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(c) Pester Lloyd / 04 - 2015   POLITIK   23.01.2015

 

"Seifenoper": Orbáns EVP-Kameraden boykottierten Anhörung zu Menschenrechten in Ungarn

Das EU-Parlamentskomitee für Bürgerrechte und Justiz, LIBE, hatte am Donnerstag zu einer Anhörung über die Lage der Menschenrechte in Ungarn geladen. Dabei demonstrierte die EVP einmal mehr, dass ihr Blocktreue wichtiger ist als Demokratie und Rechtsstaat. Der ungarische Regierungssprecher provozierte die gewählten Vertreter der Europäer derart, dass die Motivation, endlich ein Monitoring- und Sanktionssystem für die Grundwerte der Gemeinschaft einzuführen, nochmals gestiegen scheint.

Orbáns Sprecher für Internationales im Range eines Staatssekretärs, Zoltán Kovács. Er wurde vor Jahren bereits einmal wegen Unfähgikeit abgesäbelt, aber für treu ergebenes Mittelmaß ist in Orbáns Umgebung immer Platz.

Zum Hearing bat LIBE neben zwei von der ungarischen Regierung drangsalierten NGO´s (Ökotárs - vor allem im Umweltbereich tätig und Atlatszo.hu - ein Investigativportal) auch die regierungstreue CÖF ("Friedensmärsche", einen Regierungsvertreter (es kam jedoch nur der Regierungssprecher für Internationales, Zoltán Kovács) und (nichtungarische) Vertreter von Amnesty International sowie vom Europarat nach Brüssel.

 

Die ungarische Seite befand die Angelegenheit von vornherein als "einseitig" und blockierte die Anhörung mit tatkräftiger Unterstützung der Kameraden von der EVP durch formale Anträge und Debatten über Ablauf und Besetzung. Vor allem Frau Hohlmeier (CSU, Bayern) tat sich hier hervor. Der CÖF-Vertreter, Tamás Fricz (als NGO-Chef lustigerweise gleichzeitig der Chef der Behörde, die ung. Steuergelder an NGO´s verteilt) schlug die Einladung gänzlich aus, so verblieb nur der für Internationales zuständige Regierungssprecher Zoltán Kovács als Vertreter des Orbán-Standpunktes.

Die EVP-Leute verlangten daraufhin die Absage des Termins, die Initiatoren (Liberale) verwiesen jedoch darauf, dass die Zusammensetzung bereits im Dezember übereinstimmend festgelegt wurde und es nicht Schuld der Veranstalter sein, wenn ein Eingeladener sie im letzten Moment torpediert. Die EVP boykottierte daraufhin geschlossen die Sitzung, - der ungarische Regierungssprecher blieb.

Die
Anhörung als VIDEO in der Mediathek des europäischen Parlamentes

Die Vertreter der ungarischen NGO´s berichteten über die Drangsalierungen ihrer Arbeit (Schwarze Liste, Hausdurchsuchungen, Untersuchungsberichte nicht befugter Behörden, Entzug der Steuernummern ohne Gerichtsurteil, strafrechtliche Ermittlungen auf Grundlage von politischen Zurufen etc., Rufmordkampagnen in den systemtreuen Medien), die im Zusammenhang mit dem norwegischen Zahlungsstopp stehen, der von Oslo verhängt wurde, als Kanzleramtsminister Lázár - entgegen der trilateralen Verträge über die Ostfonds (EAA) - die Hoheit über die Gelder zu erlangen suchte - so wie das zuvor bereits über die EU-Milliarden geschehen war und von Brüssel geduldet wurde.

 

Die Ökotárs-Chefin, Veronika Móra, warnte davor, dass die Arbeit von Bürgerbewegungen und Nichtregierungsorganisationen "finanziell und politisch" gefährdet sei. Man könne nicht mehr langfristig planen und alles Erreichte werde in Frage gestellt. Attila Mong, einer der ersten Opfer der Säuberungen im öffentlichen Rundfunk und heute Mitgestalter des ung. Wiki Leaks, www.atlatszo.hu sprach von "steigendem politischen Druck" auf Journalisten und erwähnte dabei die zielgerichtet politisch eingesetzte Werbesteuer, die Vorgänge bei Origo und die weitere Umgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einem reinen Porpagandanetzwerk Orbáns sowie die von der Regierung verschärfte materielle Situation unabhängiger Medien.

Die Vertreterin von AI sowie Abgeordnete der Liberalen, Grünen und linken Fraktionen weiteten die Themen jedoch aus und sprachen auch die Fragen der Ein-Parteien-Gestaltung der Verfassung, der Diskriminierung von Obdachlosen, Angriffe auf die Meinungsvielfalt und Pressefreiheit sowie die jüngsten Hetztiraden Orbáns gegen Flüchtlinge und dessen antieuropäische Rhetorik (“Vasallen fremder Mächte”, “greifen ungarische Familien an”, “neues Moskau”) an. Ein Abgeordneter fasste zusammen, dass eine "Diktatur der Mehrheit" keine Demokratie sei. (Zur Info: Orbáns fast 2/3 der Mandate stützt sich afu 27% der wahlberechtigten Bevölkerung...)

Der bereits mehrfach durch seine arroganten und zynischen Tiraden aufgefallene Zoltán Kovács (siehe: die Regierung ist für die Folgen ihrer Gesetze nicht verantwortlich) bezeichnete die Anhörung als die "fünfte Staffel einer Seifenoper", in der "weder die Schauspieler noch die Drehbuchschreiber wüssten, worum es eigentlich geht". Alles was vorgebracht wurde seien entweder "Halbwahrheiten oder faustdicke Lügen" und entstammten "politischer Motivation".

Man habe vielleicht "Probleme mit einem Dutzend NGO´s", in Ungarn gäbe es aber 80.000 "oder so". Was Demokratie und Menschenrechte in Ungarn anginge oder "gar" den Vorwurf, die Regierung handele "autokratisch", das sei ebenfalls alles Quatsch, der aktuelle Bericht des Europarates enthalte "faktische Fehler in vielen Abschnitten". Von wachsendem Antisemitismus und Rassismus (gegen Roma) könne man schon gar nicht sprechen, so Kovács, der dazu entspr. Statements von (fidesz-treuen) Romaorganisationen und eines Rabbis verlas.

Hintergrund:
Richtung Aritkel 7: EU-Parlament legte Bericht über Lage der Grundrechte in Ungarn vor

Während EVP-Vertreter das Hearing im Anschluss als einseitig bezeichneten (wofür sie ja selbst sorgten), das Themen behandelt hätte, die man seit "2010 zu Tode debattiert habe" (Kinga Gál, Fidesz), befanden linke ungarische Vertreter im EU-Parlament, dass Ungarn mit seinem Auftritt sich "weiter international isoliert habe" und der Orbán-Vertreter offen bekannt habe, dass man Rechtsstaat und Demokratie als gemeinsame Grundwerte der Gemeinschaft ablehnt.

Liberale, grüne, sozialdemokratsche und linke Abgeordnete erregten sich vor allem über das unverschämte Auftreten des Regierungssprechers als "Mangel an Respekt vor den gewählten Vertretern von über 500 Millionen Europäern". Kovács und mit ihm die ungarische Regierung verweigerten jeden Dialog über ernsthafte Probleme in Ungarn, deren Einschätzung nicht nur vom Europäischen Parlament vorgenommen wurde, sondern vom Rat der Regierungschefs, der Kommission, dem Europarat, der Venedig-Kommission und anderen Institutionen. "Lügen die auch alle?" wurde Kovács gefragt.

 

Die Initiatoren zogen ihre eigenen Schlüsse aus dem Ablauf der Anhörung: man könne sich bei der Bewertung der Menschen- und Grundrechtslage in den Mitgliedsländern weder von der Einschätzung der zuständigen Regierungen, noch von der Gnade der sie unterstützenden Fraktionen im EP abhängig machen, - dazu sind diese Grundlagen zu wichtig. Daher werde man nun konsequent - und in Zusammenarbeit mit der Kommission und ihrem Präsidenten Juncker - an der Errichtung eines effektiven Monitoring- und Sanktionssystems hinsichtlich der Einhaltung der Grundwerte der Gemeinschaft arbeiten.

Diese Einrichtung (
die Idee dazu gibt es - Ungarn war der Anlass - bereits seit Jahren) solle dann jährlich rapportieren, Verstöße sollten klar erkennbar Konsequenzen haben so wie das bei anderen EU-Regularien (Binnenmarkt) auch gehandhabt wird. Eine entsprechende Initiative würde nun im Parlament gestartet, die Kommission dann mit der Umsetzung betraut. Der Haken: um das Instrument wirkmächtig auszustatten (Sanktionen), braucht es auch die Zustimmung im Rat der Regierungschefs - damit aber wären wir wieder bei der EVP-Kameraderie...

Bundeskanzlerin Merkel (CDU) kommt am 2. Februar für fünf Stunden nach Ungarn, am 17. Februar folgt Russlands Präsident Putin. Mehr dazu.

Gemeinsam für die "neue Weltordnung":
Orbán zeichnete sieben deutsche Parlamentarier aus

red.

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