. einen Nachlass bei der Steuer erreichen, wird dem Medienriesen das Schicksal der anderen Medien, die z.B. dem offen oppositionellen ATV, aber auch von Zeitungen und Interneportalen wieder gleichgültig sein. Mit seinem üblichen Zynismus reagierte Kampfschreiber und Orbánfreund Zsolt Bayer auf den Wandel bei RTL. Die Opposition solle doch nicht jammern, immerhin habe die Regierungsmaßnahme aus RTL "von einem Tag zum anderen aus einem Boulevard-Sender einen unerschrockenen Regierungskritiker gemacht"...

 

Die EU-Kommission hat die Vorgänge zur Mediensteuer - wiewohl "erst" zwei Wochen jung - bereits zur Kenntnis genommen. Die Sprecherin von Orbáns zweitliebster (nach Reding) Kommissarin, Neelie Kroes, sagte, dass man sich bereits "die Details der Regelung" ansieht, aber noch nicht sagen könne, inwieweit die Kommission Handhaben dagegen zur Verfügung hat und "ob die neue Kommission gegen die Einschränkung der Pressefreiheit" vorgehen kann. Der Europäische Verlegerrat sowie die Vereinigung kommerzieller TV-Sender in Europa kündigte an, ebenfalls gegen die Steuer vorgehen zu wollen, auch die OECD meldete sich mit "Bedenken" zu Wort.

Orbán teilte seinem Volk am Freitag via Radiosendung mit, dass "Branchensteuern" (neben Medien gibts die auch für Telekoms, Handelsketten, Energiekonzerne, Banken) die Voraussetzung dafür seien, dass man die Einkommenssteuern "noch in dieser Regierungsperiode unter 10%" senken könne (Flat tax derzeit 16%, allerdings bei enorm gestiegenen Verbrauchssteuern). Ab 2018 solle dann die "Superflat"-Tax kommen. Ökonomen lächeln dabei nur gequält: angesichts der Budgetpläne, der Schuldenquote und der Finanzpolitik müsste dafür ein durchschnittliches Wachstum von 5-6% stattfinden, das man nicht einmal im Ansatz erkennen könne. Oder: man führt weitere Steuern ein...

red.

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