THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 21 - 2014   KULTUR 20.05.2014

 

Teufelsaustreibungen: Budapester Bürgermeister eröffnet gemeinsam mit Rechtsextremisten "Christliches Theaterfestival"

Am vergangenen Freitag wurde am "Új Színház" in Budapest, dem "Neuen Theater", das erste "Christliche Theaterfestival", kurz KerFeszt, eröffnet, das noch bis 22. Mai andauert und "hoffentlich eine neue Tradition begründet", so Budapests Oberbürgermeister István Tarlós, Fidesz, bei seiner Eröffnungsansprache nach einer Heiligen Messe. Theater- und Festivalleiter ist der von Tarlós gegen den Protest seiner eigenen Expertenkommission und Widerstand aus der in- wie ausländischen Kulturszene ernannte rechstextremistische Propagandist und Jobbik-Anhänger, György Dörner.

Keine Persiflage, sondern ernst gemeint: Szenenfoto aus einem der Sakralschinken beim KerFeszt, rechts, mit Schwert, Intendant und “Charakterdarsteller” György Dörner.

Dieser sorgte in seinem "Kampf gegen den liberalen Mainstream" in seinen ersten zwei Spielzeiten zunächst dafür, den Spielplan um Qualität und freidenkerisches Gedankengut zu bereinigen, unliebsames Personal zu entlassen und durch linientreue Günstlinge zu ersetzen. Brachten ihm die ersten Vorstellungen noch ein volles Haus, Dank massenhafter Freikarten für rechtsradikale Motorradgangs und Busladungen von Jobbik-Anhang, schaffte er es binnen Monaten, die Auslastung des kleinen Theaters auf 40% zu senken und damit zu halbieren. Das Theaterparkett scheint schlicht nicht das natürliche Habitat der Stiefelträger. Selbst ein mit offen antisemitischer Bühnenpropaganda inszenierter Skandal verhalf ihm nicht mehr zu mehr Zusehern.

Dörners Auslastung ist hingegen hervorragend, bessert der Direktor sich doch sein Salär durch umfangreiche Selbstbesetzungen in diversen Hauptrollen auf. Fast alle Regiearbeiten des laufenden Repertoires wurden von Zsolt Pozsgai besorgt, der Ende 2013 das Theater im Streit mit dem als herrisch berüchtigten Dörner verließ. Pozsgai, einst auch international durchaus ein anerkannter Dramatiker und Theatermann, hatte seine Karriere außerhalb der "Nationaltragödie" mit seiner Berufung ans Neue Theater 2012 erledigt. Mit im Aufgebot sind auch Gastinszenierungen des neuen Nationaltheaterdirektors Vidnyánszky sowie des "Regierungskommissars für die Promotion kultureller Werte", Kerényi. Dass sich auch die als "UNESCO-Künstlerin für den Frieden" geführte Volksmusikantin Márta Sebestyén für diese Szene hergibt, ist nur noch eine Randnotiz.

Das von der Stadt mitfinanzierte Festival entstand aus der "Notwendigkeit für hochwertige Aufführungen von christlichen Themen", denn "unter der kommunistischen Herrschaft wurden sie unterdrückt und selbst nach dem Regimewechsel 1990 wurden sie nicht mehr zum Teil des täglichen Theaterlebens." so Oberbürgermeister Tarlós. Die Macher beklagen, dass das "christliche Erbe heute in Europa kaum noch erwähnt" wird, man es aber "unter der Haut fühlt, dass sich anstelle Gottes immer mehr die gottlose Zügellosigkeit" ausbreitet, der Islam "Krieg gegen die Christenheit" führt, das "große Böse und die Ungläubigkeit" Einzug halte.

"Unsere Mission" ist das "Ende der Globalisierung..." und der "Schutz der nationalen und religiösen Werte". In diesem Sinne will das Festival "ein Licht auf die Heiligkeit des Glaubens" werfen und "gemeinschafts- und nationenbildend" wirken. Man bedankt sich für die Unterstützung bei jenem Franziskanerpater aus Siebenbürgen, der sich erst kürzlich auf offener Bühne von Premier Orbán die 500.000ste ungarische Staatsbürgerschaft verleihen ließ, einer nahegelegenen Kirche stadtbekannter Katholiban und dem Budapester Rathaus. Auch eine Theatergruppe aus Madrid konnte man für das internationale Flair gewinnen.

Die vorgestellten Stücke sind entsprechend: pathetischer, frömmelnder Kitsch ohne jeden künstlerischen Wert und mehr an Exorzismus, denn an Dramatik erinnernd. Wäre der Hintergrund nicht so ernst, könnte man das Festival als "absurdes Theater" oder Kabarett-Act empfehlen. Im Mittelpunkt der steht neben der Läuterung des Einzelnen auf den "richtigen" Weg, der Verehrung "nationaler Helden", vor allem der heilige Bund zwischen Religion und Nation, das sakrosankte Ungarntum als die von Gott gegebene Konstellation im Karpathenbecken.

Getreu dem Motto von Kunstakademiepräsident und Großinquisitor György Fekete, ein offen antisemetischer, von der Regierung aber eben so offen unterstützter Innenarchitekt, der bei der "Staatskunst" alle personellen und finanziellen Fäden in der Hand hält, wonach "Kunst national sein muss", fährt auch das mit einem Regierungstreuen besetzte Nationaltheater diese Linie, im Neuen Theater kann man sozusagen die provinzielle Kammervariante der imperativen Retrowelle bestaunen.

 

Dass sich ein Fidesz-Mann und ein Rechtsextremist darin treffen können, verwundert kaum, denn die vorgebetete Rassentheologie ist längst ein Grundbaustein der Regierungsideologie geworden, was sich u.a. im aktuellen Geschichtsrevisionismus, aber auch in einer eiundrücklichen Blut-und-Boden-Rede Orbáns manifestiert und sich als Teil der Bildungspolitik, z.B. mit staatlich finanzierten "Schülerwallfahrten an heilige Orte des Ungarntums" in Nachbarländer auch ins praktische Leben der Bürger einschleicht. Dass dieses völkische Gedankengut zwangsläufig auf die Abwertung von Minderheiten hinausläuft - wie war das mit der Nächstenliebe? - , belegen auch aktuelle Tendenzen in ungarischen Pflichtschullehrbüchern, hier aufbereitet beim Blog Pusztaranger.

Dass sich kirchliche Strukturen für diese Blasphemie hergeben, ist auch nichts Neues, dem Klerus in Ungarn erscheint die Aufrechterhaltung der Glaubenswilligkeit immer noch nützlicher als ein Fortschreiten des tödlichen Giftes des Säkularismus. Im Kampf gegen den "liberalen Ungeist" schmiedet sich problemlos die Koalition derjenigen, deren tatsächliches Angebot für Lebensperspektiven so dünn ist, dass man den Zauber darum umso dicker auftragen muss...

a.l.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.