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(c) Pester Lloyd / 03 - 2015   POLITIK   14.01.2015

 

Terrorismus als Vorwand: Ungarn kündigt Einschränkung von "traditionellen Freiheitsrechten" an

Im Bestreben, der Stimme ihres Herrn zu folgen, äußerten sich auch der Regierungssprecher, der Justizminister sowie vor allem Fidesz-Fraktionschef Rogán zur "Einwanderungsfrage". Alle warfen dabei, wie Orbán selbst, Wirtschaftsflüchtlinge in einen Topf mit Terroristen, was eine totale Abschottung Europas, jedenfalls Ungarns notwendig mache. Rogán warb zudem wieder für seine ungarische Version eines "Patriot Act", der aber noch über das US-Original hinaus gehen könnte - und er spuckte auf die frischen Gräber von Paris...

Wenn man bedenkt, wie viele Fidesz-Verteidiger Rogán noch bis kürzlich für einen der "talentiertesten und klügsten" der Youngsters hielt...

Zum Thema:
Orbán ist nicht Charlie...: Reaktionen auf den Pariser Auftritt des Premiers (13.1.)
Exempel der Schäbigkeit: Orbán hetzt in Paris gegen Einwanderer (11.1.)
"Unser Land vor Einwanderern schützen": Orbán macht völkische Politik auf dem Rücken der Mordopfer von Paris (09.01.)

 

Ungarn "brauche keine Wirtschaftsflüchtlinge" man habe sich, der Probleme in anderen Ländern gewahr, "dafür entschieden, die demogrpahischen Entwicklungen nicht durch Einwanderung zu lösen." Es gäbe "keine Rechtfertigung für einen Zufluss von Wirtschaftsflüchtlingen (...) Sie sind nicht im Interesse Ungarns, denn sie bringen Traditionen mit, die fremd zu ungarischen Traditionen sind.", sagte Fidesz-Fraktionschef im Staatsrundfunk. Es sei "bewiesen, dass die Anwesenheit islamischer Gemeinschaften die innere Ordnung der christlichen Länder in Westeuropa umwerfe, zum Beispiel im Vereinigten Königreich, in Frankreich und Deutschland." Nichts Neues also, nur Variationen von Orbáns Leitthema.

Heute wird die Einwanderungsbehörde die Flüchtlings- und Asylzahlen für 2014 öffentlich machen, die Pressekonferenz wurde dazu extra vorverlegt. Ebenfalls am heutigen Mittwoch beginnen 5-Parteien-Gespräche zum Thema "Schutz vor Terrorismus", vom 4. bis 6. Februar will die Regierungspartei in einer Klausur über den von Rogán seit Wochen promoteten
"Nationalen Aktionsplan zum Schutze Ungarns" beraten. Innenminister Trócsányi hatte nach Gesprächen mit Amtskollegen in Paris, die Notwendigkeit einer europaweiten Terroristendatenbank angesprochen, der sich Ungarn anschließen wird, aber auch "weitere, nationale Maßnahmen" in den Raum gestellt.

Nach bisherigen Indizien wird der von Rogán bereits mehrfach, wenn auch kryptisch, ins Gespräch gebrachte "Aktionsplan" ein bunter Strauß an Sondergesetzen, der - unter dem Cover von nationalen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen konkrete Ermächtigungen für Behörden beinhaltet, die das ohnehin bis zur Unkenntlichkeit geschwächte Gefüge von Gewaltenteilung und Machtkontrollen vollständig aushebelt.

 

Diese Notstandsgesetze werden vordergründig für sicherheitspolitische Indikationen formuliert, können aber problemlos gegenüber Journalisten, Oppositionellen, NGO´s und auch Bürger ganz allgemein ausgeweitet werden und Einschränkungen der Medien-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit bedeuten. Auch Sondersteuern und Einschränkungen der Kapitalfreiheit werden darin behandelt, Rogán gab es als Ziel aus, in Ungarn erwirtschaftete Gewinne - auch nach Steuern - im Lande zu halten, notfalls unter Zwang. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Orbán-Regierung - trotz nominalen Wirtschaftswachstums und lauter Erfolgsmeldungen auf Basis gefakter Statistiken - finanzpolitisch in ziemlicher Panik ist.

Rogán umschrieb die Zielstellung seines "Aktionsplanes" damit, dass "wir über Maßnahmen entscheiden müssen, die Ungarn stärkere Handhaben gegen äußere Herausforderungen geben", ein paar Tage zuvor sagte er noch: "... da es klar ist, dass Ungarn von außen angegriffen wird..." und unterstellte den Demonstranten gegen Internetsteuer, Korruption und Amtsmissbrauch, "fremdfinanziert" zu sein und für "fremde Interessen" zu marschieren. Diese Hintergründe gelte es "aufzudecken", auch dazu diene der Aktionsplan.

Die "Instrumente" für die gewünschte erhöhte Verteidigungskapazität gehörten, so Rogán am Montag "in die Hände von Regierung und Parlament" (lies: in die Hände DER Partei). Man wolle sich dabei in zweierlei Punkten an den USA orientieren. Einmal wolle man "Werkzeuge" entwickeln, die es ermöglichen, "jemandem dem Zutritt nach Ungarn zu verweigern", so "wie es die USA auch tun" (also Rache für die US-Einreisesanktionen gegen korrupte ungarische Offizielle).

Doch Rogán geht noch deutlich darüber hinaus: Terror als "tägliche Realitiät in Europa" zwinge Ungarn und Europa zum "Überdenken der Anti-Terror-Politik und der Einwanderung", hier also wieder die unmittelbare Verknüpfung beider Themen. "Ich glaube, die USA können auch hier als Beispiel dienen", einschließlich "ihrer Anti-Terror-Gesetze".

Rogán zielt hier auf den national wie international heftig umstrittenen "Patriot Act" von W. Bush ab und will darüber nachdenken, "wie man die Autoritäten ermächtigen kann, im Falle terroristischer Bedrohungen auch über die traditionellen Freiheitsrechte hinwegzugehen". Es sei hier neben der NSA-Totalüberwachung darauf hingewiesen, dass auch Folter, Freiheitsberaubung und die Aussetzung rechtsstaatlicher Grundnormen durch den Patriot Act gedeckt waren und zwar über das Maß hinaus, das in allen Demokratien für exekutive Notwendigkeiten bzw. die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols erforderlich sind. Fordert Rogán nun solche Sonderbefugnisse, ohne dafür konkrete Notwendigkeiten vorweisen zu können, handelt es sich schlicht um ein Ermächtigungsgesetz, Kennzeichen einer Diktatur.

Én magyar vagyok! from Nadji Hedjazi (GREENORANGE) on Vimeo.

 

Die Initiative "Artists 4 Unity" hat dieses Video produziert, das die Thesen der Regierungsvertreter konterkariert. Motto: "Én magyar vagyok" - Ich bin Ungar...

Die vermeintlich "gestiegene Gefährdung" durch die Vorkommnisse in Paris ist also der willkommene Anlass, um schärfer gegen die wachsende innere Opposition vorgehen zu können. Das ist der eigentliche Plan, denn der nimmersatte Karrierist Rogán, der sich bis über den Hals in Korruptionsaffären verstrickt hat, hat von seinem Chef den ultimativen Auftrag erhalten, die sinkende Beliebtheit des Fidesz samt großen Vorsitzenden und die wachsenden Proteste aufzuhalten, ansonsten würde man ihn als Bauernopfer und als Beweis, dass man gegen Korruption kämpft, absägen.

 

Zum Abschluss spuckte der Fidesz-Fraktionschef auf die noch frischen Gräber der Mordopfer von Paris, in dem er anmerkte: "Die christliche Kultur ist eine Kultur des Respekts, was auch bedeutet, dass man andere Religionen nicht verspotten darf. Wenn wir diese Kultur des Respekts verletzen, wird das immer Konsequenzen haben." Das entspricht dem "selbst Schuld" wie es die rechte und regierungsnahe Presse in den letzten Tagen immer wieder herbeischrieb und es belegt die völlige Ignoranz der ungarischen Regierungspartei gegenüber dem Charakter der Taten sowie der Antwort der Franzosen darauf.

Das Primat einer Religion / Weltanschauung über die Presse- und Meinungsfreiheit und andere Grundfreiheiten herrscht üblicherweise in Diktaturen, es ist speziell auch ein Ziel des "Islamischen Staates" und seiner sich auf ihn berufenden Terroristen. Rogáns "Logik" unterwirft sich damit diesen Zielen, nicht weil er muss, sondern weil Orbán und den Seinen das Modell für ihre Machtgelüste ebenfalls als geeignet erscheint und man dankbar die "Terrorgefahr" als Anlass nimmt, die nächsten Schritte einzuleiten. Schritte, nach denen es vielleicht schon kein Zurück mehr gibt, wenn die Duldung seitens EVP und EU die gleiche bleibt wie in den vergangenen Jahren.

red. / cs.sz. / a.l.

Hinweis: Heute 18 Uhr findet auf dem Érzsebét tér eine Proteskundgebung gegen die "Rogán-Szentgyörgyvölgyi-Immobilienmafia" statt. Link zum Veranstalter:
https://www.facebook.com/events/550582521711744/

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