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(c) Pester Lloyd / 04 - 2015   NACHRICHTEN   18.01.2015

 

Super-Nanny für Ungarn: US-Botschafterin Bell ante portas

Mit "ernsthafter Hoffnung" erwartet das offizielle Ungarn am Montag die Ankunft der ordentlichen und bevollmächtigten Botschafterin der USA für Ungarn, Colleen Bradley Bell. Man hofft wohl, die Hollywood-Maus mit ungarischem Machocharme bezirzen zu können, um “Staatsfeind” Goodfriend kalt zu stellen. Doch im Hintergrund arbeiten die USA längst daran, an Ungarn ein Exempel zu statuieren - glauben zumindest die Orbánisten...

Seit über einem Jahr ist die US-Botschaft in Budapest ohne protokollgemäßen Kopf und wird seitdem von dem US-Gesandten André Goodfriend geführt, mit dem die Regierung bekanntlich im Clinch über die ergangenen US-Einreiseverbote, massive amtliche Korruptionsvorwürfe und deren Beweislage liegt. Derzeit ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen ihn - und somit quasi gegen Amerika - wegen des Verdachts der Verleumdung der der Korruption bezichtigten Chefin des Steueramtes NAV, Vida und die Regierung und ihre Lautsprecher unterstellen Goodfriend permanent Einmischung in innere Angelegenheiten, ja sogar einen Umsturzversuch. Dass Außenminister Szijjártó in Washington wie ein Pizzabote abgefertigt wurde und Orbán dort gleich gar nicht empfangen wird, beantwortete man trotzig mit “Angriff auf unsere Souveränität”. Dabei sollte Orbán seinen Goodfriend gut pflegen, denn US-Putschgerüchte sind gerade ein dankbar angenommenes Futter für Aluhutträger und Wahnwichtel, auch Dank der tätigen Mithilfe der Amis selbst.

Mehrfach forderten ungarische Regierungsmitglieder die USA schon auf, "endlich einen richtigen Botschafter" zu entsenden, in der Hoffnung, Goodfriend müsse dann entweder ganz gehen oder sich zumindest in die zweite Reihe zurückziehen. Die Ankunft von Bell, die bereits vor einem Jahr von Obama nominiert wurde, verzögerte sich wegen Reibereien und krummen Deals zwischen Demokraten und Republikanern bei den vorgeschriebenen Senatsanhörungen der Botschafterkandidaten.

Zuletzt kritisierte Oberrepublikaner McCain die Ernennung, Obama würde mit der Hollywood-Produzentin ("Reich und schön") eine Ahnungslose nach Europa schicken, die außer Spenden für die Demokraten weder Wissen noch Erfahrung gesammelt habe. Die Kritik war allerdings keineswegs zur Freude der ungarischen Regierung, denn im gleichen Atemzug bezeichnete McCain den einstigen "Freund" Orbán als "neofaschstischen Diktator".

Außenstaatssekretär Levente Magyar und sein Chef, Außenminister Szijjártó, äußerten öffentlich die Hoffnung, dass mit der Ankunft Bells ein neues Kapitel in den Beziehungen aufgeschlagen werden könnte und behaupten, dass die Dispute ohnehin auf dem Weg der Lösung seien. Mehrere US-Firmen hätten Millioneninvestitionen angekündigt (die Details solle es in ein paar Tagen geben) und von Korruptionsvorwürfen oder gar Ermittlungen ist schon längst nicht mehr die Rede. Magyar wolle Bell mit einer "Geste großer Offenheit" willkommen heißen, damit sie "mit ihrer Anwesenheit die Debatten in eine positive Richtung" lenke. Die Wirtschaftsbeziehungen seien dynamisch, die Regierung habe mit mehr als 50 Firmen strategische Kooperationsvereinbarunge getroffen, das Handelsvolumen habe sich im Vorjahr gar verdoppelt.

Wie hinter den Kulissen zu hören ist, stehen die Dinge mit den USA aber nicht ganz so günstig. Das State Department soll nicht nur über den Umgang mit Goodfriend und den Missbrauch der Korruptionsaffären für die Konstruktion von maidanhaften Verschwörungstheorien erbost sein, sondern - im Rahmen einer
Antikorruptions- (lies: Marktanteilerhöhungs-)offensive an zwei Dutzend osteuropäischen US-Botschaften auch eine Menge Geld in die Hand nehmen, um gegen die in Südosteuropa gängigen "Geschäftsmodelle" vorzugehen. Ungarn - so ist zu hören - soll dabei als Präzedenz dienen, was Regierungen blüht, die sich nicht einmal an die grundsätzlichsten Mindestanforderungen der westlichen Demokratien und Geschäftsgepflogenheiten halten.

Gefährlich könnte es für Orbán und seine Rasselbande werden, wenn die USA und die EU ihr Ungarnwissen zusammenwerfen und einen gemeinsamen Schlachtplan entwerfen. Das norwegische Modell könnte hier als Vorbild dienen und lauten: Geldhahn zu bis es queitscht, wobei die EU über die Fördermilliarden und die USA über die Finanzmärkte (Anleihen) die passenden Hebel in der Hand hätten, Orbán auf den "rechten Weg" zurückzubringen. Ihn absetzen, will vor allem Merkel nicht, ein schwacher Orbán ist ihr sicher lieber als Ungarn in eine ungewisse liberale, gar linke Zukunft zu entlassen.

Wie berichtet, sind die Dimensionen von Korruption und Amtsmissbrauch beim Fidesz mittlerweile derart himmelschreiend, dass selbst die eigenen, sonst so duldsamen, weil über Jahrzehnte gebrannten Bürger - einschließlich der Fidesz-Wähler - nicht mehr gewillt sind, jeden weiteren Skandal einfach so zu schlucken. Sie machten aber auch klar, dass sie die pseudo-neoliberalen Zustände von vor der Lehman-Krise auch nicht mehr wünschen, der worst case aber: sie beginnen einen Aufstand, ohne zu wissen, wo sie hinwollen. Dann doch lieber ein Orbán an der Leine, als Bürger außer Kontrolle...

 

Am 2. Februar wird Merkel Orbán in Budapest treffen und sehen, ob der sich noch mit Worten disziplinieren lässt. Richtig spannend wird es aber erst, wenn ihm Putin bei dessen Besuch im März erklärt, dass er gar nicht mehr so viel Geld hat, um ihm da zu ersetzen, was der Westen ihm unter Umständen sperren könnte. Möglicherweise reicht es ja nicht einmal mehr für Paks II. Aufregende Zeiten sind gewiss und die Frage, ob Frau Bell sich so schnell in das intrigante Ostmitteleuropa einarbeiten kann, ist durchaus berechtigt. Aber dafür hat man ja notfalls einen Gutfreund...

Feiern kann ihre Exzellenz Bell jedenfalls schon wie die Spätrömer. Wie zu hören war, geriet ihre Abschiedsparty in Hollywood zu einem fröhlichen Gelage mit 300 Teilnehmern, vielleicht wäre hier ein Anknüpfungspunkt mit der Fidesz-Parteielite zu finden...

red. / m.s.

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