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(c) Pester Lloyd / 02 - 2015   NACHRICHTEN   08.01.2015

 

Schock, Mitgefühl, Ursachensuche und eine desorientierte Rechte: Ungarische Reaktionen zum Terrorakt gegen französische Zeitung "Charlie Hebdo"

Staatspräsident János Áder und Ministerpräsident Viktor Orbán verurteilten die Morde an Mitarbeitern des französischen Satireblattes "Charlie Hebdo" in Paris, die 12 Menschen am Mittwoch das Leben kosteten.

Áder schrieb an seinen Amtskollegen Francois Hollande: "Ich war tief schockiert über den fatalen Angriff zu hören" und überbrachte das Beileid "des ungarischen Volkes an die Familien der Opfer". Ungarn trauert mit Frankreich und verurteile alle Formen von Terror. Man müsse weiter zusammen stehen, um die gemeinsamen europäischen Werte der Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen. Orbán ergänzte, dass "nichts eine solche feige Attacke und unmenschliche Gewalt rechtfertigen" könne.

“Unsere Gedanken und Gebete sind mit Euch.”
- Stilles Gedenken am Mittwoch vor der Botschaft Frankreichs in Budapest. Foto: MTI

Ähnlich lautende Botschaften gingen vom Außenministerium, der Regierungspartei Fidesz sowie allen parlamentarischen Oppositionsparteien - außer Jobbik - an die jeweiligen Partnerorganisationen in Frankreich bzw. an die Presse.

Angehörige von grünen und linksliberalen Gruppen, aber auch Bürger stellten Kerzen des Gedenkens vor der französischen Botschaft in Budapest auf.

 

Vertreter der kleinen Islamischen Gemeinde in Ungarn nannten den Anschlag "furchtbar und schauderhaft wie jeden Terrorakt" und wiesen daraufhin, dass der Angriff gestern auch ein Angriff auf die Muslime Europas gewesen sei. Man stehe als Bürger Europas an der Seite der Familien der Opfer und der Menschen in Frankreich.

Mehrere Medien, voran das führende, unabhängige Portal index.hu publizierten demonstrativ die von "Charlie Hebdo" einst veröffentlichten Mohammed-Karikaturen, die als Vorwand für den gestrigen Überfall gelten.

Die Medien debattieren, inwiefern der islamistische Terror nun Europa erreicht habe und stellen bei weiterer Eskalation in den Krisengebieten einen "Krieg der Kulturen" in Aussicht. Reflektierende Medien warnen dabei jedoch vor der Stilisierung eines solchen - gerade auch durch populistische europäische Politiker - während in den rechten Leitmedien der Vorwurf einer "versagenden Einwanderungspolitik" (eine Wortwahl Orbáns) ebenso als mitverantwortlich für das gestern Geschehene mitschwingt wie die außer Kontrolle geratene globale Interessenspolitik der USA.

Während im rechten Lager (also Regierungslager und rechts davon) der "Islam" weitgehend pauschal (wenn auch mit "Islamismus" manchmal verklausuliert) als das Problem und mit Europa unverträglich angeprangert wird, kommentieren liberale Medien eher, dass es sich um schiere Verbrechen handelt, die zwar auch mit einer desaströsen Integrationspolitik in Frankreich (wie auch anderswo) und den globalen Ereignissen zusammenhängen, nicht aber "den" Moslems angehängt werden dürften, ebensowenig wie sich irgendein Christ für die Verbrechen z.B. des Klu Klux Klans im Namen Jesu rechtfertigen müsse.

Recht und Gesetz müssten die Maßstäbe sein, nach denen gegenüber allen Menschen gewertet wird, nicht die Religionszugehörigkeit. Integration als Chancengleichheit sei dafür die Voraussetzung. Gebe man diesen Grundsatz auf, verschaffe man den Terroristen und ihren Ideologen den Sieg, in dem man sich selbst auf religiös definierte Abgrenzung und Ausgrenzung einlasse. In diese Falle nicht zu tappen, gelinge nur mit den Werten der europäischen Aufklärung. Ministerpräsident Orbán hatte sich mehrfach gegen die "liberale Demokratie" als erstrebenswertes Modell für Europa ausgesprochen.

 

Die neonazistische Jobbik schwieg offiziell zu den Anschlägen, ihr Hausblatt barikad.hu bzw. Alfahír berichtet ausführlich, aber weitgehend neutral, dazugehörige Kommentare auf deren Facebook-Seite schwanken zwischen dem üblichen Antisemitismus, Äußerungen wie: "das haben wir nun von Multikulti" und der "gerechten Strafe" für jene, die sich über Religionen lustig machen. Für ungarische Neonazis ist es nicht leicht, hier eine klare Position einzunehmen, denn die übliche nazistische Untermenschenideologie gegenüber Ausländern, trifft hier auf das von Jobbik gepflegte antiisraelische Bündnis u.a. mit den Mullahs im Iran und die Ablehnung liberaler Freiheiten wie sie in Europa herrschen, die Jobbik mit den islamistischen Extremisten ideologisch vereint.

red.

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