THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 29 - 2014 GESELLSCHAFT 20.07.2014

 

Selbstbild und Karikatur: Das Okkupationsdenkmal in Ungarn ist fertig

"The Eagle has landed...". Im Schutze der Nacht, begleitet von einer Polizeihundertschaft ließen die Behörden das umkämpfte "Okkupationsdenkmal" in Budapest fertigstellen. Kontext und Entwurf ließen bereits Epochales befürchten, doch die Scheußlichkeit der Ausführung übertrifft noch einmal Jedermanns Erwartungen. In Summe entstand ein schockierend aufrichtiges Selbstbildnis dieser Regierung und ihrer Ideologie. Das Mahnmal bekommt so einen Wert. - Eine Rezension.

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Eineinhalb Monate verzögerten die täglichen Proteste die für Ende Mai verfügte Fertigstellung, noch am Samstag scheiterte auch der letzte Versuch, das Projekt von einem Gericht zum Gegenstand einer Volksabstimmung im betroffenen V. Bezirk Budapests zu machen und damit aufzuhalten. Die Richter lasen sich das dazugehörige Regierungsdekret durch, in dem von einem "Projekt von außerordentlicher ökonomischer (!) Priorität" die Rede war, eine Klassifizierung, die von der Verfassung gedeckt und so dem Zugriff der Justiz entzogen ist.

Über das Denkmal selbst und die Motive, die zu seiner Installation führten, befragten wir
hier einen ausgewiesenen Experten, über den "Erinnerungskrieg" und Kontext der neu gestellten "Judenfrage" in Ungarn lesen Sie hier mehr und weitere Aspekte der konfrontativen, politisch instrumentalisierten Erinnerungspolitik, die wir als "partielle Holocaustleugnung" einordnen müssen, sind in diesem Text nachzulesen. Damit ist und bleibt alles Wesentliche gesagt, einzig die ästhetische Scheußlichkeit, die irrtierend offenherzige Abgeschmacktheit der Ausführung ist noch eine Betrachtung wert.

 

Das Denkmalsensemble erscheint uns in einer Atem raubenden Mischung aus angestrengtem, künstlerisch wertlosen Naturalismus, den man in ein pseudosakrales Tempelambiente verpflanzte. Die Anordnung, frei von Überlegungen zu Proportion, Materialmix oder Farbigkeit, irrlichtert zwischen Altargemälde, heidnischer Kultstätte und spätrömischem Götterkult, behangen mit Details, die an der Zurechnungsfähigkeit der Ausführenden Zweifel aufkommen lassen. Es gab von den Nazis errichtete "Germanentempel", die mehr Pietät und ästhetisches Gefühl bewiesen als dieser zusammengehunzte Sperrmüll aus der Werkstatt eines linientreuen Bauhofvorstehers. Der Zweck war ja bei beiden der gleiche, die Exposition der herrschenden Rassentheologie.

Es ist nicht nur die absurde Menschengestalt des Engels, dessen androgyne Gesichtszüge uns justament an den jungen Studentenführer Orbán oder eine x-beliebige Darstellung von Olympia 1936 erinnern oder die verkitschte Klischeehaftigkeit (siehe Jesus in Rio) seiner Haltung. Es ist auch der auf ihn stürzende Reichsadler, dessen Flügelkleid doch viel eher an einen Geier, seine Ausarbeitung wiederum an einen gefiederten Darth Vader erinnert und der nicht als Bedrohung, sondern als Karikatur seiner Spezies vom Himmel stößt, warum auch immer. Ihn hat man mit der Jahreszahl 1944 beringt, ihn quasi zu einer Brieftaube gemacht. Darauf muss man erstmal kommen?!

Doch wenn man glaubt, es geht nicht schlimmer, gleißt uns in der Sommersonne ein apostolischer Reichsapfel in der rechten Hand des Engels an, zu welcher auch sein melancholischer Blick gerichtet ist und der uns wohl vom Gottesgnadentum des ungarischen Königreichs berichten soll, in dem der Engel selbst ihn vom Himmel mitbrachte. In der linken Hand wäre übrigens noch Platz für ein Zepter oder einen Ölzweig. Denkbar aber auch, dass man dort später noch andere Gestalten andocken möchte, ander Seite wäre auch noch Platz für einen hufescharrenden minoischen Stier (Sie wissen schon: Europa usw.) Work in progress, sozusagen...

Damit auch keine Zweifel aufkommen, hat man das Denkmal deutlich sichtbar, in großen Lettern beschriftet. Das war gut so, nur hätte man dies mehrsprachig tun sollen, denn Touristen werden es noch immer für die misslunge Rekonstruktion eines allegorischen Fieberschubs aus dem 19. Jahrhundert halten und nicht für die Krönung ungarischer Erinnerungskultur am Beginn des 21. An ein Mahnmal für “alle Opfer der deutschen Besatzung Ungarns”, so die offizielle Betitelung, erinnert schlicht gar nichts.

Der Aussage-, ja Bannkraft dieses Ensembles nationaler Verklärtheit mochten sich auch mehrere Hunderte Protestierende - darunter übrigens auch Holocaustüberlebende - am Sonntag nicht entziehen, die fassungslos, geradezu hypnotisiert seit dem Mittag in gleichnamiger Hitze vor dem Denkmal, zu dem ein paar Dutzend Wachhabende und ein doppelter Absperrzaun, möglicherweise auch Ex-Premier Gyurcsány auf einer Bierkiste obligatorisch dazu zu gehören scheinen, ausharrten.

Transparente erschienen, die ersten Eier flogen, wobei sich die Schalen selbiger im Schoß des Engelswesens sammelten, so als hätte da gerade jemand etwas besonders Originelles ausgebrütet. Neues Leben, geboren aus dem tödlichen Schicksal: an dieses Bild hätte der Bildhauer auch selbst denken können!

Aber wie jedes Denkmal, lebt auch dieses nicht unwesentlich von der Rezeption und der Interaktion mit den Nutzern - oder der von ihm Benutzten. Und so möge die Regierung den Mut aufbringen, diesen Jungbrunnen ungarischer Geschichtsschreibung auf dem Freiheitsplatz in selbige zu überführen, auf das es von jenen, denen es ausdrücklich von Orbán gewidmet wurde, nämlich "allen Opfern" in Besitz genommen werden kann.

 

Auf Nebenstraßen und im Dunkeln, wie zwei Diebe auf der Flucht, gelangten gegen 2 Uhr nachts der Opferengel und seine deutsche Kampfkrähe an den ihnen zugewiesenen Freiheitsplatz und vollenden, in Sichtweite zum Denkmal für die im Kampf um die Befreiung Budapests vom Nazismus gestorbenen Sowjetsoldaten, das neue Flagschiff amtlicher Erinnerungsdoktrin. Zwei "Besatzungsdenkmale" am Freiheitsplatz, so die Diktion. Seit heute steht hier ein eindringliches und letztlich grundehrliches Selbstbildnis dieser Regierung und ihrer Ideologie, womit dem Ensemble doch noch eine nützliche, weil mahnende Funktion zu Teil werden kann. Ein Okkupationsdenkmal, das nur durch eine Okkupationshandlung errichtet werden konnte...

Im Übrigen freuen wir uns auf die baldige Einweihungsrede unseres Ministerpräsidenten, der kürzlich schon bei der Ehrung Tiszas ein Feuerwerk an Bonmots wie Kamelle unter die Umstehenden streute, diesmal noch begleitet von der Blaskapelle des Antiterrorzentrums TÉK.

Marco Schicker

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