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(c) Pester Lloyd / 02 - 2015   POLITIK   08.01.2015

 

"Nicht alles was wir Korruption nennen, ist in Ungarn strafbar..." - Grünen-Chef als Orbáns Verteidiger?

Seit der Verhängung der US-Einreiseverbote gegen zumindest sechs ungarische Offizielle wird jeder Schritt des US-Gesandten, André Goodfriend, als derzeit höchstem Repräsentanten der USA in Ungarn mit medialen Argusaugen beobachtet. Nun war LMP-Chef Schiffer bei ihm im Büro und demonstrierte seinen wackeligen Schaukelkurs gegenüber Orbán und der Opposition. Er tut immernoch so, als sei der Rechtsstaat in Ungarn in Takt.

Bernadett Szél, André Goodfriend, András Schiffer.

Egal ob Treffen mit NGO´s, zufällige Begegnungen mit Ex-Premier Gyurcsány bei einer Charity, immer schwingt in der Berichterstattung der amtlichen und regierungsnahen Medien mit, dass der US-Gesandte Goodfriend als US-Agent die Opposition oder Nichtregierungsorganisationen steuert oder aufhetzt, um Orbán zu stürzen. Und stets wird so vermieden, sich um den Kern des (ungarischen) Problems, den Vorwurf der systematischen, regierungsamtlichen Förderung von Korruption und Machtmissbrauch zu stellen und die nicht stattfindenden Ermittlungen dazu zu thematisieren. Kritik an der wahnwitzigen globalen Strategie der USA als Feigenblatt für eigene Vergehen, dieses Muster steht ja nicht nur in Ungarn hoch im Kurs und ist zudem noch so simpel zu vermitteln. Und so gerät eine Antikorruptions-Initiative des State Departements bei zwei Dutzend seiner osteuropäischen Botschaften eben auch schnell zu einer Verschwörung wider die "Souveränität".

 

Die amtliche Nachrichtenagentur MTI - einzig zugelassene Quelle für alle öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn (!) - meldete gestern, dass Goodfriend sich mit der Spitze der oppositionellen LMP (Grüne) getroffen hat, die um ein Gespräch bat, um Hintergründe zu den von den USA vorgebrachten Korruptionsvorwürfen, die - vordergründig - zu den Sanktionen führten, zu erfahren.

MTI zitierte den Gesandten mit den Worten, dass die USA keine Strafverfahren gegen die Betroffenen führe und LMP-Chef Schiffer nach dem Treffen bekräftigte, dass der ungarischen Regierung und der Judikative glaubhafte Anhaltspunkte für die Involvierung dieser Personen in Korruption vorgelegt worden seien. Wie konkret diese seien, könne er nach wie vor nicht einschätzen. Doch die Regierung bis hinauf zu Orbán leugnet weiter, überhaupt irgendwelche Anhaltspunkte zu haben, Orbán unterstellt der USA, sie fahre eine "false flag"-Aktion, die "Korruption als Cover-Story" für die "Erhöhung ihres Einflusses in Mitteleuropa" nutzten, um "Ungarn in einen neuen Kalten Krieg mit Russland zu drängen". Vorgelegte Papiere wurden als "wertlose Fetzen" qualifiziert, die Existenz von konkreten Anhaltspunkten negiert, mehrfach fiel das Wort "Lüge".

LMP-Chef Schiffer, der, sichtlich bemüht seine Partei als redliche Alternative zum magyarischen Parteienmansch zu qualifizieren, vollführt in letzter Zeit einen immer wackeliger werdenden Balanceakt zwischen oppositionellem Aufklärer und legitimierendem Stichwortgeber der Regierung. Er führte weiter aus, dass es der Charakter des US-Präsidentendekretes möglich mache, dass Personen mit US-Einreiseverboten belegt werden können, auch wenn sie nicht gegen "ungarische Gesetze" verstoßen. Schiffer: "Nicht alles, was wir Korruption nennen, ist auch eine Straftat." Ein interessanter Satz, der nicht ungern von den Staats- und Parteimedien aufgenommen wird und im Extremfall von Fideszniks so umgedeutet wird, dass es klar sei, dass es amtliche Korruption gibt, aber das sei "unsere Korruption". Quasi eine nationale Eigenheit, die von den USA nicht zu bekritteln sei. Klingt absurd, ist aber so.

Schiffer meinte weiter: Orbán sei dennoch dafür zu schelten, dass er sich weigert, "in die Details der Vorwürfe zu schauen", die "Reaktionen der ungarischen Regierung in diesem Fall sind mehr als unglücklich". Unglücklich? Das klingt deutlich milder als die klare Mittäterschaft, die der Rest der Opposition der Orbán-Administration vorwirft und die Vida, als alte Mitstreiterin Orbáns als Erfüllungsgehilfin für dessen Raubbau an öffentlichen Mitteln identifiziert hat, - eine Wertung für die momentan mehr spricht als dagegen. "Erbärmlich" findet Schiffer es immerhin, dass die Regierung dafür gesorgt habe, den Missionschef "verklagen zu lassen". Mehr noch, Orbán
zwang die NAV-Chefin mit einem Ultimatum zur Klage (darin auch weiterführende Links zu den Korruptionsanwürfen) und ließ die Generalstaatsanwaltschaft seines Freundes Polt anschließend "im öffentlichen Interesse" aufspringen.

Schiffers Mitvorsitzende, Bernadett Szél, habe Goodfriend zudem auf die US-Meinung zum ungarisch-russischen Atomdeal um den Ausbau des AKW in Paks angesprochen. Orbán meinte ja, die USA seien so stinkig wegen des verlorenen Auftrags gewesen, dass sie deshalb die Attacken gegen ihn ritten. Goodfriend antwortete der Grünen, dass die USA kein Problem damit hätten, wenn ein Land Geschäfte mit Russland mache, das Problem liege hier jedoch im Mangel an Transparenz der Regierungsmaßnahmen (keine öffentlichen Ausschreibungen etc.). Nun, bei solchen Aussagen, brauchen sich die USA wohl kaum über die seit Jahren rapide sinkende Glaubwürdigkeit wundern.

Im Falle der Korrruptionsaffären ist klar, dass nichts klar ist, solange die ungarische Justiz weiter aus politischen Gründen mauert. Das betrifft nicht nur die sechs Sanktionierten, sondern die Fidesz-Hundertschaften, deren krumme Geschichten seit Monaten die unabhängigen Medien beschäftigen (hier eine aktuelle, darunter Links zu etlichen anderen) und selbst innerhalb des Fidesz schon für Unmut sorgten, wenn auch nur bei "Veteranen" und in der dritten Reihe.

 

Die LMP aber tut ihrem Land mit ihrem Euphemismus keinen Gefallen. Sie wird sich gegenüber ihrer Wählerschaft irgendwann entscheiden müssen, ob sie weiterhin so auftreten will als ob Ungarn ein - wenn auch defizitärer - Rechtsstaat sei oder ob die Ablösung des Orbán-Regimes durch eine Einheit der demokratischen Opposition - so schwer das fallen mag und so widerlich manche Player darin auch seien - nicht doch die erste Voraussetzung ist, um überhaupt die Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrollmechanismen ermöglichen zu können. Dazu müsste Schiffer nicht einmal deren Positionen teilen und nach gewonnen Wahlen auch nicht mit ihnen koalieren. Derzeit jedenfalls legitimiert Schiffers LMP Orbáns Regierung mehr als er sie in Frage stellt...

red. / cs.sz.

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