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(c) Pester Lloyd / 37 - 2014 POLITIK 10.09.2014
Wieder Missverständnisse unter Nationalisten: Haben die Ungarn in der Ukraine ein Recht auf einen Parlamentssitz?
Die politischen Vertreter der rund 150.000 Menschen umfassenden ungarischen Minderheit in der Ukraine beklagen sich über eine kurzfristige Änderung des Wahlrechtes seitens der Kiewer Wahlkommission. Dadurch werden die Wahlbezirke derart gezogen werden, dass die ethnischen Ungarn in keinem der drei neuen in ihren Siedlungsgebieten liegenden Wahlkreise mehr die Bevölkerungsmehrheit stellen.
Eine (ungefähre) ethno-linguistische Karte der Ukraine. Der grüne Ministreifen im äußersten Westen des Landes bezeichnet die Siedlungsgebiete der sich als Ungarn Bekennenden. Eine Mehrheit stellen sie nur in einer handvoll Ortschaften.
Damit wird ihnen, nach Auskunft der Karpatoungarnpartei KMKSZ "jede Chance auf Entsendung eines Abgeordneten" (von landesweit 225) nach Kiew genommen wird, wie man das "bei den letzten vier Wahlen" tat. Auch Árpád Potapi, Staatssekretär "für ungarische Gemeinschaften hinter den Grenzen" sagte, dass "Demokratie besonders in der jetzigen Situation in der Ukraine" (sonst und anderswo nicht?) "wichtig" sei und man die "Vorgänge in der Westukraine" mit großer Sorge verfolge.
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Eine anachronistische nationalistische Denk- und Handlungsweise der Kiewer Übergangsregierung als gegeben angesehen, ist die Argumentation der Minderheitenvertreter aus demokratischer Sicht einigermaßen löchrig - wie stets, wenn nationalistische, eigentlich völkische Argumente eine Rolle spielen. Minderheitenrechte sind universelle Menschenrechte, also unabhängig von der Größe einer Volks- oder Kulturgruppe oder ihrer Relation zu anderen Gruppen zu gewähren und zu garantieren. Das Fehlen einer ethnischen parlamentarischen Vertretung bedeutet noch längst keine Nichtgewährung dieser Rechte - sonst gäbe es diese in Ungarn bis heute nicht und dürfte es in Rumänien, in dem etliche Abgeordnete und sogar Regierungsvertreter über die "ethnische Ungarnpartei" arbeiten, gar keine Minderheitenprobleme geben...
Die Argumentation der Hungaroukrainer beharrt darauf, in dem bisherigen Wahlkreis die Mehrheit zu stellen, was wiederum bedeutet, dass man der in diesem Wahlkreis lebenden "Minderheit", also z.B. den Ukrainern, die Vertretung ihrer lokalen Interessen verwehrt, das aber sozusagen als natürlich gegeben ansieht. Außerdem legt diese Logik nahe, dass Hungaroukrainer bei Wahlen ausschließlich gehalten sind, Vertreter aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu wählen, nicht aber nach ihren politischen Absichten - wie es in einer Demokratie der eigentliche Plan vorsieht.
Zur Praxis der Gewährung von Minderheitenrechten auf der russisch dominierten Seite der Ukraine, können durchaus die dort lebenden Ukrainer, aber auch Roma befragt werden, um zu erfahren, dass es in der Ukraine derzeit ganz andere "Minderheitenprobleme" gibt als jene der "Ungarn". Budapest meint dazu, dass die "Die fortgesetzte Einschränkung von Minderheitenrechten nicht der Schaffung von Frieden in einem Land dient, das mit schwerwiegenden Problemen belastet ist".
Der Begriff "Minderheitenrechte" ist hier aber genau jener, den prorussische Separatisten bzw. die "antifaschistischen Widerstandskämpfer" als Rechtfertigung für die gewaltsame Spaltung des Landes benutzen, freilich ohne sie den nichtrussischen und nichtkonformen Minderheiten gewähren zu wollen, wie es bereits auf der Krim am Beispiel der Tataren wie der Homosexuellen ersichtlich ist.
Orbáns kürzliche Forderung nach einer territorialen "Autonomie" für die Hungaroukrainer spielte genau diesen Kräften in die Hände und auch die jetzigen nationalistisch ausgerichteten und sich demokratisch behauptenden Forderungen gehen in diese Richtung. Wie gesagt, das bedeutet nicht, dass die vom Westen geförderten Kiewer Machthaber nicht auch ein massives Problem mit nationalistischem Chauvinismus haben, es bedeutet aber, dass die ukrainischen Ungarn gut daran täten, nicht noch aus Budapest geliefertes Öl in ein loderndes Feuer zu gießen und ihre vermeintlich beschnittenen Minderheitenrechte, die bei Lichte nichts weiter sind als ein egoistisch verwalteter Besitzstand, im Kontext des zur Zeit nicht einmal gewährten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in der Ukraine zu betrachten und einzuordnen.
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red
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