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(c) Pester Lloyd / 51 - 2014   POLITIK   19.12.2014

 

Die Reihen fest geschlossen: Fidesz-Führungszirkel diszipliniert Abweichler

Kratzer im Lack der ungarischen Regierungspartei. Sich häufende Bereicherungs- und Korruptionsskandale im engsten Orbán-Umfeld, die Arroganz der Führungsriege und abstürzende Umfragewerte wecken zwar nicht die Moral, wohl aber Machtverlustängste einst kadavergehorsamerParteisoldaten. Schroff und öffentlich werden Abweichler von der Parteilinie zurechtgewiesen, mit Geldstrafen und Dolchstoßrhetorik belegt. Zur Machtsicherung bedient sich die Fidesz-Spitze Nazi-Stimmen und Mafia-Regeln.

Ein eindrückliches Beispiel vom Demokratieverständnis der Führungsriege des Fidesz legte die Fraktionsspitze der Orbán-Partei diese Woche ab. Zwei Fraktionsmitglieder, János Bencsik und Béla Dankó, stimmten am Montag gegen zwei Gesetzesvorlagen der eigenen Partei, bei denen zur Annahme eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war. Dabei ging es zum Einen um die Auslagerung und Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Sender in ein staatliches Non-Profit-Unternehmen sowie um den "Zwangskindergarten".

Wegen "abweichenden Stimmverhaltens" wurden die beiden Abweichler von Fraktionsgeschäftsführer György Balla gestern zu je 100.000 Forint Strafgeld verurteilt, weil, so erklärte es Balla gegenüber MTI "die Parteirichtlinien klar sagen, dass die Mitglieder der Fraktion bei jeder Abstimmung, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert, verpflichtet sind, anwesend zu sein und der Parteilinie zu folgen." Diese Regel, die an die Zeiten von vor 1989 erinnert, sei am Beginn der Legislaturperiode einstimmig in der Fraktion beschlossen worden. Ungeachtet dessen hätte ja "jedes Fidesz-Mitglied die Möglichkeit, seine abweichende Meinung in der Fraktion - und sogar (!) in der Öffentlichkeit zu äußern."

 

Da die 2/3-Mehrheit des Fidesz derzeit an einem einzigen Mandat hängt und am Montag zudem ein weiterer Abgeordneter wegen Erkrankung fehlte (Premier und Minister sind bei Auslandsreisen oder "Terminen der nationalen Sicherheit" entschuldigt), kam die Abstimmungsmaschinerie plötzlich ins Stocken. "Zufälligerweise" entschwanden jedoch just bei Aufruf der Abstimmung zwei Kameraden der neonazistischen Partei Jobbik und stellten so die erforderliche Mehrheit der anwesenden Parlamentarier wieder her, auch DK-Chef Gyurcsány hatte dabei gefehlt, obwohl er kurz vorher noch da war und somit eine Gelegenheit vertan, Orbán eins auszuwischen. Medien rätseln jetzt, welchen Deal man mit den Jobbik-Abgeordneten ausgehandelt haben könnte oder ob das Übereinkommen auf der rechten Seite schon stillschweigend selbstverständlich geworden ist. Dass Gyurcsánys “Orbáns bester Mann” auf Seiten der Opposition ist, weiß man schon lange.

Selbst laut der “Fidesz-”Verfassung ist der Abgeordnete seinen Wählern, letztlich seinem Gewissen verpflichtet und de jure unabhängig. Fraktionszwänge sind auch in westlichen Demokratien die Regel, Zuwiderhandlungen werden dort allerdings nicht mit Bußgeldern und verfassungswidrigen Fraktionsstatuten gehandet, sondern der Betreffende würde intern gemaßregelt und schlimmstensfalls bei den nächsten Wahlen von der Kandidatenlisten gestrichen. Es ist also festzuhalten, dass die Fidesz-Fraktion verfassungswidrig handelt und keine Skrupel hat, sich der Stimmen von Faschisten zur Machtsicherung zu bedienen. Falls jemand wissen will, warum auch das den Schwesterparteien der EVP völlig gleichgültig bleiben wird, der sollte einmal in Kiew anrufen...

Kampf zwischen weltlichem und geistlichem Machtmissbrauch

Schon vor einigen Tagen hatte sich das Fidesz-Urgestein Zoltán Pokorni, bis zu den letzten Wahlen Parlamentsabgeordneter und Bildungssprecher seiner Partei, heute "nur" noch Bezirksbürgermeister des XII. Bezirks von Budapest, kritisch zu den immer neuen Ungereimtheiten in der Vermögensanhäufung der Orbán-Clique geäußert und öffentlich zur "Mäßigung" aufgerufen. Sogar László Kövér, sonst verbaler Kettenhund, sah diese Äußerung als "bedenkenswert" an. Sogar einer der führenden "Friedensmärschler", Orbáns Hauschronist, András Bencsik, bemerkte kürzlich, dass Anspruch und Wirklichkeit der "nationalen Revolution" mitunter getrennte Wege gehen und die reine Lehre durch das sündhafte Verhalten Einzelner in Gefahr geraten könnte.

Diese Kritik beruht jedoch weder auf demokratischen Skrupeln, noch auf ethischen Grundsätzen, dazu haben diese Personen längst ganz anderweitige Befähigungsnachweise abgelegt, eher schon stammt sie aus Mündern, die nicht so nah an die Futtertröge kommen wie andere oder solchen, die Orbáns Geschwafel vom Erwachen eines neuen Ungarn tatsächlich Glauben schenken. Ein Kampf zwische weltlichen und geistlichem Machtmissbrauch, sozusagen.

Gerade Bencsik und Kövér sind der Jobbik inhaltlich und formal viel näher als der Fidesz-Mainstream. Und immerhin ist Pokorni der Pate des mit öffentlichen Geldern zu errichtenden "Skigebietes" samt Hotelanlagen auf dem fast immer schneefreien Normafa, einem klassischen Fidesz-Konstrukt also. Allerdins fiel er früher bereits schon durch Kritik an der Bildungspolitik, namentlich der Staatssekretärin Hoffmann auf, damals musste Orbán erst ein Machtwort sprechen, bis dieser wieder Ruhe gab.

Die aktuelle Ausgabe des Wochenmagazins HVG www.hvg.hu Die Fidesz-Führungsclique als “Heilige Familie”, die den Mammon als Erlöser anbeten. “Schöne Bescherung...”. Von links nach rechts: Kommunikationsstaatssekretär und Századvég-Waschweib András Giro-Szász, Außenminister und Liebhaber des “Zigeunerbarock” Péter Szijjártó, Kanzleramtsminister János “Wer arm ist, ist selbst Schuld” Lázár, Orbáns “persönlicher Kommunikationsstrategieberater” ohne Vertrag, Árpád “der Giftzwerg” Habony, Orbán (Chef), NAV-Chefin Ildikó “Ohne Dolmetscher fahre ich nirgendwo hin” Vida sowie Fraktionschef Antal “das Täschchen” Rogán.

"Hinterhältiger Angriff von Politveteranen"

Gestern reagierte Kanzleramtsminister Lázár, die Nr. 2 nach Orbán, in einem Rundfunkinterview auf harsche Weise auf die wahrlich vorsichtigen Mahnungen der Altvorderen. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl an alle im Fidesz, die es wagen, Kritik zu äußern, so wie es gerade auch wegen der Mautpflicht auf der M0 geschah, weil Fidesz-Bezirkschefs Angst vor der Wut ihres Wahlvolkes bekommen, nicht wenige sind nur mit ein paar Dutzend Stimmen Vorsprung im Oktober nochmals wiedergewählt worden.

Lázár lässt das alles nicht gelten. "Wer die Frontkämpfer von hinten angreift, stellt sich selbst ins Aus." meinte er in Richtung Pokorni und all die anderen und unterstellte ihm persönlich einen "hinterhältigen Angriff", auf jene, die Tag und Nacht für die Ziele der Partei arbeiten. Dass Lázár die Politik für das Volk als Krieg ansieht, sei hier nur am Rande erwähnt. Ohne Kriegsrhetorik kam Fidesz noch nie aus, sie ist ihr Lebenselixier.

Zu den Bereicherungs- und Korruptionsvorwürfen sagte Lázár pauschal, dass "jeder Penny ehrlich verdient" sei und bezog dabei, neben sich selbst, namentlich Kommunikationschef Giro-Szász, Fraktionschef Rogán, Außenminister Szijjártó und sogar den "vertragsfreien" Chefberater Habony ein und mithin genau jene Gruppe, die wegen ihrer offen zur Schau gestellten Dreistigkeit am heftigsten im Verdacht von Korruption, Selbstbereicherung, Amtsmissbrauch etc. stehen.

Heute hätte kein Regierungsmitglied, kein führender Parteikader mehr die Möglichkeit sich "auf diese Weise zu bereichern, wie es viele der unter der Vorgängerregierung" getan hätten. Immerhin habe man (über die Vermögensdeklarationen) über die Jahre alles verfolgen können, da habe es aber niemanden interessiert, was - neben den "
Angriffen der USA" ein Hinweis darauf sei, dass es sich um eine Attacke von außen handelt. Es sei ohnehin so, dass das öffentliche Misstrauen ja ganz allgemein der "politischen Elite" gelte. Er aber wisse, dass "dieses Misstrauen jeder Basis entbehre". "Pokornis Äußerung ist ein Angriff von hinten. Ein Angriff von einem politischen Veteranen gegen jene, die an der Frontlinie stehen...". Diese Art Angriff sei einer der schändlichsten.

Es sei wichtig, den "Ausgleich innerhalb der Familie zu wahren, denn dies ist eine Bedingung dafür, dass auch die ungarische Gesellschaft ruhig bleibt." Übersetzt aus dem Mafiosischen: Wer nicht schweigt, risikiert, dass die ganze Bude in die Luft geht. Omertá heißt der Fachbegriff dafür...

Orbán kann und wird sich nur selber stürzen

 

Immer wieder gibt es - in oppositionsnahen Medien häufiger als in unabhängigen - farbenfrohe Spekulationen über denkbare "Machtkämpfe" bei Fidesz und drohende Kontrollverluste bei Orbán. Wie sich heraustellte sind Erstere nichts weiter als Verteilungskämpfe zwischen verschiedenen Machtzentren und Oligarchengruppen sowie sich manchmal überschneidenden Ebenen, also wenn z.B. lokale Platzhirsche der "Zentrale" ins Handwerk pfuschen, Revierkämpfe also. Orbán selbst kann nicht gestürzt werden, er wird letztlich, wie jeder gute Diktator, über sich selbst stürzen. Anzeichen für Unkonzentriertheiten und beginnenden Kontrollverlust gibt es, die sind aber nicht parteiintern begründet, sondern hängen mit der Hybris unseres Großen Vorsitzenden zusammen. Hier mehr dazu.

red. / cs.sz.

red

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