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(c) Pester Lloyd / 04 - 2015   POLITIK   22.01.2015

 

Orbán, Zentrum Europas: Putin besucht am 17. Februar Ungarn

Am Mittwoch bestätigte das ungarische Außenministerium den 17. Februar 2015 als Termin für einen offiziellen Arbeitsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest. Der Kremlchef kommt nur zwei Wochen nach Kanzlerin Merkel. Diese Ballung der Supermächte im kleinen Ungarn heizt die Gerüchteküche an. Wird Orbán umworben, gar aufgewertet, versucht Putin ihn vollends zu "kaufen" oder setzt ihm der Westen jetzt doch die Pistole auf die Brust? Demos sind angekündigt.

Außenminister Péter Szijjárto nannte Putins Visite am 17.2. die "Erwiderung eines Besuchs Orbáns im vergangenen Jahr". Als Gesprächsthemen sollen Fragen der bilateralen politischen und ökonomischen Beziehungen, Energie und der bewaffnete Konflikt in der Ukraine besprochen werden. Szijjártó wiederholte die ungarische Haltung, nachdem man "ein sofortiges Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen" fordere und eine "Lösung basierend auf dem Abkommen von Minsk", man wünsche sich eine "starke und stabile Ukraine als Nachbar".

Wieder am Ball...: Putin konferiert mit Merkel während des WM-Finales in Rio de Janeiro im Sommer 2014. Darunter wacht Orbán, ob seine “Vermittlungsarbeit” auch Früchte trägt. Neben ihm, auf einem VIP-Ticket, sein Sohn Gáspár und irgendein afrikanischer Diktator. Rechts am Bildrand schläft der Bundespräsident und links oben singt Placido Domingo ein Ständchen. Es fehlt eigentlich nur noch Sarkozy...

Es gäbe "eine Menge zu besprechen, hinsichtlich der EU-Sanktionen gegen Russland" und dem "Vergeltungsembargo Russlands", das einen "spürbaren Rückgang der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit" beider Länder bedeute. Besondere Bedeutung hätten auch Energiefragen, erst Recht seit der (von Ungarn bedauerten) Absage der South Stream Pipeline.

 

Putin wird nur zwei Wochen nach der deutschen Kanzlerin Merkel in Budapest erwartet, was von regierungsnahen Medien als Aufwertung von Orbáns Position gewertet wird, um den man angeblich wegen der Sanktionen buhlt, die Orbán mehrfach als falsch und "Schuss ins Knie" bezeichnete, während die zweite Reihe regelmäßig Bekenntnisse zu einer einheitlichen Linie mit Deutschland, der EU und NATO ablegt. Orbáns Doppelspiel ist berüchtigt. In Brüssel erzählt er, dass "Ungarn sich nichts weniger wünsche als wieder eine gemeinsame Grenze mit Russland zu haben", während er seinen Wirtschaftsminister anwies, "Maßnahmen zur Umgehung des Embargos" (Varga) zu ergreifen.

Mutti kommt! Was die Ungarn von Merkels Besuch erwarten dürfen...

Eine andere Legende aus dem Fidesz-Hauptquartier, die so größenwahnsinnig und eitel ist, dass sie eigentlich nur vom "Großen Vorsitzenden" selbst stammen kann, will die zeitliche Nähe beider Besuche so erklären: Deutschland schicke Ungarn gen Russland vor, um Verhandlungspositionen und Kompromisse auszuloten, denn im Grunde sei auch Merkel gegen Sanktionen gegen Russland, könne das aber wegen der Nibelungentreue zur NATO nicht offen vertreten.

Dass Ungarn in die Rolle eines Vermittlers geschlüpft sei, sei allein der Weisheit Orbáns zu verdanken, der sich alle Türen offen hielt, während "uns der Westen in einen neuen Kalten Krieg mit Russland hineinziehen will" (Orbán). Ungarn sei international wieder am Ball. Angesichts der ballesterischen Fähigkeiten, die die  ungarische Außenpolitik in den vergangenen Jahren an den Tag legte, (Rumänien, Slowakei, Armenien), klingt das eher wie eine Drohung.

Würde - wie auch immer - nur irgendeine Annäherung zu Stande kommen, die den blutigen Konflikt in der Ukraine endet, wir (wir!) vergönnten Orbán den Friedensnobelpreis und noch ein Stadion obendrauf.

Doch zurück in die Realität: Einige Stimmen mutmaßen, Putin komme nicht nur wegen der auf der Hand liegenden Machtgeste im Vorfeld der EU-Abstimmung zur Ausweitung der Sanktionen auf EU-Territorium, sondern, weil er Orbán lieber persönlich verklickern will, dass das gigantische AKW-Projekt wegen der wirtschaftlichen Turbulenzen in Russland (Ölpreis- und Währungsverfall, Kapitalabzug) verschoben oder ganz gestoppt werden muss. Insider allerdings berichten, dass diese Nachricht erst verkündet wird, wenn Orbán seinen Job erledigt und die Einigkeit der Regierungschefs aufgehoben hat. Bis dahin wird Moskau ihn pflegen und das ist auch der Grund, warum Putin im persönlich über den Kopf streichen will.

In den Besuch Merkels hingegen setzen viele Oppositionelle die Hoffnung, sie möge sich nicht nur um die Stimme Orbáns im Rat der Regierungschefs bemühen, sondern vor allem um die mittlweile zum Systemwandel ausgewachsenen demokratischen und rechtsstaatlichen Defizite und damit um die Belange der Bürger in Ungarn. Immerhin habe kaum jemand auf internationaler Ebene einen besseren und stärkeren Zugang zu Orbán als die mächtige Frau aus der EVP-Schwesterpartei.

Auch hier hält die Gerüchteküche Versionen parat: so könnte Merkel im Auftrag der EU und der USA vorgeschickt sein, um Orbán ein Ultimatum mit einem sanften Ausweg zu stellen. Er solle seine EU-feindliche Rhetorik sowie den Rechtsstaats- und Demokratieabbau in Ungarn einstellen, dafür werde man ihn hinsichtlich der EU-Milliarden in Ruhe (also finanziell überleben) lassen. Die USA hatten Einreiseverbote gegen ungarische Offizielle verhängt, Norwegen seine Ost-Fonds gesperrt, die EU einige Regionalfonds (informell) eingefroren, wegen mangelhafter Abrechnungen. Es gäbe hier also Verhandlungsmasse und effiziente Hebel.

Skeptiker dieser These bezweifeln ein derart komplexes, konzertiertes Vorgehen. Merkel gehe es in erster Linie um das "Igen" Orbáns zu den Sanktionen und das Standing der deutschen Wirtschaft, also die Produktions- und Steuerbedingungen für Daimler, Audi und Co. Deren BIP- und Steueraufkommen seien dafür Faustpfand genug. Im Lichte dieser Prioritäten sind Fragen von Grundrechten und Demokratie zweitrangig, schon gar nicht wird die CDU-Chefin an der politischen Schwächung eines "konservativen" Kollegen in der EU mitwirken und sich wohl auf die üblichen Mahnungen "unter Freunden" beschränken - wie auch schon in den vergangenen viereinhalb Jahren. Dies allerdings bei einem persönlichen Besuch in Budapest so zu halten, käme einer direkten Legitimation für Orbáns Zerstörungswerk gleich.

 

Sowohl die linken Oppositionsparteien wie auch die neue Bürgerbewegung haben zu Protesten vor und während des Merkel- (2. Februar, Hauptdemo am 1.2. vor dem Parlament) wie des Putin-Besuches (17.2. vor dem Parlament) aufgerufen. Die Proteste richten sich gegen eine gewachsene Nähe Orbáns zu Putin, der nach Ansicht der Opposition den ungarischen Premier als Spaltpilz in der EU missbraucht und dafür mit krummen, aber für die Steuerzahler riskanten Deals wie dem Atompakt, einschl. 10. Mrd. EUR-Kredit belohnt. Auch die mittlerweile unbestreitbare Kleptokratie, die sich der Fidesz gebastelt habe, orientiere sich am schlechten russischen Vorbild. Die Demos zu beiden Anlässen, zu denen mehrere Zehntausend Menschen erwartet werden, sollen daher ein klares Bekenntnis für ein "Ungarn in Europa" sein.

red. / m.s.

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