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(c) Pester Lloyd / 50 - 2014   MEDIEN   07.12.2014

 

Schutzgeld und Krokodilstränen: Medienkrieg Ungarn vs. RTL eskaliert

Mit harten Bandagen ringen private Mediengruppen, regierungsnahe Netzwerke sowie die Orbán-Regierung um die ökonomische wie politische Vorherrschaft auf dem TV- und Printmarkt in Ungarn. Während RTL mit journalistischem Kampfgeist und einem Heer Anwälte hausieren geht, setzt die Fidesz-Politik institutionelle Hebel in Bewegung, um den TV-Marktführer sturmreif zu schießen. Doch neben diesem Hauptkriegsschauplatz findet anderswo längst das große Sterben und Plündern statt.

Orbán ist in den vergangenen Monaten Dauerthema auf RTL Klub, allerdings nicht so, wie er sich das vorstellt. Hier offenbarte der Sender, dass der Premier seinem Sohn ein VIP-Ticket für das WM-Finale in Rio de Janeiro besorgt hatte, dabei war Ungarn nicht einmal qualifiziert...

Wie erst jetzt bekannt wurde, initiierte Wirtschafts- und Finanzminister Varga bereits im Juni, also zur Zeit der Einführung der disproportionalen Werbesteuer, steuerrechtliche Ermittlungen gegen RTL Klub. Dem Free-TV-Marktführer will man nachweisen, dass Firmenzukäufe vor einigen Jahren "ausschließlich zum Zwecke der Steuervermeidung" vorgenommen wurden, meldete das Staatsfernsehen am Freitagabend, pflichtgemäß nach einer Vorlage der amtlichen Nachrichtenagentur MTI, heute die einzig gesetzlich zugelassene Informationsquelle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Ungarn.

Sollte sich herausstellen, dass die damaligen "Transaktionen keinen realen geschäftlichen Hintergrund" hatten, würde die "Steuerbasis des Unternehmens um bis zu 20 Milliarden Forint angehoben werden" (65 Mio. EUR), heißt es weiter, was also allein bei der Körperschaftssteuer ein Mehraufkommen von knapp 13 Mio. EUR bedeutete, wobei RTL bereits mehr als diese Summe in diesem Jahr wegen der neuen Werbesteuer zusätzlich aufbringen musste. Man spekuliert darauf, dass die Luxemburger Mutter - schon ihren Aktionären gegenüber - eine Schmerzgrenze hat, ab welcher man sich lieber vom Ungarn-Abtenteur trennt.

Die Ermittlungen werden ausgerechnet vom Finanzamt NAV durchgeführt, jenem Amt, dem von Ex-Mitarbeitern, mehreren Unternehmen sowie der US-Botschaft Involvierung in und Beihilfe zu systematischer Steuerhinterziehung, Kick-back-Zahlungen und Steuererpressung vorgeworfen wird. NAV-Chefin Vida und ihre Stellvertreterinnen sind von den USA als personae non grate deklariert worden, weil sie "persönlich" (US-Gesandter Goodfriend) Teil der kriminellen Machenschaften sein sollen. Stimmt natürlich alles nicht, sagen die Beschuldigten, - und sagt Orbán.

Es gibt wohl kaum jemanden, der einem europäischen Medienkonzern vom Schlage RTL´s eine solche Praxis der Steuervermeidung wie o.g. nicht zutraut. Doch kaum jemand zweifelt auch daran, dass die jetzt bekannt gewordenen "Ermittlungen" einzig im politischen Auftrag geführt werden, denn Orbán gab mit seiner Äußerung "RTL werde so oder so bald Ungarisch sein" bereits eine klare Marschrichtung vor. Die kürzlich eingeführte, gestaffelte Werbesteuer wurde so designt, dass nur RTL Klub in den höchsten Steuersatz von 40% fiel. Dieser wurde vor wenigen Tagen nochmals angehoben, auf 50% aller Nettowerbeeinnahmen, die sonstigen Steuerpflichten bleiben davon unberührt.

Orbán hatte - wohl auf deutschen Druck (Bertelsmann > Politik) kürzlich davon gesprochen, mit RTL "eine Lösung" finden zu wollen, schließlich sei ihm klar, dass RTL nur dann viel Steuern zahlen könne, wenn es auch profitabel bleibe. Das ist natürlich lieb. Eine "Lösung finden", für ein Problem, dass es ohne den "Lösenden" gar nicht gegeben hätte. Das erinnert an Methoden aus dem Milieu der Schutzgelderpressung, ist also zumindest authentisch.

Der "Medienkrieg" zwischen Regierung und RTL, das in seinen Nachrichten seit Monaten Regierungs- und andere Korruptionsskandale berichtet und dabei aufgrund seiner schieren Reichweite ein echtes Problem für Fidesz darstellt, hat allerdings längst eine Dynamik angenommen, die eher auf Eskalation, denn auf Einigung hinweist. Auch der Medienrat, Ungarns amtliche Zensurbehörde wurde in den Konflikt involviert und belegte den Sender
kürzlich mit einer absurd hohen Strafe, weil in einer virtual-reality Soap zu wenig "heile Welt" vorkam. Wer "heile Welt" will, der sollte eben M1 schauen. (Die Staatssender gibt´s bei uns übrigens als 24/7-Live-Stream)

RTL hat erklärt, den Fehdehandschuh aufzunehmen und "alle rechtlich zulässigen Möglichkeiten" auszuschöpfen, auch der Gang nach Brüssel wurde angekündigt, denn die Werbesteuer sehe man als diskriminierend und wettbewerbsrechtlich nicht zulässig an. Vorausschauend hatte RTL vorige Woche seine sämtlichen Kabelkanäle lizenzrechtlich aus Ungarn
nach Luxemburg ausgelagert, offiziell aus "Kostengründen" und "im Einklang mit EU-Recht", doch liegt auf der Hand, dass der Schritt - den man übrigens auch in Rumänien durchführte - vor allem der Sicherung des Portfolios gilt. Es war eine Evakuierung.

Dass die Werbesteuer die Medienvielfalt weiter ausdünnt und die Umgestaltung der medialen Landschaft in eine Fidesz-Erlebniswelt begünstigt, ist die andere Seite der Medaille, die allerdings im Schatten der großen Schlacht mit RTL steht. Immerhin können bevorzugte Medien durch staatliche Anzeigenaufträge aufgefangen werden, während man andere gezielt austrocknen und damit vernichten oder übernehmen kann. Und man tut es auch, konsequent.

 

Dieser - in demokratischen Kategorien - Machtmissbrauch führte zu dem für Ungarn eigentlich unvorstellbaren Vorgang, dass sogar regierungsnahe Medien wie Magyar Nemzet und Hír TV einmal gemeinsam mit oppositionellen und unabhängigen Medien mittels leerer Seiten und schwarzer Bildschirme gegen die Werbesteuer protestierten. Wie sich später herausstellte, stand hinter diesem Drang nach "freien" Medien jedoch ein Fidesz-Mafiakrieg zwischen den Paten Orbán und Lajos Simicska, einem einflussreichen Oligarchen, der seine Privilegien überreizte und nun um sein Medienportfolio fürchtet.

Zum Behufe einer möglicht weitreichenden Medienkontrolle hat die Regierung - neben dem Medienrat für den Staatsfunk und die Frequenzkontrolle - in diesem Jahr noch eigens eine
gigantische Medienbehörder gegründet, die, angesiedelt beim Amt des Minsterpräsidenten, nicht nur die staatlichen Medienbeteiligungen  außerhalb der öffentlich-rechtlichen Sphäre bündelt und lenkt, sondern über ein jährliches Anzeigenbudget von über 50 Milliarden Forint und damit durchaus wirtschaftlich über Leben oder Tod - gerade für kleinere Blätter und Sender - gebietet.

Das Ziel dahinter ist klar: die eher ältere und ländliche Wählerklientel soll über Staatsfunk, Stadtfernsehen und kommunale Käseblättchen in den Händen von Parteikadern ein möglichst klar strukturiertes, einseitiges Bild von Land und Regierung erhalten, wenn man schon das Internet als leider (noch) weitgehend unktrollierbare Spielwiese des "Cybermob" der Unabhängigkeit preisgegen muss. Erste Versuche, auch hier Zugang zu Datenströmen und Nutzergewohnheiten zu bekommen, wurden im Rahmen der Internetsteuer gemacht, allerdings war der Aufschrei dagegen derart groß, dass man die Pläne zunächst ad acta legte.

Die großen ausländischen Broadcaster und Verlage in Ungarn haben sich schon im Rahmen des Mediengesetzes in punkto Medienfreiheit 2010/2011 nicht gerade mit Ruhm beckleckert und sie tun es bis heute nicht. Während die großen Publisher zu Gleichschaltungs- und Konzentrationsgesetzen, Zensurparagraphen, parteilicher Kontrolle und Willkür weitgehend schwiegen, handelten die TV-Konzerne ihre "Kompromisse" zu product placement und Werbezeiten hinter verschlossenen Türen aus.

 

Als es trotzdem nicht gut lief, weil der Allmachtshunger von Fidesz nicht gestillt war, hatte man keine Skrupel Ungarn sich selbst zu überlassen: ProSiebenSat1 verscherbelte seinen ungarischen Sender TV2 an Fidesz-nahe "Geschäftsmänner" und gewährte ihnen sogar noch einen Kauf-Kredit, der wiederum aus einem gestiegenen und öffentlich finanzierten Werbeaufkommen gegenfinanziert wurde. Die WAZ-Gruppe bzw. Funke ließ den "ungarischen Spiegel" HVG wegen einer "Portfoliobereinigung" im Stich, Magyar Telekom verriet auf Regierungszuruf sein Portal origo.hu und die Pressefreiheit gleich mit, Ringier und Springer lagern ihre Portfolios teilweise an Finanzinvestoren aus und gefährden die Zukunft solcher Traditionsblätter wie der Népszabadság. Die bis dato als unabhängig geltende Napi Gazdaság ging unter mysteriösen Umständen an einen der Macher eines regierungsnahen "Think tanks", der Kultsender Tilós Radío, das Traditionsglatt Népszava u.a. stehen mit einem Bein im Grab und das täten sie - unabhängig von Qualität und Marktfähigkeit - nicht, wären sie regierungsnah, rechts oder extrem rechts.

Für RTL ist der Wert der Pressefreiheit vor allem ein Geldwert und der TV-Riese vergießt bei seinem Kampf gegen Orbáns Einverleibungsoffensive also auch reichlich Krokodilstränen, wenn er heute so scharf gegen die regierungsseitige Unfairness argumentiert. Denn: in welchem politischen Umfeld man in Ungarn tätig ist, war lange schon bekannt doch - solange es nicht die Rendite des eigenen Hauses betraf - kein Thema...

Verlustängste: RTL interessiert sich in Ungarn plötzlich für die Politik

WAZ / Funke lässt "ungarischen Spiegel" im Stich

Wie die (Deutsche) Magyar Telekom die Pressefreiheit in Ungarn verriet

Ein Überblick über den ungarischen Medien-Werbemarkt 2013/14 sowie Links zu Medien-Übernahmen, Stand von Medienfreiheit etc.

Mehr zum Thema auch in der Rubrik
"Medien & Boulevard"

cs.sz.

 

 

 

 

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