THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 21 - 2014   WIRTSCHAFT 19.05.2014

 

Verfassungswidriges Finanzgebaren: Der Schuldenstand von Ungarn wächst beängstigend schnell

Der fremdverschuldete und überweigend eingebildete Aufschwung sowie die tatsächliche Machtfülle lassen die ungarische Regierung immer fahrlässiger werden: Ungarns öffentliche Schulden haben im ersten Quartal 2014 sowohl in absoluter Höhe wie in Relation zur Wirtschaftsleistung ein neues Allzeithoch erreicht. Die Orbán-Regierung agiert damit gegen ihre eigene Verfassung und fällt im regionalen Vergleich weiter zurück. Konsequenz? Weitermachen.

Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Ungarn betrug Ende März nach EU-Methode 24.904 Milliarden Forint, rund 81,5 Mrd. EUR bzw. 84,6% des BIP, melden Statistisches Zentralamt und - verklausulierter - auch die Ungarische Nationalbank. Die Schuldenquote stieg damit innerhalb eines Jahres um 1,5 Prozentpunkte und sogar um 5,4 Punkte gegenüber Ende 2013. So viele Schulden hatte Ungarn noch nie und seit der Lehman-Krise 2008/09 stieg die Staatsschuld nicht mehr so schnell.

Auf die Forintschwäche fallen lediglich 380 Mrd. Forint des Anstiegs, während 1.456 Mrd. auf "Transaktionen" zurückzuführen seien, lies: Ausgaben und neue Schulden. Aufgrund der hohen Nachfrage durch vagabundierendes Kapital hatte das staatliche Schuldenamt ÁKK in den letzten Monaten deutlich mehr Anleihen verkauft als zunächst geplant und als durch die Fälligstellung von Schuldpapieren unmittelbar notwendig gewesen wäre.

Die Regierung kommunizierte zunächst, dass die Übernahme der Kommunalschulden im Zuge der Zentralisiserungpolitik in Höhe von 404 Mrd. HUF den Anstieg verschärft habe, was aber eine falsche Darstellung ist, die man kleinlaut wieder zurücknehmen musste. Denn im gleichen Maße wie die Bilanz der Staatskasse durch diese Aktion verschlechtert wird, verbesserte sich jene der Kommunalkassen, die - zusammen mit den Sozialfonds (Rente, Gesundheit) das öffentliche Finanzportfolio bilden.

Experten erkennen mehrere Ursachen für den massiven Schuldenanstieg: Kosten von Wahlkampfgeschenken (Energeikostensenkung) und Prestigeprojekten (Stadien, etc.) Steuerausfälle in verschiedenen, zu optimistisch bewerteten Segmenten (Tabaksteuer, Zusatzeinnahmen durch elektr. Kassensysteme etc.), Geldsammlung für weitere Nationalisierungprojekte (Energie, Banken) sowie Angst vor zukünftig steigenden Anleihezinsen u.a durch eine Verschärfung der Krise in der Ukraine, die sich nach ersten Schätzungen der Weltbank und der Europäischen Entwicklungsbank schon beim jetzigen Stand mit 1-1,5 Punkten auf das ungarische Wirtschaftswachstum auswirken wird.

Durch die massiven Anleiheverkäufe, die durch nach wie vor extrem niedrige Zinssätze (um 3 bis 3,5%) stieg wiederum der Anteil ausländischer (institutioneller) Gläubiger an der ungarischen Staatsschuld, was die ungarische Regierung jedoch verhindern wollte, aus ideologischen Gründen, aber auch um ihren Einfluss auf die Guthaben der Bürger auszudehnen. Zu glauben, man mache nun ein gutes Geschäft, in dem man "günstige" Anleihen auf den Markt werfe, ist ein Irrlgaube, so lange man die Rückzahlung nicht aus eigenen Mitteln stämmen kann. Ende Juli werden übrigens schon die nächsten 2 Mrd. USD fällig.

Auch wenn sich die Schuldenquote Richtung Jahresende naturgemäß leicht erholt, hat die Orbán-Regierung ihren ausgerufenen "Krieg gegen die Schulden" verloren, vor allem, da man strukturelle Reformen, die auf einer transparenten Wirtschafts- und verlässlichen Steuerpolitik fußen müssten, unterließ. Dazu passt die aktuelle Meldung von Fidesz-Fraktionschef Rogán, der gerade einen Ausbau der Wohnförderprogramme ankündigte. Diese sind so gestaltet, dass praktisch nur die Mittelschicht davon profitiert, also steuerfinanzierte Klientelpolitik.

Ungarn verliert bei der Verschuldung und damit beim finanziellen Handlungsspielraum gegenüber den vergleichbaren Volkswirtschaften der Region, wie Polen (57% des BIP), Slowakei (55%) oder Tschechien (46%) an Boden, das Ziel der "Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit", um "der EU-Wachstumsmotor" und das "industrielle Zentrum Europas" zu werden, rückt in weitere Ferne.

Gleichzeitig verfehlt man auch die in der Verfassung verankerte Vorgabe einer "Schuldenbremse", bei der, schrittweise  ein Schuldenlimit von 70, dann 60 und letztlich 50% des BIP erreicht werden soll. Die Verankerung im Grundgesetz führt dazu, dass die Regierung spätestens ab kommendem Jahr verfassungswidrige Haushalte aufstellt. Der von ihr installierte Haushaltsrat müsste dagegen sein Veto einlegen, sogar eine Parlamentsauflösung und Neuwahlen könnten dann - laut Fidesz-Verfassung - die Folge sein. Dieses Szenario, sozusagen die politische Pfändung der Regierung, hatte man ursprünglich für den Fall eines Machtwechsels geplant.

Die Gefahr, das Fidesz dieses Konstrukt nun selbst auf die Füße fällt, besteht jedoch nicht, denn mit der verfassungsändernden Mehrheit im Parlament kann man das Grundgesetz jederzeit bequem ändern, so wie man es seit Anfang 2012 bereits fünf Mal getan hatte. Als Ausrede könnte wieder die "durch die Gier der Spekulanten und Multis und die Unfähigkeit der ihnen dienenden Brüsslerer Bürokraten verlängerte Krise im Euroraum" herhalten. Um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen und das Land flüssig zu halten, müsste man sich wiederum an "Multis" und "Banken" wenden, wenn man nicht das schon arg gebeutelte Volk weiter bzw. wieder schröpfen will. Doch Kapital- wie Facharbeiterflucht sind längst ein existenzbedrohendes Dauerthema für Ungarn, in beiden Gruppen sind die Belastungsgrenzen überschritten, zumal den Banken noch in diesem Jahr ein nicht geringer Teil der privaten Forex-Schulden aufgebürdet werden.

Orbán bleiben für eine "Gesundung" oder besser - für das Überleben - nur noch die Hoffnung auf ein Wirtschaftswunder, denn es bräuchte jährlich mindestens 5% BIP-Wachstum (erwartet 2,5% maximal bei 307 HUF/EUR), um diesen Schuldenberg ohne weitere Sparpakete im Griff zu halten. Bis dahin trösten die Devisenreserven der Nationalbank, rund 34 Mrd. EUR und die letzten Cashreserven des Landes, außerhalb der privaten Ersparnisse...

 

Nicht einbezogen in die aktuelle Schuldenrechnung ist der riesige Berg von 13 Mrd. EUR, also rund 15% einer Jahreswirtschaftsleistung, die in den kommenden Jahren für den Ausbau des AKW in Paks das Schuldengebirge erhöht. 10 Mrd. davon kommen aus Russland als Forex-Kredite auf Eurobasis zu Zinsen von über 4%, 2-3 Mrd. EUR muss Ungarn parallel dazu als Eigenleistung aufbringen. Die Staatsschulden soll dieses gigantomane Projekt nicht tangieren, denn die Schulden werden auf den staatlichen Energiekonzern MVM ausgelagert. Bezahlen wird sie natürlich dennoch die Öffentlichkeit, über die Stromrechnung oder über Steuern.

cs.sz. / red.

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