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(c) Pester Lloyd / 47 - 2014   BUDAPEST   16.11.2014

 

Budapester Kreml: Orbáns Umzug auf den Burgberg - “eines jeden Ungarn Sache”-

Bei einem "Kriegsrat" ließ Premier Orbán am Freitag die gigantomanen Pläne der Umwandlung des Burgviertels in Budapest zu seinem repräsentativen Regierungssitz erörtern. Natürlich ist alles nur zum Besten der Nation und "unserer Menschen". Mindestens 600 Mio. Euro sind für den Ausbau und Renovierungen am neuen Hofe geplant. Nicht so geschmeidig läuft indes die geplante Bebauung des Stadtwäldchens zu einem "Museumsviertel von Weltgeltung", denn bei der EU lassen sich dafür kaum Mittel auftreiben.

“Hier wäre noch Platz für ein Kollosseum, Cäsar”. Regierungskommissar Simon erläutert Premier Orbán und Kanzleramtsminister Lázár ihren neuen Arbeitsplatz ab 2016.

 

Bereits 2016 will Orbán als Burgherr in sein neu hergerichtetes Palais, ein ehemaliges Karmeliterkloster und heutiges Tanz- und Kindertheater einziehen, das sich unmittelbar am Eingangsbereich zum ehedem königlichen Palast und in Rufweite des Präsidialsitzes (Sándor Palota) befindet. Dass alle drei Gebäude bald denselben Hausherrn haben könnten, wäre nur die sichtbare Konsequenz der tatsächlichen Machtstrukturen des heutigen Ungarns. Denn das Amt des Ministerpräsidenten hat sämtliche Fäden in der Hand, die Ministerien degradiert. Orbáns Pläne für eine "Präsidialdemokratie" nach Putinschem Vorbild sind längst keine Gerüchte mehr und werden von ihm selbst fast wöchentlich durch neue Loblieder auf Systeme außerhalb des freiheitlichen Spektrums bestätigt. Darum, aber auch Orbáns Charakter liegt die Errichtung eines “Kreml” nahe.

Orbáns fürstliche Arbeitsumgebung wird 2016 jedoch eine Baustelle sein, ganz wie es dem unermüdlichen Arbeiter im Weinberg der Nation geziemt. Insgesamt rechnen die Regierungskommissare, die der Chef für dieses "prioritäte Projekt von nationaler Wichtigkeit" um sich scharte, mit einer Dauer von 10-20 Jahren für das gesamte Burgviertel, immerhin ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Magyarisches Disneyland mit Orbán als präsidialer Mickey Mouse?

Mindetstens 600 Mio. Euro bzw. 200 Milliarden Forint sind offiziell veranschlagt, nur ein Bruchteil davon, nämlich 1,5 Mrd. Forint, stehen jedoch offiziell 2015 zur Verfügung. Wohl genug, um die ersten Pappmodelle zu basteln und vor allem die Aufträge an die "Richtigen zu erteilen." Man hofft, dass man 70-80% der Gesatmsumme aus EU-Mitteln loseisen oder umlenken kann, zumal bei derartigen Großprojekten die kalkulatorische Fehlerquote immer sehr hoch ist und das Projekt am Ende mit Sicherheit die 1 Mrd. EUR-Mauer überklettern wird.

So erschließt sich auch der Sinn von Orbáns Ausspruch am Freitag, dass "die Renovierung der Burg eines jeden Ungarn Sache" sei. Rechnung folgt.

Nicht die Renovierungsmaßnahmen an dem weitläufigen Gebäudeensemble vom Wiener Tor bis zum Palast oder die für Ungarn enormen Kosten sind die eigentlichen Kritikpunkte von Opposition, Bürgergruppen, Historikern und Stadtplanern, sondern das Statement der Abschottung, der Erhöhung. Das bürgerliche Ungarn, die Republik manifestierte sich in Ungarn stets in Pest, in der Stadt der Kaufleute, der Bürger, des Intellekts. Auf dem wie eine natürliche Festung gelagerten Burgberg erhoben sich die Monarchen, eigene wie fremde, über das Volk. Orbán würde von seinem Amtssitz auf das Parlament herabschauen. Wie passend. Er will aus dem Touristenmagnet Várkerület wieder einen Hof machen, mit prächtigen Aufmärschen, Vereidigungen, Audienzen. Ergänzt um eine historisierende Schau- und Heldenwelt seiner Vorstellung von Ungarn, in der er den angemessenen Platz einnimt. Die Chancen stehen gut, dass es ein magyarisches Disneyland wird, mit Orbán als präsidialer Mickey Mouse inmitten.

Modellblick auf Burgberg und I. Bezirk. Alle orange eingefärbten Gebäude sind staatlich und Teil des Renovierungsporjektes.

Öffentliche Ausschreibungen für die umfassenden Renovierungs- und Umbaumaßnahmen wird es nicht geben, denn immerhin handelt es sich um ein Projekt der "höchsten nationalen Sicherheitsstufe". Daher wird auch die Széchenyi-Nationalbibliothek dort nicht mehr gebraucht, sie wird ausgelagert. Denn was Orbán wissen muss, sagen ihm seine Berater, seine Intuition und - etwa alle zwei Jahre - sein Volk bei einem "Friedensmarsch". Und außerdem gibt´s Google im Palast, was braucht man da eine antiquierte Staubfängersammlung auf so hochwertigem Grund? Die Evakuierung der Széchenyi Bibliothek wurde vom "Kriegsrat" (Orbán nennt das Treffen wörtlich so), als langfristiges Projekt eingestuft und für notwendig befunden, da es sinnvoll sei, eine solche Bibliothek doch in die Nähe einer Metrostation anzusiedeln, "nicht notwendigerweise im Stadtzentrum".

Für die entsprechende Performance in Bauausführung und effizienter Kommunikation mit der Öffentlichkeit wird Projektleiter László L. Simon sorgen, der bereits den Entrée-Bereich zum Burgberg, den Burgbasar mit lediglich 100%iger Zeit- und Kostenübertretung bewerkstelligte, woran sich die Versager von BER mal ein Beispiel nehmen könnten. Simon bedrohte ein regierungsnahes TV-Team, das ob der Verzögerungen
leise nachfragte, vor laufender Kamera mit Abschaltung. Nun fragt keiner mehr nach. Die "Magyar Nemzet" titelt: "Regierung wird gesamte Burg renovieren!" und die "Magyar Hírlap" freut sich, dass "die Burg für das Volk offen bleibt!".

In einem ersten archäologischen Vortasten will man sich 2015 den alten Gemäuerresten des Palastes von Béla IV. (13. Jh.) nähern, also dem Urpalast, dessen Überreste unter dem heutigen zu finden, aber nur zu einem kleinen Teil erschlossen sind. Das soll auch über ein Grundstück geschehen, das seit 1948 bis letzten Sommer in Besitz der US-Regierung war. Hier war bis zum Ausbruch des Antihabsburgsaufstandes 1848 auch der Kerker von Mihály Táncsics, der als der Modernisierer der ungarischen Sprache gefeiert wird, zu Lebzeiten aber mehr Aufsehen mit seinem Kampf gegen jegliche Art von Ungerechtigkeiten und vor allem die allgegenwärtige Zensur erregte. Simon wird uns schon den richtigen Táncsics freilegen lassen.

Sperrbezirk und Gefahr für historische Zeugnisse

Die Besucherströme sollen über die historische Zahnradbahn, die ebenfalls runderneuert wird und eventuell eine Seilbahn quer über die Stadt, wie man das z.B. aus Barcelona oder Lissabon kennt sowie den Ausbau der südlichen Zufahrt gelenkt werden. Denn andernfalls müsste jeder, der in den Palast will, zweimal an Orbáns Amtssitz vorbei. Das wäre zu viel der Volksnähe. Folgt man den Plänen, wird der gesamte Mittelteil des Viertels, also zwischen Matthias-Kirche und Nordportal des Palastes zum Sperrbezirk, einfach abzuschotten und leicht zu verteidigen. Vielleicht wird das irgendwann wieder nötig.

2016 dann soll der "emblematische" Thronsaal des Burgpalastes in seinen historisch angenommenen Zustand versetzt werden. Dass der Premier im gleichen Jahr auf den Burgberg zieht, ist reiner Zufall. Was sonst zu erwarten ist, bleibt unklar. Simon schloss auch "moderne Gebäudeteile" im Rahmen der "historischen Restauration" nicht aus und musste in der Regierungspresse sogar klarstellen, dass “der Burgpalast auch in der Zukunft für die Öffentlichkeit zugänglich bleibt.” So selbstverständlich ist das nicht.

Die Benennung der Projektgruppe als "Hauszmann-Kommission" sollte architektonisch Interessierte beunruhigen, denn dieser Hauszmann war zwar ein technisch versierter Baumeiester des 19. Jahrhunderts, aber ästhetisch der Repräsentant eines historistischen Wald- und Wiesen-Zuckereklektizismus`, der zwar in Pest eine gewisse stadthistorische Berechtigung als Zeuge einer national-emanzipatorischen Gründerphase zwischen Klassizismus und Secession, - auf dem Burgberg aber schlicht nichts verloren hat. Das Problem: dieser sich überall arglos bedienende Kitschstil gilt (neben dem Puszta-Barock á la Stadion Felcsút) in den nationalen Kreisen als originär Ungarisch. Form folgt Inhalt.

Simon erläuterte auch, warum es keine der sonst üblichen, ja in Europa eigentlich vorgeschriebenen Ausschreibungen für dieses Riesenprojekt geben kann. Die Sache sei historisch viel zu sensibel, als dass man "konkurrierende und sich bekämpfende" Akteure an den Baustellen gebrauchen könnte. Klar, es sei denkbar, dass bauliche Standardprozeduren "ausgelagert" vergeben werden, aber einen "Wettbewerb" im eigentlich Sinne könne er sich bei einem "solchen Symbol der ungarischen Nation" wahrlich nicht vorstellen.

Wenn wir mehr Geld brauchen, kriegen wir es...

Einigermaßen unklar waren die Ausführungen hinsichtlich des Umbaus von Stadtwäldchen und Heldenplatz in ein "Museumsquartier von Weltmaßstab". Hier tauchten in den vergangenen Wochen Gerüchte auf, wonach die für diese "Kulturhauptstadt Hungária" geplanten EU-Mittel womöglich erst viel später - wenn überhaupt zusammenzubringen sind, weshalb im Budget für kommendes Jahr auch nur 8 Millionen Forint für den Fortgang des auch unter Anrainern sehr umkämpften Projektes ist. 8 Mio. Forint, also rund 23.000 EUR das genügt gerade für den Betrieb eines 2-Mann-Büros - ohne Kaffeemaschine. Das Gesamtprojekt ist mit 150 Milliarden Forint angesetzt, allein rund 15 Milliarden sollte eigentlich nur für die Raum- und Detailplanung aufgewandt werden, also Erschließung, Architekten, Konstrukteure etc.

Impression aus dem Stadtwäldchen heute, darunter eine vorauseilende Skizze eines Arcehitektenbüros für ein “Museumskorso” rund um die neu zu errichtende Nationalgalerie. Wer findet den Unterschied?

Der Fertigstellungstermin von 2017, also rechtzeitig vor den nächsten Wahlen ist gestorben. Das Projekt liegt auf Eis, doch Kommissar Simon beharrt: es geht weiter. Denn "wir brauchen ja zumindest eine neue Nationalgalerie", da die alte aus den Räumen des Burgpalastes ausziehen muss, der ja wieder als (musealer) Königspalast erstrahlen soll. Simon kommentierte diese Diskepranz lapidar: wenn wir mehr Geld brauchen, kriegen wir es. Bekanntlich DER Fidesz-Slogan schlechthin. Allerdings hob Kanzler Lázár, rechts von Orbán sitzend an dieser Stelle vielsagend die Augenbraue. An Simons Seite saß mit László Baán der Ex-Direktor des Museums der Schönen Künste und eigentliche "Regierungskommissar" für das Museumsquartier, doch der durfte oder wollte dazu nichts sagen.

Wie wir erfahren dürfen, sind die meisten EU-Mittel - sowohl struktureller wie operativer Art - längst in anderen Projekten verplant, vor allem in den Bau von drei Dutzend Fußballstadien und Sportstätten, deren Gesamtinvestitionen jene der beiden genannten Großprojekte übersteigen. Zudem gilt Budapest, im Unterschied zum Großteil des Landes, unter EU-Maßgaben nicht als "unterentwickelte" oder benachteiligte Region, was einige Töpfe ganz ausschließt. Im TV-Kanal ATV gestand Kulturstaatssekretär Péter Hoppál ein, dass die "Chancen, dass das Projekt im kommenden Jahr anläuft" noch bei 50:50 liegen. In Zweidrittelórszág ein recht dürftiger Wert.

Andere Quellen berichten davon, dass den öffentlichen Kassenwarts auffiel, dass es für beide Projekte schlicht nicht genug Geld gibt, wie man es auch dreht und wendet. Orbán soll daraufhin ein Machtwort gesprochen und seine Burgbesteigung dem Kulturbedürfnis des Volkes vornangestellt haben. Baán wurde so zu einem ministeriellen Kommissar degradiert, während Simon zum persönlichen Regierungskommissar Orbáns aufstieg.

Vor vollendete Tatsachen gestellt

Die fünf neuen Museen und Anbauten an die alten, samt Ramponierung des Stadtwäldchens - einer Institution des bürgerlichen Ungarns - werden über kurz oder lang kommen, sind sich Beobachter einig. Zumindest die Nationalgalerie wird wohl bald gebaut werden, der Rest nach den kommenden Wahlen. Bis dahin könne man, um in Simons eleganter Sprache zu bleiben, die `vorlauten grünen Mäuler` stopfen und dem Volk die Verzögerung als Rückzieher im Sinne der Bürgerfreundlichkeit verkaufen. Nach 2018 kann die Zubetonierung des Stadtwäldchens folgenlos umgesetzt werden.

Auch hier polemisieren die Kritiker - und derer sind gerade beim Stadtwäldchen immer mehr - nicht gegen den Neubau von Museen und Kulturstätten an sich. Doch die Bürger Budapests, aber auch deren Bezirksbürgermeister und sonstige Repräsentanten werden - diskussionslos - vor vollendete Tatsachen gestellt, so wie das ganze Volk bei der Gesetzgebung und der Tagespolitik. Mitwirkung ist unerwünscht, Transparenz ausgeschlossen, Jubel erste Bürgerpflicht. Hinzu kommt, dass alle Museen staatlich zentralverwaltet werden sollen, unter der Aufsicht der "Akademie der Künste", deren Credo lautet "Kunst muss national sein." Sammlungen werden zerrissen, konzentriert, selektiert, Ungarns Kultur zur Beute und zum Arbeitsmaterial für die Chefideologen einer neuen Rassentheologie, einschließlich Horthy-Reinwaschung.

 

Was die Budapester geflissentlich auch interessiert, sind die Pläne für die vor Jahresfrist durch den Staat vom ("sozialistisch" regierten) XIII. Bezirk requirierte Margareteninsel, einer weiteren "Landmark" Budapest sowie die flußaufwärts davon gelegene Schiffsbauinsel, die man einem gescheiterten Investor, für den sein Projekt "Trauminsel" zum Albtraum wurde, für wenig Geld abkaufte - und ebenfalls verstaatlichte. "Umfangreiche Entwicklungsprojekte", die aber noch in der Planungsphase seien, sind das einzige, was man dazu bisher von Regierungsseite zu hören bekam. Fix ist hingegen die Errichtung eines Skigebietes  auf dem 325 Tage im Jahr schneefreien Normafá in Budapests XII. Bezirk, einem der letzten innerstädtischen Waldzonen. Ein Projekt der "Naherholung", auf dem auch ungarische Schulkinder Skifahren lernen sollen, um den Anschluss an die Welt nicht zu verpassen. Natürlich sollen Hotels und eine gewisse Exklusivität dafür sorgen, dass die privaten Betreiber des steuerfinanzierten Projektes nicht zu kurz dabei kommen.

Wer fragt eigentlich die Kinder? Der Vidámpark in Budapest ist nun endgültig geschlossen
http://www.pesterlloyd.net/html/1340vidamparkgeschlossen.html

Opposition macht gegen Fidesz-Großprojekt im "letzten Wald" von Budapest mobil
http://www.pesterlloyd.net/html/1337normafaplaene.html

red. / a.l.

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