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(c) Pester Lloyd / 43 - 2014   POLITIK  23.10.2014

 

Außer Spesen...: Ungarns Außenminister in den USA wie Pizzabote empfangen

Ungarns Außenminister, Péter Szijjártó, war am Dienstag zu Gesprächen in Washington. Zwar wurde das heikle Thema der verhängten US-Einreiseverbote gegen sechs ungarische regierungsnahe Offizielle angesprochen, doch kam man sich dabei kein Stück näher, auch wenn mittlerweile mehr Klarheit über die Hintergründe herrscht. Der Gast versuchte aufzutrumpfen, konnte aber die Eiszeit zwischen beiden Ländern nicht kaschieren. Mittlerweile wurden in Budapest 220 Mitarbeiter des Außenministeriums gefeuert.

Nulands Sekretärin lotst Minister Szijártó quasi durch den Lieferanteneingang. Der Ungar kennt das, bei Treffen mit Orbán nimmt er auch immer die Hinterpforte...

Während Minister Szijjártó sich gegenüber der stellvertretenden Staatssekretärin für Europa- und Eurasienangelegenheitn beim State Departement, Victoria Nuland (Außenminister Kerry lehnte eine Audienz ab) mit dem Lob von "exzellenten" Beziehungen in sicherheits- und energiepolitischen sowie ökonomischen Fragen einführte und Ungarns Devotion gegenüber dem im richtigen Europa heftig umstrittenen TTIP-Abkommen betonte, das den Export um bis zu 20% steigern und bis zu 30.000 neue Jobs schaffen soll, kamen die Gastgeber schnell auf den Punkt. Für diplomatische Verhältnisse umstandsfrei erklärte die US-Seite hinterhier, dass man "Bedenken der US-Regierung bezüglich demokratischer Entwicklungen und Korruption in Ungarn" angesprochen habe und "die Einreiseverbote gegen einige derzeitige und ehemalige Offizielle" auf "einer ganzen Reihe von amtlichen Informationen, basierend auf Berichten von Zuträgern und NGO´s" basieren.

Niemand dürfe Zweifel an Ungarns demokratischem Wesen haben...

Außerdem habe man dem ungarischen Minister "konkrete Kritik im Zusammenhang mit einer Reihe von Gesetzen" übermittelt, die jener mit der Behauptung abtat, dass nach "Diskussionen mit der Europäischen Kommission" feststehe, dass alle "mit europäischen Werten und Regeln in Einklang" stehen. Das ist eine glatte Fehleinschätzung, die man außerhalb diplomatischer Kreise auch als Lüge bezeichnen würde. Hinsichtlich der Sanktionen gegen die sechs Personen, bot Ungarn - natürlich -  "volle Offenheit" an, verlangt im Gegenzug von den USA aber "Beweise, für die angesprochenen Korruptionsvorwürfe". Eine Anmerkung, die von ziemlicher Nervosität kündet, denn die offizielle Sprachregelung war bisher, dass die Sache "uns nichts angeht", da die USA sie nicht öffentlich machen.

Einsam in Washington: Gesprächspartnerin Nuland wollte nicht mit aufs Bild...

Beziehungen am Tiefpunkt

Allerdings, fügte der Minister in Kenntnis der Bedeutung der Affäre hinzu, allerdings lasse man sich "eine Sache nicht gefallen: dass irgendjemand Zweifel an Ungarns Bekenntnis zur Demokratie, seinem demokratischen Wertesystem oder seinem demokratischen Handeln" hege, so Szijjártó. Er konnte, trotz des mehrfachen Versuchs nicht verhehlen, dass die Beziehungen Ungarn-USA einen Tiefpunkt erreicht haben, nicht zuletzt empfing man den offiziellen Gast aus Ungarn wie einen Pizzaboten, der praktisch selbst seinen Weg in den Konferenzraum finden musste.

Trinkgeld gab es - soweit bekannt - keines. Nicht einmal ein Foto mit Gegenüber Nuland mit der man doch immerhin die Verachtung der EU ("Fuck the EU...!") gemeinsam hat, gab es, ein Selfie vor dem Ministerium musste reichen. Demütigungen dieser Art sind für den 35jährigen nichts Neues, auf ihnen basiert praktisch seine Karriere unter Premier Orbán, dem sich der Berufspolitiker ohne jedes eigene Profil seit seiner frühesten Jugend unterworfen hat. Ein geübter Diplomat hätte einige Wochen gewartet, bevor er diese Reise antritt, die so völlig nutzlos war.

 

Anlässe und Gründe für die US-Sanktionen

Mittlerweile schälen sich, wie bereits berichtet, zwei Hauptanlässe für die harsche diplomatische Maßnahme der USA gegen Ungarn heraus. Zum Einen sollen die Ermittlungen nach der Strafanzeige eines US-geführten Speiseöl-Herstellers gegen eines der berüchtigten Mehrwertsteuer-Betrugskarussells mit landwirtschaftlichen Rohstoffen seitens des Finanzamtes und der Strafverfolgungsbehörden verschleppt und das anzeigende Unternehmen selbst kriminalisiert bzw. erpresst worden sein. Die ungarische Regierungsseite wiederum stellt die Sache - inoffiziell - so dar, als hätten sich US-Unternehmen Steuervergehen schuldig gemacht und die US-Regierung versuche diese nun durch politischen Druck also auf Yankee-Art herauszuhauen.

Zum Anderen wird die gescheiterte Bewerbung eines Unternehmens in US-Besitz für eine mit EU-Millionen dotierte und von einem staatsnahen Unternehmen betriebene Ausschreibung sowie die anschließende Einschaltung eines kostenpflichtigen "Beraters", der für einen Erfolg in der zweiten Grunde garantierte, kolportiert. Die US-Regierung war vor allem sauer, dass die ungarische Regierung trotz Intervention auf höherer Ebene, keine Korrekturen an den obigen Vorgängen vorgenommen habe und die US-Einwände einfach ignorierte.

Dass als Gründe hinter den genannten Anlässen auch das Abdriften der ung. Außenpolitik und Außenwirtschaftsstrategie in Richtung Russland und andere Staaten außerhalb des Einflussbereichs von EU und USA, die Attacken gegen die Zivilgesellschaft und der Demokratie- und Rechtsstaatsabbau stehen, halten die meisten Beobachter für offenkundig. Es wird erwartet, dass dies nicht die einzigen und nicht die letzten Maßnahmen gegen die Regierung sein werden, wenn Orbán auf seiner Politik beharrt.

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Der Warnschuss: US-Sanktionen gegen Ungarn (Erstbericht mit Updates)
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"Klare Warnung": Fortgang der Affäre um die US-Einreiseverbote

Flurbereinigungen für "neue Aufgaben"

 

Derweil wurde bekannt, dass während der Abwesenheit des Ministers in Budapest, weitere 220 Mitarbeiter des Außenministeriums und damit jeder vierte Beamte zum Ende des Monats ihre Kündigung erhalten werden. Der für die Admninistration zuständige Staatssekretär erklärte, dass man für die Verwaltungsaufgaben nurmehr 200, statt bisher 400 Mitarbeiter brauche, während die anderen 400 die eigentliche diplomatische Tätigkeit verrichten. Auch im Korps wurden - noch unter Vorgänger Navracsics - rund 150 Diplomaten, Abteilungsleiter und ganze Abteilungen gefeuert bzw. durch Leute aus dem Justizministerium bzw. dem Kanzleramt (Lázár) ersetzt. Die Rochaden und Säuberungsaktionen hängen in erster Linie mit der strategischen Neuausrichtung des Ministeriums Richtung Ausßenwirtschaftsförderung zusammen. Dabei geht es um die Positionierung von Exportunternehmen auf neuen Märkten sowie Fördermittel beim Aufbau von Exportbeziehungen und Investitionen. Je weniger Ohren, Augen und Zeugen es bei diesem Verteilungsmechanismus gibt, umso besser...

Hier mehr zu
"Ungarns Außenpolitik für eine neue Epoche".

red.

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