THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 30 - 2014 POLITIK 21.07.2014

 

Anti-Orbán ist nicht genug: Ungarns "Sozialisten" wollen mit neuem Vorstand und alten Werten aus der Krise

Die bisherigen Erneuerungsversuche der MSZP scheiterten vor allem am arroganten Selbstverständnis weiter Teile der Parteielite, einen quasi natürlichen Anspruch auf einen Platz in der ungarischen Politlandschaft zu haben, ein Erbrecht auf Führerschaft im linken Spektrum, mit dem ihr ohne echte Konzepte eine Stammwählerschaft von 20+ Prozentpunkten zustünde. Dieser Zahn wurde der MSZP spätestens bei den EU-Wahlen schmerzhaft gezogen. József Tobiás soll es nun richten.

Am Samstag hielt mit der MSZP die (gerade noch so) größte Oppositionspartei des Landes ihren Sonderparteitag ab, der aufgrund des gescheiterten Wahlkampagne zum nationalen Parlament, vor allem aber wegen des desaströsen Wahlergebnisses zur Europawahl und dem anschließenden Rücktritt des Vorstands samt Parteivorsitzenden, Attila Mesterházy, einberufen worden war.

Mit 92% der Delegiertenstimmen wurde am Samstag József Tobiás (Foto) zum neuen Parteichef der "Sozialisten" gewählt, dem vier neue Stellvertreter an die Seite gestellt wurden: der Europaabgeordnete István Újhelyi, der frühere Landwirtschaftsstaatssekretär Zoltán Gőgös,  Fraktionschef Zoltán Lukács sowie der Bezirkschef von Székesféhervár, Roland Márton. Der Szegeder Bürgermeister, László Botka, wurde zum Präsidenten der Landesversammlung gewählt, der damit die Interessen der Regionalverbände im Vorstand vertritt und als mächtiges Korrektiv für Tobiás zu gelten hat. In Summe eine deutliche Verjüngung, die Truppe rekrutiert sich dennoch ausschließlich aus gestandenen Funktionärsprofis.

Der aus dem nordostungarischen Kisvárda stammende, heute 43jährige József Tobiás war von 1997 bis 2002 Chef der MSZP-Jugendorganisation, seit 1998 Parlamentsabgeordneter, von 2008-2010 Geschäftsführer der MSZP-Parlamentsfraktion, zuvor von 2002 bis 2004 Generalsekretär seiner Partei. Von 2001 bis 2005 arbeitete er auch in der Personalabteilung der Pécser Universität, 1988 schloss er eine Fachschule für Bau- und Wasserwirtschaft ab. Heute ist der Vizefraktionschef im Parlament.

Er galt bisher als disziplinierter Berufspolitiker, guter Redner, vor allem im Bereich Ökonomie und Sozialstaat, der jedoch inhaltlich kaum auf einen bestimmten Flügel der Partei festzunageln war, zuweilen aber aus der Fraktion heraus die Budapester Funktionärswirtschaft im MSZP-Vorstand kritisierte und mehr Basisdemokratie einforderte. Wie in Gesprächen mit Delegierten zu hören war, wird es an der Performance des neuen Parteichefs in den kommenden zwei Jahren liegen, ob er auch als Spitzenkandidat bei den Wahlen 2018 in Betracht kommt, an mangelndem Charisma soll es ihm zumindest nicht fehlen.

Tobiás fällt nun nicht nur die Aufgabe einer inhaltlichen Neupositionierung und personellen Neuaufstellung zu, sondern die Herkulesaufgabe der Neuerfindung der ungarischen Linken, die einen Grad an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen muss, der es ihr ermöglicht, Orbán und seine sich strukturell immer mehr verwurzelnde "Staatspartei" irgendwann ernsthaft herausfordern zu können. Doch dazu müsste man erst einmal wieder stärkste Oppositionkraft werden, denn nominell ist das seit den Europawahlen die neonazistische Jobbik, auch wenn die im nationalen Parlament ein paar Sitze weniger hat als die MSZP. Auch die Positionierung zur blockinternen Konkurrenz, vor allem der DK von Ex-Premier Gyurcsány, der bei jeder Gelegenheit eigene Ansprüche der Oppositionsführerschaft erhebt sowie das Verhältnis zur mittiger ausgerichteten E2014-PM, die beide bei den EU-Wahlen fast gleich stark wie die MSZP wurden, wird ein Drahtseilakt mit einigem Risiko.

Der Knackpunkt: Die bisherigen Erneuerungsversuche der MSZP in der Post-Gyurcsány-Ära, ob unter Ildikó Lendvai oder Attila Mesterházy, scheiterten an der Sturheit der Funktionärsgilde ehemaliger Minister und alter Granden im Hintergrund, vor allem aber an dem Selbstverständnis weiter Teile der Parteielite, die glaubte, quasi einen natürlichen Anspruch auf einen Platz in der ungarischen Politlandschaft und ein Erbrecht auf die Führerschaft im linken Spektrum zu haben und ohne echte Konzepte eine Stammwählerschaft von 20+ Prozentpunkten behaupten zu können. Dieser Zahn wurde der MSZP spätestens bei den EU-Wahlen gezogen. Hinzu kamen eine Reihe peinlicher Affären, allen voran die Schwarzgeldaffäre des Ex-Vize Simon sowie das Video-Gate von Baja.

Die ersten Äußerungen des neuen MSZP-Chefs auf dem Parteitag am Samstag lassen noch keine großartigen Rückschlüsse auf die Strategie und die Ideen zu und dienten eher dazu, dem tief verunsicherten Parteivolk etwas Mut zurückzugeben und Zeit zu gewinnen, um ein gänzliches Auseinanderbrechen der MSZP - oder gar eine von nicht Wenigen geforderte Verschmelzung mit der DK - zu verhindern.

Tobiás geht davon aus, dass Ungarn "eine starke Linke braucht", um selbst stark zu werden. Dazu gehört eine Besinnung auf die wahren Werte der Linken: Freiheit, Solidarität und Kampf gegen
die stetig wachsende Armut. Unter diesen Schlagworten könne man sogar in der Opposition etwas dafür tun, "Ungarn zu einem besseren Ort zu machen." Hierbei lege er vor allem Wert auf die "Wiederherstellung der rechtlichen und sozialen Sicherheit", man wolle Alternativen für ein "Ungarn erstellen, in dem alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben." Dazu wolle man den Ungarn einen "neuen Gesellschaftsvertrag anbieten".

 

Die Ankündigung konkreter Oppositionsarbeit (mit 25 der 199 Mandate schwer genug) war immerhin ein Hinweis auf eine mögliche Abkehr von der bisher geübten Fundamentalopposition, die sich mit der schieren Ablehnung von Orbán und dessen Machtrausch begnügte und dachte, dass dies ausreicht, um eine kritische Masse an Wählern zu mobilisieren. Diese Fixierung zu beenden, ist - auch wenn es bei der Omnipräsenz des großen Vorsitzenden nicht leicht ist - Voraussetzung für die weiteren Ziele: Er wolle keine "Wetterhahn-Politik" betreiben, denn diese sei letztlich "destruktiv", auch eine "ruckartige Wende" oder eine reine "Parade von Ideen" werde mit ihm nicht zu machen sein. Eine Perspektive ist das zwar noch nicht, aber immerhin auch nicht einfach ein hohles Versprechen.

Gelingt es der Partei nicht, die Bürger durch Aktion und Auftreten davon zu überzeugen, nicht nur die andere Seite der Medaille der Macht zu sein, ist ihr Schicksal dauerhaft besiegelt. Tobiás wird sich im Klaren darüber sein, dass ein nochmaliges Versagen, sein Versagen, das Ende seiner Partei bedeuten kann.

red. / ms.

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