THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 30 - 2014 GESELLSCHAFT 22.07.2014

 

"Ein paar Schatten": Fortsetzungen im Skandal um das Okkupationsdenkmal in Ungarn

Wie sich noch am Sonntag heraustellte, ist die am Denkmal angebrachte hebräische Version der Widmung "Zum Gedenken an die Opfer" fehlerhaft übersetzt worden, in dem man anstelle des hebräischen Wortes für "Opfer" das Wort mit der Bedeutung Tieropfer / kultisches Opfer verwendete. - Eine Einweihungszeremonie wurde abgesagt, Orbán rechtfertigte sich, sein Amtschef eierte herum. Die tiefgründige PR-Blamage hielt die Regierung aber nicht davon ab, einen Rechtsextremisten zum neuen Botschafter in Italien zu ernennen.

Das Kommunikationsamt der Regierung rechtfertigte den Faux pas der fehlerhaften Übersetzung in einer knappen Stellungnahme damit, dass diese vom "Nationalen Übersetzungsdienst" (oder doch nur Google-Translate?) geprüft und genehmigt worden sei, in aller Eile wurde die Inschrift abgedeckt und soll nun korrigiert werden.

Die Schrifttafel mit der fehlerhaften hebräischen Übersetzung, mittlerweile abgedeckt.

Zahlreiche NGO´s, Parteien, auch der führende Dachverband ungarisch-jüdischer Organisationen Mazsihisz, Kommentatoren aus Medien und Wissenschaft gaben seit Sonntag ihre kritischen bis ablehnenden Haltungen zum über Nacht und unter Polizeischutz errichteten Denkmal und zu den Umständen und Motiven seiner Errichtung kund. Mangelnde Kommunikation, fehlende Dialogbereitschaft, egomaner Führungsstil, gefährliche Geschichtsfälschung waren die Hauptschlagworte, die Regierung habe "die Kontrolle über ihre Handlungen" verloren, so der frisch gewählte MSZP-Chef Tobiás.

Auch eine Sondergesandte des US-Außenministeriums zum Thema Antisemitismus, Ira Forman, weilte gerade in Budapest und am Denkmal. Sie stimmte mit den inländischen Kritikern darüber ein, dass das Denkmal nur ein Aspekt einer "bedenklichen" Erinnerungspolitik im Zuge des offiziellen Holocaust-Gedenkjahres ist, zu der auch der Umgang mit bestehenden und geplanten Erinnerungshäusern (Holocaust Memorial Center, Haus der Schicksale, Institut Veritas etc.) gehört.

Hintergründe: Über das Denkmal selbst und die Motive, die zu seiner Installation führten, befragten wir hier einen ausgewiesenen Experten, über den "Erinnerungskrieg" und Kontext der neu gestellten "Judenfrage" in Ungarn lesen Sie hier mehr und weitere Aspekte der konfrontativen, politisch instrumentalisierten Erinnerungspolitik, die wir als "partielle Holocaustleugnung" einordnen müssen, sind in diesem Text nachzulesen.

Dem jüdischen Dachverband Mazsihisz ist die Ermattung im Ringen mit der Regierung deutlich anzumerken, man scheint nur noch wenig Hoffnung zu haben, irgendwann wieder in eine konstruktive Zusammenarbeit einzusteigen und erwartet endlich sichtbare Handlungen. Ansonsten verweist man auf die weit über die jüdischen Beteiligten hinausgehenden 100tägigen Proteste am Denkmal und in der Öffentlichkeit und betont ebenfalls, dass es längst nicht nur um dieses Denkmal geht.


 

Zwar bestand Premier Orbán am Montag darauf, seine Rechtfertigung für die Errichtung des Mahnmals in die Öffentlichkeit zu senden, die in der "aus der Verfassungsordnung entspringenden Pflicht der Regierung gegenüber den einstigen Opfern und den heutigen Ungarn" besteht (den Text im Wortlaut lesen Sie am Ende dieses Beitrages), doch: dass der Regierung ihre eigene Performance hier selbst als nicht ganz geglückt vorkommt, wurde zumindest an Äußerungen von Orbáns Amtsleiter und Vollstrecker János Lázár auf einer Pressekonferenz deutlich, natürlich im typisch eingeschnappt-rechthaberischen Duktus, der dieser Regierung eigen ist.

Lázár sagte am Montag vor Medienvertretern eine zunächst geplante Einweihungszeremonie ab, denn die Regierung sei sich "der Missverständnisse und des Streits um das Monument bewusst" und "respektiert den Gram der Menschen, die das Ensemble ablehnten". Im Unterschied zu deren bisheriger Einstufung als "linksextreme Rowdys" eine fast revolutionäre Kehrtwende. Aber, das Denkmal sei nicht "gegen irgendwelche Leute konzipiert und errichtet worden", sondern um "die Erinnerung sicherzustellen". (Anm.: was ja durch die nun täglich im Einsatz befindlichen Polizisten am Freiheitsplatz auch physisch geschieht.)

Dabei mögen "Fehler in der Koordination passiert sein, die einen Schatten auf unsere (vorher von der Sonne beschienen? Anm.) Entscheidung malten." Es musste allerdings "den heutigen und kommenden Generationen klar gemacht werden", dass es "ohne deutsche Besetzung auch keine Deportationen von Juden aus Ungarn" gegeben hätte (was historisch falsch ist, aber nur ein Mini-Aspekt des verfälschenden Geschichtsbildes dieses Denkmals) Lázár weiter: "Die von Deutschland gegen Ungarn begangenen Verbrechen entlassen uns nicht aus der Verantwortung für die Verbrechen, die wir begangen haben." Auf die Frage, ob die Regierung die Einweihung nicht einfach nur aus dem Grund abgesagt habe, weil sie befürchte, diese nur mit einem gespenstisch großen Polizeiaufgebot und begleitet von massiven Protesten über die Bühne zu bekommen, ging Lázár nicht ein, sondern er beendete an dieser Stelle die Pressekonferenz.

Außenminister und Vizepremier Navracsics ernennt den antisemitischen Publizisten Péter Szentmihályi Szabó zum ungarischen Botschafter in Italien. Der Mann spricht weder italienisch, noch hat er jemals einen Schritt auf diplomatischem Parkett getan... (Foto mit den gleichen Personen bei einer staatlichen Auszeichung 2011)

So groß war die Scham und neu entdeckte Sensibilität der Regierung dann doch nicht, dass man nicht munter und zeitnah das taktische Kalkül mit dem Rechtsextremismus fortsetzte. So wurde am späten Sonntag bekannt, dass der dem Publikum als offen rechtsextremistisch und antisemitisch bekannte "Journalist" Péter Szentmihályi Szabó von Premier Orbán zum nächsten Botschafter des Landes in Rom bestimmt worden ist. Eine Maßnahme, die in diesem Kontext geradezu sprachlos machte.

 

Szentmihályi Szabó trat vor Jahren noch regelmäßig auf Veranstaltungen der neonazistischen Jobbik und der "Ungarischen Garde" auf und publiziert in den einschlägigen Gazetten der Szene von Kárpátia über Magyar Fórum bis Nemzetőr (Nationalgarde). Er ist in der Magyar Hírlap einer der regelmäßigen Kolumnisten, an der Seite des führenden Hasspredigers Zsolt Bayer und sendet regelmäßig im rechtsradikalen Echo TV. Eine Kostprobe seiner "Poesie" mit dem Titel "Die Agenten Satans" in reinstem "Völkischer Beobachter"-Duktus übersetzte der Blog Hungarian Spectrum ins Englische, so dass sich auch die Leser außerhalb der ungarischen Sprache ein Bild über die Qualifikation des Herrn machen können. Wie beim Direktor des "Neuen Theaters", Dörner, kann auch diese Personalie als taktischer Schachzug gewertet werden, die "intellektuelle" Rechte durch Posten an sich zu binden, um so die Kapazitäten der Jobbik zu schwächen bzw. zu kontrollieren.

red.

Statement von Ministerpräsident Viktor Orbán vom 21. Juli, übernommen von der offiziellen Webseite der ungarischen Regierung:
" Statement by Prime Minister Viktor Orbán
July 21, 2014 5:56 PM
Yesterday, the Hungarian Government fulfilled its duty with regard to the constitutional order, the victims of the Nazi occupation and Hungarians living today. We installed a public work of art, the mission of which is to express the pain and ordeal that the Hungarian nation experienced and suffered as a result of losing its freedom.
It reminds every one of us that the loss of our homeland’s independence had tragic consequences. It claimed the lives of hundreds of thousands of people and caused an ocean of pain to millions of others. Foreign troops occupied our country’s territory uninterruptedly from 19 March 1944 until 1991. Terrible things happened to Hungary and to the citizens of the Hungarian state during the long years of occupation; things which could never have happened had we been in possession of our independence and national sovereignty.

We forewarn our children and grandchildren that if they want to lead a peaceful and happy life, if they wish for concord between the people who live in Hungary and if they regard the preservation of the values accumulated by our forefathers to be important, then they must above all else protect and preserve Hungary’s independence and autonomy, and regain it if needed.

Let this be a lesson, and warning and a commandment to each and every one of us.

(Prime Minister's Office)
"

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