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(c) Pester Lloyd / 50 - 2014   BOULEVARD   09.12.2014

 

Sei ein Mann! Orbán will US-Gesandten vor Gericht sehen oder die Finanzamtschefin feuern

In seiner typischen Mischung aus hungaromachistischer Präpotenz und staatstragender Weinerlichkeit hat sich unser ostmitteleuropäischer Operettenrevolutionär Viktor Orbán im ungarischen Parlament wieder zum Herr über sein Land und seine Untertanen aufgeschwungen. In fast mittelalterlicher Archaik fordert er den Gesandten des fernen Reiches zum Duell. Doch alles ist nur ein billiger Bluff, hätte diese Schmierenkomödie nur nicht so einen ernsten und sehr teuren Hintergrund...

Regierungschef Orbán hat die Leiterin des Finazamtes NAV, Ildikó Vida, am Montag öffentlich im Parlament aufgefordert, den US-Gesandten Goodfriend wegen Verleumdung zu verklagen, weil dieser behauptet, sie sei "persönlich involviert in Korruption". "Wenn sie nicht umgehend eine Klage einreicht, werde ich (!) sie entlassen." lautete sein Ultimatum, das zweite an Vida, nach dem der Demonstranten...

Es gebe durchaus die Möglichkeit einen ausländischen Diplomaten in Ungarn vor Gericht zu bringen, erklärte er dem verdutzten Auditorium, dann, wenn dieser auf seine diplomatische Immunität verzichtet oder ihm das Entsendungsland seinen Diplomatenstatus entzieht, setzte Orbán, sekundiert von Außenminister Szijjártó fort, und warf den verbalen Fehdehandschuh: Die Zeit der Worte ist vorbei. "Mr. Goodfriend! Stehen Sie auf, seien Sie ein Mann und tragen Sie Verantwortung, für das was sie behauptet haben!"

Fidesz-Fraktionschef Rogán ergänzte noch, Goodfriend könne sich auch "einem Gerichtsverfahren stellen, ohne rechtliche Konsequenzen tragen zu müssen", ein High-Noon mit Rücktrittsversicherung sozusagen, eine allerdings etwas wirre These, die darauf baut, dass Goodfriend sich alles anhören könnte und - sollte es für ihn unbequem werden, einfach seinen Diplomatenpass zieht und verschwindet. Ein seriöser Richter würde eine Verhandlung auf dieser Grundlage aber gar nicht erst führen. Rogán und sein Trupp stört das nicht, man hat genug eigene Richter.

US-Gesandter Goodfriend und NAV-Chefin Vida
bei einem
Auftritt, der schon Kultstatus hat

 

Der zum Duell geforderte US-Gesandte macht sich weiter über Orbáns Polit-Gezappel lustig. Goodfriend antwortete über Twitter kryptisch, lobte die guten Kooperationen beider Länder "auch auf dem Rechtsgebiet", es gäbe da ja "Rechtshilfeabkommen", die ermittlerische Begehrlichkeiten bedienen könnten. Angeblich hat ja die ungarische Staatsanwaltschaft die US-Justiz um Beweise für die mit den Einreise-Sanktionen zusammenhängenden Vorwürfe gebeten. Experten zweifeln jedoch daran, denn "challenged" Vida (und nur die Betroffenen können das, weil es ja persönliche, keine staatlichen Sanktionen sind) in den USA das Präsidentendekret, käme die Sache vor ein US-Bundesgericht und damit auch alle Details - für die ungarische Justiz und Politik unzensierbar - ans Licht. Da sei der Heilige Stephan davor!

Finanzamtschefin Vida, deren Rücktritt
Zehntausende Demonstranten seit Wochen fordern, ist bisher die einzige, die - nach wochenlangem Versteckspiel öffentlich zugegeben hat, eine der sechs Offiziellen zu sein, die auf der Liste der US-Einreiseverbote nach Präsidentendekret steht. Diese wurden nicht nur zur unerwünschten Personen erkärt, weil die USA ihnen Korruption und Amtsmissbrauch gegenüber US-Firmen in Ungarn vorwerfen, sondern vor allem, weil man davon ausgeht, dass die Verantwortlichen dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden und rechtsstaatliche Verfahren stattfinden. Dass hinter den Sanktionen auch globale, politische Interessen stehen, ist sozusagen common sense, bleibt aber US-seitig natürlich nur angedeutet. Siehe hier.

Vida, eine Fidesz-Weggefährtin Orbáns der ersten Stunde und bereits bei dessen erster Amtszeit Finazamtschefin (damals APEH) hat, seit ihr Ex-Steuerinspektor Horváth Fälle von systematischem und amtlich geförderten
Steuerbetrugs im Multimilliardenmaßsstab an die Öffentlichkeit und die Staatsanwaltschaft brachte, alles dafür getan, den Aufdecker zu kriminalisieren und sich mit einer "internen Ermittlung" reinzuwaschen.

Staatsanwaltliche Ermittlungen gibt es nicht, dem Generalstaatswalt, Fidesz-Mann und Orbán-Günstling, Péter Polt, fehlen die "Anhaltspunkte". 1200 selbst produzierte Seiten Bericht "entlasten" das Finanzamt, die Justiz gibt sich damit zufrieden. Diese legt bei allen Partei- und Regierungsangelegenheiten eine sehr auffällige Untätigkeit an den Tag, Hinweis darauf, dass die "Justizreform" erfolgreich abgeschlossen wurde - freilich im Einklang mit EU-Regularien...

Fidesz-Fraktionschef Rogán stellt sich ebenso dumm wie alle anderen Beteiligten. "Wir wollen eine Prozedur hier in Ungarn, bei der entschieden werden kann, ob die US-Botschaft oder Vida im Recht ist." Wie solche Prozesse ausgehen, kann man u.a. an MOL-Chef Hernádi sehen, der gerade in zweiter Instanz und auf zumindest indirekten Zuruf von Premier Orbán vom Vorwurf der
Bestechung im Falle INA/Sanader freigesprochen wurde, ohne sich einem kroatischen Gericht gestellt zu haben. Selbst ein Interpol-Haftbefehl brachte Budapest nicht zum Einlenken, Hernádi wurde von Orbán zum energiepolitischen Strategie-Berater befördert, MOL-Chef ist er immernoch. Im Februar beginnt ein Verfahren in Zagreb in seiner Abwesenheit...

Die Taktik könnte jetzt so aussehen: seit über einem Jahr ist dem NAV und der Regierung klar, dass die amtlich geduldeten bzw. sogar angetriebenen Mehrwertsteuerkarusselle, Firmenerpressungen, Steuernachlässe und sanfteren Prüfungen gegen Kickbackzahlungen irgendwann auffliegen. Es geht jetzt nur darum, die NAV-Leitung, vor allem aber eventuell beteiligte Politiker und Amtsträger aus der Schusslinie zu nehmen. Sollte durch einen etwaigen Prozess (der allerdings kaum so stattfinden wird) einiges ans Licht kommen, die persönliche Schuld Vidas im Sinne des Begehens von Straftaten nicht ermitteln lassen oder richterlich nicht anerkannt werden, stünden die USA wie die Deppen da und Orbán könnte sich noch als Korruptionsbekämpfer feiern lassen.

 

Dass die Amis sich auf so einen Schaukampf gar nicht erst einlassen, gibt Orbán dann immerhin das Recht von "fehlenden Beweisen" zu sprechen und den Schwarzen Peter wieder über den Großen Teich zu schieben. Die US-Botschaft selbst kann die Beweise gegen Vida und Co. jedoch nicht veröffentlichen, denn das wäre ein Rechtsbruch von kapitalem Ausmaß. Zumal das Präsidentendekret rechtlich gar nicht zwingend einer Begründung bedarf. Also: Orbán ventiliert mit seinem Ultimatum an Vida einen Bluff. Sie kann Goodfriend verklagen, es wird keine Verhandlung geben. Fertig. Notfalls könnte man Goodfriend noch zu den "good friends" ausweisen. Dafür muss Orbán aber erst noch einen großen Schluck von seinem Zaubertrank nehmen...

Dass Orbán Vida notfalls, also falls (eher wenn) das ganze Kartenhaus kollabiert, opfert, um seinen korrupten Laden zu schützen, bei dem fast täglich aus allen Ecken und Enden die
Skandale herausquellen, als Spitze eines amtlichen Raubzuges, kann als sicher gelten. Dafür wäre er noch zu ganz anderen Taten fähig... Allerdings dürfte Vida über ein intimes Detailwissen verfügen, das ihr wenigstens einen goldenen Abgang ermöglicht und Belästigungen seitens der ungarischen Justiz erspart, zumindest solange Orbán im Sattel sitzt.

red.

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