THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 33 - 2014 POLITIK 14.08.2014

 

Amtlich Abfeiern: Ungarn bekommt ein offizielles Gedenk- und Feieramt

Arnold Igazság wird sozusagen Ungarns erster "Feiertagsminister". Im Range eines "Regierungskommissars", mit eigenem Budget und 20 Mitarbeitern, in einem frisch renovierten Trakt des Amtes des Ministerpräsidenten soll der "Beauftragte für Feier- und Gedenktage von gehobener nationaler Bedeutung" tätig werden. Klingt komisch? Ist aber so. Nachzulesen in der jüngsten Ausgabe des Amtsblattes "Magyar Közlöny". Der neue Amtsleiter lieferte beim Thema "Ungarndeutsche" bereits eine erste tiefgehende Gedenk-Expertise ab.

Von Nichts kommt Nichts. Eine Impression von der Mutter aller Feiertagsgestalter.

11 "Gedenk- und Feiertage" von "nationaler Wichtigkeit" stehen - neben den schon bestehenden drei Nationalfeiertagen - auf der Agenda des Herrn Igazság (der Name bedeutet in Übersetzung übrigens Wahrheit, deshalb arbeitete er früher auch beim "Katholischen Radio Veszprém), doch sollte sich das Volk nicht zu früh freuen - mehr arbeitsfrei wird es in Orbáns neuer "Arbeitsgesellschaft" deshalb natürlich nicht geben. Auch das macht das Amtsblatt klipp und klar, das monatlich in Form von Dekreten, mit denen die Regierung das Parlament gar nicht erst belästigen mochte, manche lustige Überraschung fürs Volk bereit hält.

Das neue Amt soll - in Zusammenarbeit und unter Weisungshoheit des Verteidigungsministers (!) - vor allem die "Koordination" der Gedenktage übernehmen, damit nich jeder einfach so frei in der Gegend herumgedenkt und planlos abfeiert. Das Spektrum ist weit und reicht vom 19. Januar, also dem seit 2012 eingeführten "
Nationalen Gedenktag für die Vertreibung der Ungarndeutschen", über den wieder neuen "Tag der ungarischen Helden", der zuvor von 1917 bis 1945 begangen, dann aber wegen Mangels an ungarischen Helden und / oder Humorlosigkeit der Stalinisten eingestellt wurde, bis hin zu Weihnachten.

Ja, selbst Weihnachten ist im “neuen” Ungarn bald nicht mehr einfach nur Weihnachten, sondern wird als "Yuletide" neu erfunden. Ein Begriff - nein nicht aus einer süduralischen Steppensprache - sondern aus dem Altenglischen (in etwa Festzeit, siehe auch "Julklapp" in Schweden), der Bezug nimmt auf "vorchristliche Weihnachtsbräuche" sowohl im Heiligen Land wie auch in "nordischen Kulturen", wie man uns näher zu bringen versucht.

Zwar wurde diese spezielle Nacht erst heilig und geWEIHt als Christus, damals als Jesus bekannt, in die Welt und ihre Fettnäpchen trat, weswegen es vorchristliche Weihnacht eigentlich nicht geben kann, dafür aber z.B. Sonnenwendfeiern, aber genau dafür ist ja ein Feiertagsminister der Wahrheit da, um mal ein bisschen Ordnung in das festive Chaos zu bringen. Wir dürfen uns vielleicht schon bald über Attila den Hunnen als neuen offiziellen Weihnachtsmann in ungarischen Kinderstuben freuen. Wer weiß. So schwer kann das ja nicht sein für ein Land,
das "Wissenschaftler" auszeichnet, die bereits "bewiesen" (jawohl!) haben, dass Jesus kein Jude, sondern ein parthischer Prinz war und mit den Magyaren womöglich verwandt ist.

 

Igazság erklärte der Presse bereits, dass ihm in seiner Amtsführung gar nicht zum Feiern zu Mute sein wird und die Behörde nicht nur so aus Jux und Böllerei existiert, sondern wirklich eine "juristische Person" mit "regierungsamtlichen Befugnissen" sein wird. Verteidigungsminister Hende darf sogar selbständig neue Feier- und Gedenktage einsetzen, während der Amtsleiter selbst vor allem "die Erwartung der ungarischen Regierung bei der Organisation würdiger und ausdrucksstarker Veranstaltungen zu den gegebenen Anlässen" erfüllen soll. Wie bekannt ist, hat eine wesensverwandte "Volksrepublik" im Fernen Osten eine Menge Übung in "würdigen und ausdrucksstarken" Aufmärschen und Gesamtkunstwerken, die deren Regierung vollauf zu überzeugen haben. Hier könnte man vielleicht etwas Know how abschöpfen, der Effizienz wegen. Ausreichend große und schöne Stadien baut man ja schon emsig...

Verteidigungsminister Hende ist deshalb als Aufsicht des Amtes bestimmt, weil "sein Ministerium stets maßgebliche Beiträge für die Organisation der Nationalfeiertage" leistet. Er meint damit nicht nur das Ausbringen der Gulaschkanonen für die diversen Steppenfeste, sondern z.B. auch den kürzlichen Überflug von drei Gripen-Kampfjets anlässlich des nationalen Feiertags zur
Einweihung des neuen Stadions für einen Budapester Fußballklub, der schlappe 210.000 EUR (nur der Überflug) kostete, aber "umsonst" war, weil Orbán dort sprach. Da die Honvéd also so großzügig ist, darf sie auch die Konzepte für die Partys mitschreiben.

Was die Vertreibung der Ungarndeutschen betrifft, so ist Igazság das Gedenken daran eine wahre Herzensangelgenheit. Immerhin betraf das schätzungsweise 380.000 "Bürger deutscher Nationalität" (wir dachten, das waren Ungarn deutscher Abstammung, aber naja...), die 1945 noch in Ungarn lebten, bis 1948 wurden ca. 185.000 aus ihrer Heimat vertrieben. Nach den Juden und den Roma, bei denen die Regierung gedenktechnisch eher glücklos agierte (die J
uden wollten beim Gedenken mitreden und die Roma, dieses “Volk ohne Geschichte” versteht laut Minister Balog ja nicht einmal, dass sie von Ungarn gar nie deportiert worden sind...), sind aller "guten" Dinge eben Drei, vielleicht klappts ja bei den Deutschen besser, die reagieren sowieso viel verständnsivoller auf Anweisungen von Oben, das weiß man ja.

Natürlich hatte Ungarn selbst auch mit dieser historischen Schweinerei nichts wirklich zu tun, denn, so Regierungskommissar Wahrheit, die Vertreibungen "wurden unter dem Prinzip der Kollektivschuld mit Artikel 13 des Potsdamer Abkommens authorisiert". Klarer Fall von Siegerjustiz also, Ungarn war kein Sieger, kann also auch das Unrecht nicht begangen haben. Offenbar flizten die Ungarndeutschen alsbald nach Kundmachung von Artikel 13 in den Abendnachrichten zum Bahnhof in Budaörs, kauften sich ein Ticket und nahmen den ICE nach Stuttgart oder München. Als dann die meisten weg waren (ein paar in den Bergwerken hatten ja keinen Handyempfang und waren daher nicht auf dem Laufenden) erhielt der Rest, "als die Vertreibungen am 11. Oktober 1949 offiziell endeten, von Ungarn die Bürgerrechte und alle bestehenden Restriktionen bezüglich Wohnort- und Arbeitsplatzwahl wurden aufgehoben."

Leider "verbesserte das deren Situation nicht lange", denn in den 50ern wurden viele von ihnen als "Verräter und Klassenfeinde eingestuft und in Arbeitslager gesperrt, ihre Schulen wurden geschlossen, die deutsche Sprache, als `faschistisch´ gebrandmarkt, nicht mehr unterrichtet." Kleine Anmerkung am Rande: der Autor kennt einen ungarischen Juden, der, samt seiner vor dem Krieg unternehmerisch tätigen Eltern auch als "Klassenfeind" in ein solches Lager gesperrt wurde. Es wäre nun vom Feieramt zu klären, ob man denen auch am 19. Januar gedenken darf oder, um etwaige Gedenkverassungen zu vermeiden, doch eher am Holocaust-Gedenktag, auch wenn sie diesem Anlass mit knapper Not entkamen. Gut, dass es nun den Herrn Igazság gibt! Er wird uns die Richtung und die Zeit weisen, an und in die wir unsere Köpfe neigen werden, welche Gebete und Gesänge wir anstimmen und was wir zu (ge)denken haben.

Fix sind - laut Magyar Közlöny - bisher die Gedenktage (bitte in die Kalender eintragen!):

19. Januar - zur Vertreibung der Ungarndeutschen
25. Februar - an die Opfer des Kommunismus
16. April - an die Opfer des Holocaust
4. Juni - zum Inkraftreten des Trianon-Vertrages / Tag der nationalen Einheit
19. Juni - Tag des unabhängigen Ungarns
Noch offen: - Tag der ungarischen Helden
16. Juni - Tag der Märtyrer von 1956 (am Tag der Umbettung von Imre Nagy 1989, eigentlich ein Gedenktag an die epochale Rede Orbáns ebenda)
4. Juli - an die
Schlacht um Belgrad (1456, gegen die Osmanen, alleinige Verteidigung des christlichen Europas)
6. Oktober - an die Märtyrer von Arad (Hinrichtungen ung. Offiziere nach der Niederschlagung des Habsburgeraufstandes 1849 mit russischer Hilfe, sollte man vielleicht "überarbeiten")
Noch offen: (evtl. zusammen mit 4.11. Niederschlagung des 56er Aufstandes) - an die von den Sowjetbesatzern Verschleppten
Noch offen: - Yuletide (Auftkat für die "Ungarische Weihnacht")

 

Dazu kommen die drei Nationalfeiertage (20.08. István, 15.3. 1848/49, 23.10. 1956) und natürlich die gesetzlichen und kirchlichen Feiertage. Das Dekret lässt dem Verteidigungsminister ausdrücklich die Freiheit "neue Events von nationaler Bedeutung zu bestimmen", dazu gehören auch "ad hoc Entscheidungen während des Jahres und basierend auf Regierungswünschen", weiß Arnold Igazság. Ein "Event" an Orbáns Geburstag - etwas Kleines, so wie der Königinnentag in Holland vielleicht - sollte sich schon noch ausgehen oder wenn der FC Felcsút einmal doch ein Fußballspiel gewinnt, könnte man "ad hoc" etwas einschieben. Die Erinnerung an den Genozid an den ungarischen Roma war übrigens eine Einmalsache und wird kein dauerhafter Gedenktag, so etwas begeht man in Ungarn eben nur alle "Jubeljahre" mal. Man muss eben Prioritäten setzen, zumal es um die "nationale Wichtigkeit"geht.

red. / ms.

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