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(c) Pester Lloyd / 45 - 2014   POLITIK   07.11.2014

 

Die Mehrfachdemokraten: Orbán bei Freunden in Bayern

Ungarns Ministerpräsident Orbán stattete dem bayerischen Freistaat am Donnerstag einen offiziellen Besuch ab, "dem Ort in Europa, wo Ungarn verstanden wird." Neben dem Austausch von Nettigkeiten mit Horst Seehofer, allgemeinen Demokratie- und Europabekenntnissen, sprach Orbán auch den "starken Druck" an, dem er von den USA wegen seiner Russland-Politik ausgesetzt sei. Er verteidigte sie und sich, auch gegen die "Attacken der westlichen Presse und andere Gruppen". In der Ukraine-Frage will er eine Allianz "hinter Deutschland" aufbauen.

Foto: MTI

Die Grünen in München kritisierten, dass CSU-Ministerpäsident Seehofer dem Gast "ohne Demokratieverständnis" "einen roten Teppich ausrollt.", der noch dazu ein derart massives Polizeiaufgebot nötig mache. Doch Orbán sei "mehrfach demokratisch gewählt" und zudem ein "sehr, sehr starker Politiker", mit dem man die gleichen "europäischen Werte" teile, so Horst Seehofer. Der Gelobte dankte ihm das: "Bayern ist DER Ort in Europa, wo Ungarn verstanden wird."

Das stimmte am Donnerstag aber nur zum Teil. Zwar himmeln viele Nationalkonservative vom Schlage der CSU den "starken Mann" an und beneiden ihn ob seiner quasi unkontrollierbaren Machtfülle und - damit eng verbunden - der geradezu perfektionierten, weil legalisierten "Freunderlwirtschaft". Andererseits betrachten die alten Kaltkriegs-Transatlantiker die Russland-Politik Orbáns doch auch mit erstauntem Entsetzen. Klar, auch Putin ist ein "sehr, sehr starker" Politiker und eigentlich noch mehrfacher demokratisch gewählt als Orbán, aber er ist eben auch ein Russe, das geht mit einer CSU-Seele einfach nicht zusammen - zumindest nicht offizell.

Beim Treffen der beiden Ministerpräsidenten kehrten Orbán und Seehofer natürlich vor allem die tollen Wirtschaftsbeziehungen heraus: mehr als 2.000 bayerische Firmen sollen in Ungarn aktiv sein, 40% aller deutschen Investitionen kommen aus dem Freistaat. Probleme mit dem Finanzamt und eventuell mit von diesem protektionierter Konkurrenz,
wie sie US-Firmen beklagen, scheinen die aber nicht zu haben.

 

Selbst das heikle Thema des Verkaufs der Ungarischen Außenhandelsbank MKB von der BayernLB an den ungarischen Staat habe man nun "vollständig" abgearbeitet. Die Bank hat Orbán für einen symbolischen Preis und eine kräftige Kapitalspritze zur Ablöse fauler Assets verstaatlicht und kürzlich unter direkte Kuratel seines Kanzleramtes gestellt. Hier mehr dazu. Bayern ist damit ein Sorgenkind los, Orbán erhöht seinen Einfluss auf diesen "strategischen Sektor". Eine - nach bayerisch-ungarischen Maßstäben - win-win-Situation, auch, weil die Öffentlichkeit dafür die Risiken trägt.

Bei einem anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung organisierten Symposium, tauschte Orbán mit seinen Gastgebern zunächst eine Reihe Nettigkeiten aus. Ohne die Wiedervereinigung Deutschlands wäre die Befreiung der Länder Mittel- und Osteuropas"vom Kommunismus" nicht zu vollenden gewesen, sagte Orbán, die Gastgeber erwiderten, dass ohne den "Mut" Ungarns die Wiedervereinigung nicht so schnell und friedlich möglich gewesen wäre.

Mit dem EU-Beitritt sei Ungarn "in die westliche Gemeinschaft zurückgekehrt", was dem Land "nicht nur die Sicherheit und die Möglichkeiten" der EU, sondern auch "deren Probleme" beschert hätte. Ungarn habe jedoch "Lösungen" für die anstehenden Probleme gefunden, die "es wert sind, studiert und von anderen Ländern übernommen zu werden", darunter ein "Steuersystem, das die Lasten gerechter verteilt." "Unser wirtschaftlicher Erfolg schütz unsere Regierung und Ungarn vor den Angriffen der westlichen Presse und anderer Gruppen."
 
Einen seiner berüchtigten Ausflüge in die Welt der Geschichtsanalyse begann Orbán mit einer interessanten Neudefinition des Ausbruchs der Ersten Weltkrieges. Er sagte, dass "Seit den Bemühungen um die Zerstörung der österreichisch-ungarischen Monarchie, in der Hoffnung auf Schaffung eines neuen Europas 1914 , Ungarn im öffentlichen Diskurs immer unter einer Wolke des Verdachts stand". Eine Wolke, die er nicht näher spezifizierte, die aber seinen Job noch heute "schwieriger mache".

Die heutigen "Angriffe auf mein Land" sieht er auf drei Arten motiviert: "Mangel an Informationen", "ideologisch" oder "diktiert von Wirtschaftsinteressen". Er habe zwar vom Modell eines "illiberalen Staates" gesprochen, aber niemals davon, dass "Russland ein Modell für Ungarn sein soll oder der Westen dem Beispiel aufstrebender östlicher Staaten folgen" solle. Er habe lediglich festgestellt, dass die Leistung der europäischen Wirtschaft in Relation zur Weltwirtschaft gegenüber der "Performance in nicht-demokratischen Staaten nachlässt." Die "Betonung dieses Basisfaktums ist Voraussetzung für uns, diesen Trend umzukehren." Dafür müsse man "viele Dinge anders machen", das heiß aber nicht, dass wir "aus Europa Russland machen wollen."

(Orbán sagte bei seiner berühmten Rede in Rumänien im Sommer klar, dass "das neue Ungarn keine liberale Demokratie" mehr sein wird und forderte den Verzicht auf individuelle Freiheiten zu Gunsten einer kollektiven, durchaus völkisch untermalten Aufgabe. Ein Satz der bei einem Festakt zum 25. Jahrestags des Mauerfalls eigentlich hätte bearbeitet werden müssen, wenn man das Jubiläum nicht nur formal ernst nimmt..)

Im Rahmen der Diskussion ging die Rede jedoch Recht bald darum, warum sich Ungarn derart in die Fänge von Russland begibt, dass man sich dabei sogar mit den USA überwirft. Orbán markierte auch hier wieder das unverstandene Opfer, das nur Gutes will. Das ist momentan seine Lieblingsstrategie, wohl auch, weil ihm derzeit keine politisch suizidfreien Alternativen zur Verfügung stehen.

Ohne auch nur die Spur eines Hinweises auf die von US-Seite angeführte "Involvierung in Korruption" als Anlass (wenn auch nicht als einzigen Grund) für die Verhängung der aktuellen Sanktionen, resp. Einreiseverbote gegen mehrere ungarische Offizielle, beklagte Orbán, dass "die USA Ungarn unter großen Druck setzen", vor allem wegen der auch gesetzlich forcierten Errichtung der South Stream Pipeline und des Ausbaus des Kernkraftwerkes in Paks.

Ihm gehe es dabei eigentlich vornehmlich um die "ökonomische Bedeutung" dieser Projekte von "nationalem Interesse", doch durch den Russland-Ukraine-Konflikt habe die USA daraus einen "geo-, sicherheits- und militärpolitischen" Fall gemacht. Washington interpretiere beide Projekte als ein "Näherrücken an Russland", dabei wolle er sein Land weder einem anderen näher, noch von anderen weg rücken. "Wir machen keine russlandfreundliche, sondern eine ungarnfreundliche Politik", versuchte Orbán seinen Standpunkt zu pointieren.

South Stream sei schließlich nichts anderes als der "Zwilling" der von Deutschland mit Russland errichteten Nordstream durch die Ostsee. Diese verfolge auch ausschließlich das Ziel, das Risiko Ukraine zu umgehen. So diversifiziere man zwar nicht die Gasquellen, aber die Lieferwege.

as Paks betrifft, stehe die Verbilligung von Energie als "Schlüssel für Ungarns Wettbewerbsfähigkeit" auf dem Spiel. Man habe nicht so viel Geld, um Eneuerbare Energien in entsprechendem Umfang zu fördern, die eigenen Ressourcen des Landes seien begrenzt, so bliebe also nur die Kernkraft (Drei Lügen in einem Satz, das schafft nicht einmal jeder Politiker!). Klar hätten die Amerikaner gerne den Auftrag für Paks 2 bekommen, weshalb sie jetzt auch so erbost seien. Das Kraftwerk sei aber genuin russisch, daher sei es logisch, dass man auch den Ausbau mit Russland betreibe. Zum Moskauer 10 Mrd. EUR-Kredit, der sein Land in eine 30jährige Abhängigkeit stürzt, sagte Orbán nichts, auch nichts zu dem fachmännisch belegten Risiko, dass die Strompreise am Ende höher sein könnten als heute.

Orbán versuchte - nicht ganz ungeschickt - Deutschland als Verbündeten für eine Aufweichung der harten Haltung gegen Russland, vor allem gegen die EU-Sanktionen zu gewinnen, die zuvor als “Schuss in den eigenen Fuß” bezeichnete und die Ungarn längst über Dritte zu umgehen sucht. Er beklagte, dass die Russland-Ukraine-Krise (hier Orbáns Schaukelpolitik dazu) und ihr Handling "Ungarn getroffen hat" und "bis eine andere Politik betrieben wird, Mitteleuropa (er meint sich) als auch Deutschland schwere ökonomische Konsequenzen zu tragen haben werden." Nicht nur hinsichtlich der Sanktionsauswirkungen, sondern auch was die "mindestens 25 Milliarden Euro" betrifft, die die Ukraine nach Orbáns Rechnung jedes Jahr von der EU braucht und die letztlich die Mittel für "Mitteleuropa" verknappen würden.

 

Man habe also "die gleichen Interessen", daher sollten "Mitteleuropa und Deutschland positiven Einfluss" geltend machen, ohne dabei "illoyal" gegenüber ihren Allianzen, also EU und NATO zu werden. Genau Letzteres ist aber einer der Vorwürfe der Hardcore-Transatlantiker an Ungarn, die längst nicht nur ökonomisch begründet werden und die auch eine Rolle bei den US-Einreiseverboten gespielt haben. Orbán wünsche sich letztlich eine "demokratische, selbstständige Ukraine", die "im Raum zwischen Ungarn und Russland positioniert" ist, denn "Ungarn war bereits einmal Nachbar Russlands und möchte auf eine Wiederholung dieser Erfahrung gerne verzichten."

Ob er diesen Satz auch wiederholt, wenn er wieder einmal in den Kreml für ein neues Geheimabkommen zitiert wird? Eine Wiederholung russischer Erfahrungen machen derzeit in Ungarn unter anderem eine ganze Reihe von Bürgerrechtsgruppen. Aber auch das war, selbstredend, bei einem solchen Freundschaftstreffen der Mehfachdemokraten kein Thema.

red. / m.s.

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