THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 34 - 2014   NACHRICHTEN   20.08.2014

 

Nationalfeiertag in Ungarn

Der 20. August ist einer von drei Nationalfeiertagen in Ungarn (15.3., 23.10.). Heute begeht das Land den Tag des “Heiligen” Stephan, einst ein Stammesfürst aus dem Hause der Árpáden, der als Staatsgründer, Nationeneiner und Christianisierer geehrt wird.

 

Neben den offiziellen, sich jährlich wiederholenden Ritualen: feierliches Hissen der Fahne, Vereidigung von Soldaten, Ansprachen, Auszeichnungszeremonien, finden in Budapest und im ganzen Land Volksfeste mit Konzerten, Gastromeilen sowie verschiedene offizielle und halboffizielle nationale Devotionen statt. Natürlich darf am Abend das Feuerwerk nicht fehlen. In diesem Jahr sorgte die Übergabe der höchsten Auszeichnung des Landes, des St. Stephan Ordens an den Literaturnobelpreisträger Imre Kertész - im Lichte des regierungsamtlichen Geschichtsrevisionismus` - für Aufsehen.

Verfolgen Sie den Tag in Ungarn in Bildern (fortlaufend aktualisiert):

Zum Abschluss der Klassiker: das große Feuerwerk
im atemberaubenden Ambiente Budapests...

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Update 17:47 Uhr: Dem “Nationalbrot entkommt man heute Nirgendwo...

...und schon gar nicht den dazugehörigen Pfaffen,
die es mit Gottes Segen beträufeln. Hier an der Mattihas-Kirche

Hier an der Basilika...

So lange es noch steht... Tag der Offenen Tür im Parlament am Kossuth Platz

“Die Heilige Rechte”. István des I. rechte Hand (sagt der Pfarrer) wird jedes Jahr in einer Monstranz einmal um den Block getragen.

Blumenkutschen beim traditionellen Debrecener Blumenkarneval

??? in Debrecen

14:16 Uhr: Unser täglich Brot... Szene aus Kiskunfélegyháza

Fidesz-Lokal-Prominenz in Kiskunfélegyháza. Wenn das Brot nicht für alle reicht, dann sollen sie halt Kuchen essen...

14:11 Uhr: die Festivitäten werden recht feucht, hier am Clark Ádám Platz. Viele Budapester bleiben lieber zu Hause. Ob der Regen eine “feindliche Attacke fremder Mächte” ist, die “ungarische Familien angereifen” (Standardsatz bei EU-Maßnahmen oder sonstiger Kritik) hat das zuständige Parlamentskomitee herauszufinden.

 

13:38 Uhr: "Wir werden nicht eine Kolonie der Weltzentren der Macht sein!" So lautet die zentrale Aussage von Vizekanzler Semjén bei der offiziellen Feiertagszeremonie vor dem Trianondenkmal in Eger. Schon der Heilige István mochte "weder dulden ein Vasall des Heiligen Römischen Reiches, noch des Byzantinischen Reiches" zu sein. Und so, wie wir keine "Kolonie Moskaus" bleiben wollten, werden wir uns auch nicht dem "Willen anderer Weltmächte" unterwerfen. Diese Kraft und diesen Stolz unserer Vorfahren hat sich das "souveräne Ungarntum" erhalten. István habe der Nation nicht nur das Christentum geschenkt, sondern auch sein politisches Überleben gesichert, auf den "Fundamenten dieser Kathedrale ruht noch heute das Land". Es ist das Land unserer "Vorsehung". etc. etc.

13:31 Uhr: Trotz Regens finden die Feiertagsprogramme an der Uferstraße (Gastromeile, Konzerte) und der Feiertag der Handwerksmeister (Folklore, Handwerk, Speis und Trank) im Burgviertel wie geplant statt.

13:29 Uhr: Zeremonie in Szeged. Mit Ritter. Übrigens die einzige “sozialistisch” regierte Großstadt Ungarns. Bürgermeister Botka in seiner Ansprache: Szeged lässt sich nicht für einen Sack Kartoffeln kaufen...

13:16 Uhr: Das Gegenprogramm: Auch die oppositionelle MSZP will sich am Nationalfeiertag irgendwie einbringen. Ihr neuer Vorsitzender, József Tobiás, posiert hier (ebenfalls ohne EU-Flagge) neben einem allungarischen Brot und ein paar Äpfeln (Mehr davon essen, wegen Russland-Embargo!) und erklärt ein paar Pressevertretern u.a., dass das heutige Ungarn “nicht mehr demokratisch” ist, sondern einer “Tyrannei des Staatskapitalismus und Feudalismus” unterliege. Mit “Dekor und Pomp” versuche die Regierung sowohl die “historische Warheit wie das Wesen ihrer Machtausübung” zu kaschieren, während gleichzeitig “eine halbe Millionen Kinder im Land hungrig” seien und “fast die Hälfte der Familien” nicht mehr angemessen Lebensmittel einkaufen können. Orbán aber suche nicht den Dialog, sondern orientiere sich an totalitären Mächten, vollführt Einschüchterung und bricht die Regeln der Rechtstaatlichkeit. Es sei kein Wunder, dass “mehr und mehr Menschen das Land verlassen”. Wer wirklich das Erbe des Heiligen Stephan verteidigen wolle, müsse ein Ungarn ermöglichen, das alle Bürger einbeziehe, dafür wolle seine Partei kämpfen.

13:13 Uhr: Was MSZP-Chef Tobiás u.a. gemeint haben könnte, zeigte sich im nordungarischen Eger: Flaggenzeremonie vor dem Trianon-Denkmal. Hauptredner: Vizepremier Semjén. (Am unteren Ende der Steele die Umrisse von “Großungarn”, der Soldat trägt eine Uniform aus der Zeit der Horthy-Herrschaft, in der ung. Soldaten an der Ostfront und an der Seite der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion kämpften, heute kein Problem mehr darzustellen, denn wie das Denkmal auf dem Freiheitsplatz klarmacht, war Ungarn eh nur Opfer.)

Literaturnobelpreisträger Imre Kértész erhielt von Staatspräsident Áder den “Szent István” Orden, anschließend gratulierte Premier Orbán. “Kertész verstaatlicht!” kommentierte das trocken eine Zeitung. Die Geschichte hinter dem Bild finden Sie hier. (Fotos: MTI, 12:08 Uhr)

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19. August bis 20. August mittags

Das feierliche Fahnenhissen vor dem Parlamentsgebäude am Morgen ist stets die erste Amtshandlung am 20. August. Staatspräsident János Áder verliert dabei ein paar Worte, u.a. darüber, dass “die Ungarn” in “tausend Jahren” stets gezeigt hätten, dass sie “sich selbst” regieren und bestimmen wollten etc. etc. - Die ganze Szenerie kommt übrigens ohne EU-Fahne aus, so wie seit Kurzem auch das Parlament und das Büro des Premiers.

119 Absolventen der Militärakdemie wurden vereidigt, das militärische Moment stellt bei solchen Anlässen ein Kontinuum quer durch alle Zeiten statt. Die Honvéds richten hier gerade ihre Kapperln auf 12 Uhr, Ordnung muss sein.

Ungarns Löwe als Wächter des Parlaments, daneben der Präsident, politisch eher ein Schmusekätzchen des Regierungschefs. Damit das nationale Stempelkissen nicht ausläuft, wird es beschirmt, den Bodyguard finden wir beeindruckend. Bei Nationalfeiertagen gibt es keine Doping-Tests.

Anstatt der Volksmassen strömten die Regenmassen.

Brot und Spieler: Bei einem ökumenischen Gottesdienst, bei dem sich Vizepremier und Oberster Glaubenswächter, Zsolt Semjén, “Kirchen aus dem Heiligen Land” (freilich nur christliche) als Gäste einlud, um den Verfolgten Ungarns “immerwährende Hilfe” zu versichern, wurde - bereits am Vorabend des Nationalfeiertags - u.a. das “allungarische Brot” (im Vordergrund), gebacken aus dem Mehl vom Korn aus dem gesamten Karpatenbecken, geweiht. Dahinter sehen wir unseren Nationalschnäuzer, Parlamentspräsident László “Wo ich bin, ist Ungarn!” Kövér.

Literaturnobelpreisträger Imre Kertész am Mittwochvormittag im Sándor Palais, dem Sitz des ungarischen Präsidenten zur Übernahme des “St. Stephans Orden”. Mehr zu diesem kontroversen Thema in diesem Beitrag.

Mit 12,25 Meter Länge und 80 Kilogramm Gewicht will man in Pécs das längste “Nationalbrot” gebacken haben.

Aufschnitt der “Landestorten” in den Ausführungen “normal” (links), “zuckerfrei” (Mitte) und “militärisch”. Vorfeiertagshighlight auf der “Straße der ungarischen Geschmäcker” auf der Budaer Donauseite. Immerhin: KEIN BROT!

“Zu Gast in Ungarn” lautete das Motto einer Konzertreihe am Budaer Ende der Kettenbrücke am 19., das heute seine Fortsetzung findet. Moderator: Vizekanzler Semjén, der gleich einmal klarstellte, dass die Bands aus Rumänien, Slowakei etc. hier zu Hause und nicht “zu Gast” seien. Da werden wohl Köpfe rollen...

Spezialisten bauen auf der Kettenbrücke Teile des Feuerwerks auf.

Am 19. August jährte sich das Paneuropäische Picknick bei Sopron zum 25. Male, was ausgiebig begangen wurde. Es gilt als einer der Katalysatoren für den Mauerfall und die sich damit manifestierende politische Wende in Osteuropa. Premier Orbán ließ sich einen Auftritt dort nicht nehmen, um der Welt davon zu berichten, dass “wir Ungarn ein Volk von Freiheitskämpfern” sind. Wenn es nur so bliebe...

red.

 

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