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(c) Pester Lloyd / 46 - 2014   BOULEVARD   11.11.2014

 

Charme-Offensive der Regierung: "Ungarn ist nicht Guantánamo!" - "Norwegen erpresst uns!"

 

Vizepremier Semjéns spontane Lesung aus dem Buch des "tausendjährigen Ungarns" hat seine Regierungs- und Parteikollegen Varga, Csepreghy und Rogán angespornt, selbst einige Feuilletons in den Parnass ungarischer Stehgreif-Dichtkunst zu elaborieren. Wenn auch der Nachrichtenwert gering erscheint, so lehren uns Form und Ausdruck doch viel über die Regierungskunst unserer so schwer bedrängten Volksregierung.

"Sage mir irgendjemand, was mit Ildikó Vida nicht stimmt...", das verlangte noch am Sonntagabend Wirtschafts- und Finanzminister Varga in Reaktion auf das Ulitmatum von Demonstranten und die einhellige Oppositionsforderung nach dem Rücktritt der Chefin des Finanz- und Zollamtes NAV (NAV = No American Visum). Varga - mit ihm die gesamte Regierung und deren Chef - muss natürlich weiter die Rolle des Arglosen spielen, der keinerlei Ahnung hat, worauf die US-Einreiseverbote überhaupt gründen könnten.

Schmollmund. Rehblick. Varga vertraut seiner NAV-Chefin. Und er wird wissen, warum...

Klassische Mafia-Taktik, tönen (die vom Ausland finanzierte) politische Opposition und immer mehr wütende (angebliche) Bürger zurück und verlangen allmählich Klarheiten über den im Raum stehenden (und in den Schubladen der Staatsanwaltschaft verkümmernden) Vorwurf vom Finanzamt als Drehscheibe der Wirtschaftskriminalität. Das Problem: stimmen die Vorwürfe, müsste nicht nur Vida abdanken, sondern das gesamte System Orbán. Das zu verhindern, lohnt bereits mehr als ein paar Lügen. Denn wie sagte schon Orbán selbst? Wie kann man gegen sein Land in Opposition stehn?!

Einen Hinweis darauf, was zumindest "mit Vida nicht stimmt", gab die Inkriminierte gestern selbst, als sie sich mit einem Rechtsanwalt und einem Fernsehteam trotzig vor der US-Botschaft aufbaute und den Gesandten André Goodfriend über das gegen sie verhängte Einreiseverbot zur Rede stellte. Wohl gemerkt, ohne einen Termin. Einfach mal so angeklopft. Der Diplomat - und ab hier dreht die Szene ins Monty-Pythonhafte - kam zur Überraschung aller tatsächlich aus seiner Hochsicherheitsburg und ließ sich auf offener Straße auf ein Gespräch ein.

Dabei stellte sich heraus, dass die Chefin des Zoll- und Finanzamtes nicht einmal rudimentäre Englischkenntnisse besitzt und sich vom Tonmann des Fernsehteams aushelfen lassen musste, was im Internet bereits eine Welle von Spott, Entsetzen und Fremdschämen auslöste. Fairerweise sollte man aber einräumen, dass der Chef der US-Steuerbehörde vermutlich genausowenig Ungarisch spricht wie die meisten US-TV-Teams, die aber auch seltenst vor der ungarischen Botschaft in Washington herumlungern.

“Mr. Goodfriend, open this gate!” NAV-Chefin Vida inszeniert sich als Opfer von US-Willkür.

Wie auch immer, "Wir konnten nichts herausfinden, uns wurde gesagt, das wäre eine Visa-Angelegenheit", sagte Vida mit gebrochener Stimme in die Kamera. Nun "überlegen wir, ob wir ein Visa beantragen sollen, um zu sehen, was passiert...", denn Herr Goodfriend habe gesagt, sollte sie einen Antrag stellen, wird die "Visaabteilung darüber befinden, ob ihr eines erteilt wird oder nicht." Ein Höhepunkt diplomatischer Finesse, finden Sie nicht?

Dabei ist all das gar nicht nötig, denn um in der Schweiz ein Konto zu eröffnen, braucht es weder ein Visum noch Fremdsprachkenntnisse. Die Sprache des Geldes wird, wie die der Liebe, überall verstanden und wie zu hören ist, hat Orbán bei seinen jüngsten Aufenthalten dort bereits das Wichtigste regeln lassen.

Antal Rogán, Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, hatte längst genug gehört. Gegenüber Reuters zog er ein Fazit, das Washington erschüttern wird: "... Mangels der Vorlage von Beweisen hat sich herausgestellt, dass es keine Gründe (für die Einreiseverbote) gibt". Doch, die gibt es, meint hingegen der Gesandte Goodfriend, aber der US-Präsident maßt sich eben an, selbst und auch ohne übermittelte Begründung Leuten die Einreise in die USA zu verwehren. Aber bei uns, so Rogán "kann niemand ohne Beweis beschuldigt werden!" (eigentlich nicht einmal mit Beweis!), denn: "Ungarn ist nicht Guantánamo!". Der hat gesessen. Applaus brandet auf vom Rosenhügel bis hinunter in die Asylgefängnisse im Osten des Landes. Und überhaupt, wer ist dieser "Goodfriend" eigentlich, die Amerikaner "sollen endlich einen richtigen Botschafter entsenden, der die amerikanischen Interessen mit entsprechendem politischen Gewicht vertreten kann." (lies: und nicht diesen Portier mit Abitur, der hier den Puszta-Rambo gibt.) Sprachs, wedelte mit seinem Handtäschchen und verschwand.

So viel zur Atlantikfront, was machen die Kämpfe in Skandinavien? Dass die norwegische Botschafterin in Ungarn, Tove Skarstein, vorige Woche im TV kundtat, man werde weder die Pseudoermittlungen des KEHI (gegen ein halbes Dutzend NGO´s) ernst nehmen, noch sich den politisch motivierten Forderungen der ungarischen Regierung nach Aushändigung der Hoheit über die Fonds beugen und die in Frage stehenden 140 Mio. EUR aus den Norway Grants erst weiter auszahlen, wenn die ungarischen Projektpartner vertragsgerecht weiterarbeiten dürfen, ist für den zuständigen Vizestaatssekretär Nándor "NGO´s sind nutzlose Betrüger" Csepreghy eine "wirkliche Erpressung", gegen die "Ungarn rechtlich vorgehen wird."

Für Oslo, so Botschafterin Skarstein, ist allein die multilaterale Vereinbarung zwischen Ungarn, Norwegen und der EU bindend. Wird diese nicht wieder in Wirkung gesetzt, "verliert Ungarn das Geld." Doch Csepreghy erwidert: "Ungarn stehen diese Gelder zu", die schließlich die Gegenleistung dafür sind, dass Norwegen am EU-Binnenmarkt teilnehmen kann und "Ungarn norwegische Güter nicht mit Zöllen belegt", womit der Politiker auch den Unterschied zwischen einer "wirklichen" und einer "unwirklichen" Erpressung eindrucksvoll demonstrierte.

Fortsetzung der Telenovela folgt.

 

red.

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