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(c) Pester Lloyd / 01 - 2015   POLITIK   06.01.2015

 

Ein Ermächtigungsgesetz als Neujahrsgruß: Orbáns Ungarn erklärt inneren und äußeren "Feinden" den Krieg

Erneut forderten tausende Demonstranten den Rücktritt Orbáns und seiner Regierung der Plünderer. Doch das "Wie?" einer Rückkehr in ein demokratisches, rechtsstaatliches und europäisches Ungarn bleibt unbeantwortet. Die Regierenden übertreffen sich und die Klagen der Demonstranten noch, mit aggressiven und wahnwitzigen Statements und Ankündigungen, während die asoziale Politik konsequent vorangetrieben wird. Wird 2015 ein düsteres Jahr für Ungarn oder sorgt ausgerechnet die deutsche Kanzlerin Merkel für einen Frühling an der Donau?

Premier Orbán kurz vor Weihnachten bei der Übergabe
von 385 neuen Polizeifahrzeugen an die Exekutive. Foto: MTI

Mit demokratischen Waffen gegen Antidemokraten

Rund 5000 Menschen demonstrierten am 2. Januar zum Jahresbeginn wieder in Budapest. "Jetzt kommen wir!" hieß die Losung des Tages, doch der Bewegung geht allmählich die Luft aus. Die Veranstalter und Teilnehmer der Demos wie auch die unabhängigen Medien des Landes sind sich darin einig, dass die seit Monaten aktive Protestbewegung einen augenfälligen Mangel an Programmatik und Strategie aufweist, weshalb eine Debatte darüber entbrannt ist, wie man verhindern will, dass sich das Protestpotential totläuft und wie dafür zu sorgen ist, dass sich eine Kraft etabliert, die Orbáns national-staatssozialistischer Hegemonialpartei auf demokratischem Wege Paroli bieten kann.

Durch die konsequente Ablehnung aller etablierten Parteien seitens der Veranstalter, gerät die Bewegung in eine Sackgasse, denn ohne eine Partei ist in einer parlamentarischen Demokratie ein friedlicher Machtwechsel nicht möglich. Es gibt nun Stimmen, die meinen, dass das Orbán-System sich ohnehin nicht auf demokratischem Wege abwählen lassen wird (man munkelt von der Etablierung eines Präsidialsystems á la Putin ab ca. 2017), was auch erklärt, warum so wenige Ungarn ihre Kritik oder ihren Frust am Regime durch die Unterstützung einer alternativen Partei im demokratischen Spektrum Ausdruck verschaffen.

Lässt man sich nämlich auf Kooperationen mit MSZP, DK, Együtt, PM oder LMP ein, liefe man Gefahr, das ausgerufene Ideal einer bürgerbestimmten Demokratie schon im Keim zu verraten. Eine Eigengründung sehen viele Beobachter dreieinhalb Jahre vor den nächsten Wahlen jedoch ebenfalls als sehr riskant an, zu dünn und zerfahren ist die programmatische Richtung zu ärmlich das personelle Angebot auf den Sprechertribünen der Demos, zu böse sind die Erfahrungen der letzten Jahre mit ähnlichen Bewegungen, die allesamt als gescheitert zu betrachten sind und deren Reste als bedeutungslose Trümmer durch den oppositionellen Orbit flattern und höchstens mit sich selbst kollidieren.

Orbán stilisiert sich zum Janukowitsch des Karpatenbeckens

Der Führungsriege um Orbán fällt es daher leicht, die Demonstrationen nicht nur zu verhöhnen oder klein zu reden, sondern auch, deren Forderungen schlicht zu ignorieren und die Kundgebungen als von fremden Mächten manipulierte, wenn nicht sogar organisierte "Angriffe gegen Ungarn" umzudeuten. Das mag allen, die die Ursache und Teilnehmer der Demos seit der Anti-Internetsteuerproteste - sowie die Zustände im Lande kennen, absurd erscheinen, ist aber für die frommen Fidesz-Anhänger genauso plausibel wie die Weltsicht der Putin-Fanboys oder der Wahn der Pegida in Deutschland.

Auch hier nutzt Orbán den angesichts der Ukraine-Russland-Krise lauter vernehmbaren Antiamerkanismus (an dessen Anwachsen die amerikanische Politik wahrlich nicht unbeteiligt ist) geschickt aus, um sich als eine Art Janukowitsch des Karpatenbeckens, also als Opfer einer US-amerikanischen Weltverschwörung in Position zu bringen, was er mit seinen andauernden Kotaus vor Putin auch dokumentierte. Immerhin in punkto Selbstbereicherung steht Orbán seinem ukrainischen Kollegen in Nichts mehr nach, nur die Flucht fehlt noch... Der Kossuth Platz als nächster Maidan? Nichts ist so absurd, als dass es in Ungarn nicht möglich und sogar offiziell werden könnte.

Ein paar O-Töne und Beispiele der vergangenen zwei Wochen:

Premier Orbán erklärte bei einer Art Weihnachtsansprache im Staatsfernsehen M1 am 23. Dezember, dass die USA "Korruption (die Korruptionsvorwürfe gegen ungarische Offizielle, die mit US-Einreisesanktionen belegt sind) als Hülle" benutzten, um ihren "Einfluss in Mitteleuropa" zu verstärken, das seit der Ukraine Krise für sie von gewachsenem strategischen Interesse sei. Die Frage der "nationalen Unabhängigkeit" bleibe daher für Ungarn die entscheidende, denn, so verkündet es Orbán fast täglich: eine "neue Weltordung" entsteht, die "Karten werden weltweit neu gemischt".

Offizielles Facebook-Foto von Orbán als Weihnachtsgruß an seine Ungarn...

Die Amerikaner wollen Ungarn "in einen Konflikt hineinziehen, der für uns nur schlecht ausgehen kann" und natürlich sind sie auch sauer, dass der Auftrag für das AKW an Russland und nicht an sie ging. Dabei wolle er, Orbán mit seiner Politik "mehr so sein wie die Deutschen", die wissen, dass man den Konflikt "nicht gegen, sondern nur mit Russland" lösen könne.

Und so geht es weiter und weiter, während gleichzeitig die Korruption grassiert, die ja längst nicht nur von den USA bloßgestellten Funktionäre und Amtsträger weiter von der Staatsanwaltschaft unbehelligt ihre Raubzüge fortsetzen und ein antisoziales Gesetz nach dem anderen das Parlament durchquert (hierzu genügt es, ein wenig auf unserer Startseite zu scrollen). Orbán nutzt also die US-Story als "Hülle" für seine Interessen und wirft der Gegenseite gleichzeitig Unredlichkeit vor. Nimmt man den Wahn als akzeptable Prämisse, handelt Orbán durchaus logisch.

Gegen Angriffe von außen und Feinde von innen: "Nationaler Aktionsplan zum Schutze Ungarns"

Es ist natürlich kein Zufall, dass nur wenige Tage nach Orbáns Ansage, Fraktionschef Rogán vor die Presse tanzt, um die Exekution der Strategie in die Wege zu leiten. Am 29. Dezember redete er davon, dass im kommenden Jahr "die Unterstützung von Familien", ein "vereinheitlichtes, nationales Entwicklungskonzept" und - und darum ging es eigentlich - ein "nationaler Plan zum Schutze Ungarns" verwirklicht werden müsse. Denn "heute, da Ungarn von außen angegriffen wird", stünden "Regierung und Parlament irgendwie schutzlos da" und müssten in die Lage versetzt werden "sich zu verteidigen".

 

Was ist darunter nun zu verstehen? Rogán, einer der frechsten Lügner und dreistesten Karriereisten in Orbáns Rudel bezog sich auf eine internationale Rassistenkonferenz (Identitäre und ein paar andere Nazispinner) vor einigen Wochen in Ungarn, gegen die man "erst in letzter Minute vorgehen" konnte. Wer den Doppelsprech von Fidesz kennt, weiß, dass es mit einem "Aktionsplan zum Schutze Ungarn" am Ende nicht um rechtsextremistische Konferenzen geht, sondern um die demokratische Opposition bzw. die als NGO´s getarnten "Agenten fremder Mächte". Der "Aktionsplan zum Schutze Ungarns" werde dabei auch "eine Antwort gegen die US-Einreiseverbote" enthalten, aber das wird nicht "den Hauptbestandteil" des geplanten Gesetzeswerkes bilden, dessen Charakter laut Ankündigung der eines Ermächtigungsgesetzes ist.

Böse und gute Profite...

Außerdem, schloss Rogán unmittelbar daran an, registriere man "viele ökonomische Aktivitäten, die nicht zum Wohle Ungarns" seien, u.a., dass hier erwirtschaftete Gewinne "automatisch das Land verlassen". Daher müssten Unternehmen, die hier nur tätig seien, um Profite zu erwirtschaften und einzustecken, "stärker besteuert" werden. Wer sein Geld in Ungarn lässt, solle hingegen verschont bleiben. Umsetzen lässt sich eine derartige Diskriminierung im Kapitalverkehr freilich nur gegen EU-Regeln. Doch am Beispiel der Handelsketten, Energieunternehmen, Banken, Telekoms usw. hat man bereits mehrfach vorgeführt, dass das auch innerhalb der EU möglich ist. Dieser Schutz vom Abfluss von "Extraprofiten" solle Teil des "Nationalen Schutzplanes" werden.

Rogán wurde noch deutlicher: "Die Anti-Regierungsproteste der vergangenen Monate sind ein Bespiel für den Einfluss großer Mächte oder Wirtschafts-Player, die versuchen, über die Organisatoren der Demos, mit Mitteln außerhalb von Wahlen Druck auf die ungarische Regierung auszuüben." Dabei ginge es um die Freihandelsabkommen zwischen den EU und den USA, ein Plan, der "Mitteleuropa" (der politisierte Begriff "Mitteleuropa" umfasst Ostmitteleuropa, also die Visegrád 4 + Rumänien unter ungarischer Führung), nicht "aufgezwungen werden dürfe". Auch hier unterscheidet Rogán wieder fachmännisch zwischen bösen und guten Begriffen: man woll sich von den USA nichts aufzwingen lassen, sieht aber das "Potential für ungarische Unternehmen bei einem einfacheren Zugang auf den amerikanischen Markt"...

Um dieses wirre Gefasel Rogáns auf den Punkt zu bringen: Demonstrationen gegen Orbán sind vom Ausland initiierte Putschversuche, wer an ihnen teilnimmt, ist ein Landesverräter und die Regierung wird mit Notstandsgesetzen dagegen vorgehen. Punkt.

Orbán lehnt politische Lösungen ab, er ermächtigt sich

Zum Jahreswechsel kam dann auch schon die erste konkrete Maßnahme. Das Versammlungsrecht wird eingeschränkt. Der Fidesz-Abgeordnete Gergely Gulyás will hier "striktere Regeln", sagte er dem Oppositionsblatt "Népszabadság". Natürlich wolle man nicht das "demokratische Grundrechte" auf Demos und Versammlung in Frage stellen, doch ginge es bei den Anpassungen um Fragen von "gleichzeitigen Demos unterschiedlicher Organisatoren an gleichen Orten", aber auch die "Dauer von Veranstaltungen". Lies: wenn Fidesz-Organisationen einen Demoort anmelden, haben andere dort nichts mehr zu suchen. Und "der Aufbau von Zelten vor dem Parlament für Monate ist ein Missbrauch von Recht".

Die Proteste, die als Ausdruck der stetig wachsenden gesellschaftlichen Spannungen begannen, führen, das ist derzeit die traurige Erkenntnis, im Moment zu nicht mehr als zu einer Demo alle paar Tage, deren Energie immer mehr verebbt. Die angeprangerten Missstände jedoch werden nicht geringer, ja die Orbán-Riege arbeitet, wie es Regimen im sendungsbewussten Machtrausch eigen ist, konsequent an einer weiteren Verschärfung derselben und auch die wirtschaftlichen Indikatoren weisen ganz klar in Richtung Chaos, wenn auch keines, das sich binnen 1-2 Jahren in einen Machtwechsel ummünzt.

Orbán kann sich auf eine zwar kleiner werdende, aber umso fanatischere, gläubige Anhängerschaft stützen. Er und seine Rogáns, Lázárs und Kövérs machen immer wieder klar, dass man die verschärften gesellschaftlichen Widersprüche nicht politisch zu lösen gedenkt, sondern mit schierer Machtattitüde begegnet, aus demokratischer Sicht also  gewaltsam löst. Das ist auch eine klare Ansage an innerparteiliche Querschützen.

Merkel als Frühlingsbotin? Nächste Demo Anfang Februar

Wenn sich aber die ökonomischen und sozialen Spannungen weiter erhöhen, ohne durch demokratische Mechanismen zu einer Politikänderung zu führen, staut sich zwangsläufig eine gefährliche, hochexplosive Mischung auf, deren unausweichliche Erruption am Ende Extremisten nach oben schleudert und / oder einen "failed state" produziert. Die dräuenden "Notstandsgesetze", man kennt ja die Wirkung von "Ermächtigung" aus der Geschichte, sind ein weiterer Pflasterstein auf dieser Straße ins Nichts.

 

Die nächste Großdemo in Budapest ist am 2. Februar unter dem Motto "Orbán geht, der Frühling kommt...!" angekündigt und zielt ausgerechnet auf den dann stattfindenden Besuch der deutschen Kanzlerin Merkel in Budapest ab. Angie als Frühlingsbotin - die ungarischen Demokraten scheinen mit tiefschwarzem Humor gesegnet zu sein. Immerhin hat die EVP Orbáns Tun seit 2010 nicht nur geduldet, sondern aktiv beschützt. Er ist den machtblinden Konservativen eher Musterschüler als schwarzers Schaf. Dass Merkel nicht als eiserne Lady der EVP-Kameraderie und Verbündete des Orbán-Regimes, sondern als Verteidiger von Demokratie und Rechtsstaat nach Budapest käme, müsste sie erst belegen. Es wäre das erste Wunder im neuen Jahr.

Das war das kleine ungarische Neujahrskonzert, die Begleitmusik für den Elefantenmarsch durch den sozialen und demokratischen Porzellanladen Ungarn, dessen Partitur diese Zeitung 2015 wieder entschlüsseln und kommentieren wird. Ein Jahr, das für Ungarn ein düsteres wird und nur die Hoffnung, dass nach jeder Nacht wieder ein Tag anbricht, lässt in diesem etwas Gutes erkennen.

red. / m.s.

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