THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 29 - 2014 POLITIK 20.07.2014

 

Mehr Euros, weniger Europa: Orbáns Ungarn zurück auf der EU-Bühne

Nach der blamablen Performance beim Widerstand gegen die Wahl Jean Claude Junckers als EU-Kommissionspräsidenten, versuchte der ungarische Premier Viktor Orbán beim jüngsten EU-Gipfel seine isolierte Position zu kaschieren. Er nutzt dazu den informellen Staatenbund der "Visegrád Vier" als Plattform, spricht im Namen "Mitteleuropas", als Tribun eines benachteiligten Ostens und der "bedrohten Nationalstaaten". Doch seine Europapolitik bleibt, was sie war: parasitär.

Hintergründe zur aktuellen ungarischen EU-Politik
und Details zum
"Absorbtionsmodell" von EU-Geldern

Impressionen vom EU-Gipfel am Donnerstag, Fotos: Amt des Ministerpräsidenten

Die osteuropäischen Mitgliedsstaaten sind beim bisherigen EU-Postenschacher, so zumindest die von Orbán kolportierte Meinung bei den V4, zu kurz gekommen und wollen daher wenigstens bei der Besetzung des ständigen Ratspräsidenten sowie des Außenbeauftragten ein Wörtchen mitreden. Die V4, neben Ungarn gehören dazu Polen, Tschechien und die Slowakei, nutzte Orbán bereits mehrfach als Maske für die verdeckte Positionierung seiner Partikularinteressen gegenüber der EU, den Polen Tusk kratzt das nicht weiter, denn er hat ein gutes Standing und den direkten Draht zur Macht, der Slowake Fico ist ohnehin eine "sozialdemokratische" Version Orbáns und in Tschechien herrscht ein derartiges Politkchaos, dass man gar nicht dazu kommt, sich mit dem wunderlichen Gernegroß aus Budapest zu befassen.

 

Orbáns Engagement zielt vordergründig auf die "Verhinderung schleichender Veränderungen der Europäischen Verträge", die behauptete "Anmaßung weiterer Kompetenzen zum Nachteil der Nationalstaaten" durch Brüssel. Hier werden von Orbán vor allem Tendenzen einer künftig stärkeren Kontrolle der nationalen Haushalte sowie das Streben nach einer - wie stark auch immer - harmonisierten Steuer- und Wirtschaftspolitik bekämpft.

Orbán stellt solche Bestrebungen, die eine Lehre der Banken- und Wirtschaftskrise sind und u.a. von Juncker betrieben werden, als weiteren "Kolonialisierungsversuch" durch "Finanzmarktkreise, Konzerne und ihre Erfüllungsgehilfen der Brüsseler Bürokratie" dar, meint damit aber seine Angst davor, dass ihm der ungehinderte und gerade wieder verschärfte Zugriff auf EU-Milliarden und die teilweise nicht EU-konforme Sonderbesteuerung erschwert werden könnte.

Orbán untermauerte diese Haltung auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des Personalgipfels in der Vorwoche. Auf Orbánisch hieß das dann: "Die Einhaltung von Prinzipien geht vor Personalentscheidungen", lies: wer mir nicht in mein insulanisches Konzept passt, verstößt gegen EU-Prinzipien. Eine verblüffende Logik. Immerhin gibt Orbán zu, dass zu diesen "Prinzipien" auch der Verbleib der "Entscheidungsgewalt über Steuerfragen auf nationaler Ebene" zählt und er behauptet, dass "Europa nicht in der Lage ist, mehr für die Schaffung von Arbeitsplätzen (in Ungarn) zu tun als Ungarn."

Lacht man mit ihm oder über ihn? Orbán mit den Regierungschefs von Österreich, Bulgarien und Slowenien.

Natürlich zielt diese Aussage auf den neu geschaffenen Riesenfonds für die Arbeitsplatzschaffung und das angekündigte 300 Mrd.-EUR-Konjunkturprogramm Junckers. Auch hier will man das Geld, aber nicht, dass irgendwelche EUler erfahren, was damit wirklich geschieht. Orbán "schuf" seit Amtsantritt 2010 bisher exakt 850.030 Arbeitsplätze: 250.000 Kommunalbeschäftigte mit einem Einkommen aus Steuergeldern von 170.- EUR pro Monat, 600.000 für ungarische Fach- und Hilfskräfte in England, Deutschland, Österreich usw. sowie 30 Platzwarte in neuen Fußballstadien.

Orbán versucht sich weiter darüber zu empören, dass den Mitgliedsländern "offen oder verdeckt immer mehr Macht entzogen" worden sei, eine "Praxis, die gestoppt werden muss", denn "Dinge wie diese ruinieren die Glaubwürdigkeit der EU im Auge der Wähler", was - und jetzt kommt´s - dazu geführt habe, dass "sich mehrere Mitgliedsländer inzwischen gegen die EU-Institutionen wendeten". Dieser Satz ist interessant von einem Mann, der ganz offen Anti-EU-Kampagnen fährt und Brüssel landauf landab als "neues Moskau" tituliert. Ein Parasit, der seinen Wirt schwächt. Das ist nicht einmal aus dem Blickwinkel Orbáns klug.

Ein Kleinod für Freunde der Körpersprache: Orbán mit seinem luxemburgischen Amtskollegen...

Als ungarischen EU-Kommissar hat er mit Ex-Justizminister und jetzigem Außenminister Tibor Navracsics einen treuen Gefolgsmann und Architekten der Unterwerfung der ungarischen Verfassungsordnung unter Parteikontrolle nominiert. Hinsichtlich der noch zu vegebenden Posten habe er im übrigen "eine Liste von Personen, deren Position der ungarischen ähnlich" sei, er wolle diese aber erst zum "geeigneten Zeitpunkt" präsentieren, also offenbar erst dann, wenn er damit den größtmöglichen Lärm machen und den Fortgang der Arbeit der Institutionen am effektivsten stören kann. Doch für Orbáns Liste interessiert sich in Brüssel kein Mensch mehr.

Derweil drehen sich die EU-Mühlen beständig weiter, fast jede Woche startet ein neues Vertragsverletzungsverfahren oder ergeht ein Urteil oder eine "begründete Stellungnahme" Richtung Budapest, die Ungarn nicht nur weiterhin Reputation kosten, sondern auch den lebensnotwendigen Mittelzufluss immer wieder stocken lassen.
Mit Mühe und Not nur verhindert man noch die Eröffnung eines neuen Defizitverfahrens, natürlich muss Orbán da alle Geister anrufen, um einen tieferen Einblick in sein Potjomkinsches Reich zu verhindern.

 

Auch die Schaukelpolitik gegenüber Russland - besonders erkennbar am Umgang mit dem Ukraine-Konflikt - führt Orbán fort, stets darauf bedacht, seinen neuen Patron Putin, der sein Land mit einem 10 Mrd. EUR-Kredit ab kommendem Jahr an der Angel hat, bei Laune zu halten. Orbán hält daher "weitere Sanktionen gegen die Interessen Europas und Ungarns" gerichtet und lässt ansonsten für eine "souveräne, unabhängige Ukraine mit weitreichenden Minderheitenrechten" werben, glücklicherweise ohne diesmal zu konkret zu werden oder gar das böse A-Wort zu benutzen. Gleichzeitig kündigte Budapest an, "sicherzustellen, dass nicht ein einziger Ungar in der Welt ohne Schutz" bleibt, was interessant zu werden verspricht, wenn es einmal ernst werden sollte. Anfang der Woche will man sich im Rahmen der Visegrád Vier in Warschau zur Ukraine-Problematik abstimmen.

red., a.l.

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