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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   MEDIEN   27.01.2015

 

Metternich lässt grüßen: Oberste Richter in Ungarn schützen das "1. Gebot"

Den Schutz der Persönlichkeitsrechte für Exekutivbeamte im Einsatz erweiterte die Regierungspartei geschickt zu einer Art Bilderverbot, das im Ernstfall auch Fotos von Politikern genehmigungspflichtig werden lässt, - die dazugehörigen Artikel gleich mit. Das Verfassungsgericht hat´s zwar gemerkt und die Sache der Kurie zum Ausbessern übergeben, doch die Obersten Richter verweigerten eine rechtlich nachvollziehbare Position. Nun wartet man auf Präzedenzfälle. Wer Grundrechte und die Wünsche der Orbán-Regierung vereinbaren soll, ist offenbar zum Scheitern verurteilt.

Rechtskonform. Aber ob das der Heiligen Inquisition gefällt?

Politiker verstecken sich hinter Polizisten

 

Die Kurie reagierte auf einen Entscheid des Verfassungsgerichtes aus dem Vorjahr, der die gesetzlich Vorschrift, Beamte im Einsatz auf publizierten Fotos pauschal unkenntlich machen zu müssen als zu weitreichend betrachtete. Ein weiteres Gesetz bzw. ein Gesetzesanhang, auch dieser eine spezielle Fidesz-Erfindung, sollte Redaktionen dazu verpflichten, nicht nur von Privatpersonen, sondern auch bei Politikern und anderen Personen des öffentlichen Interesses prinzipiell das Einverständnis für eine Veröffentlichung einholen. Das sollte auch für Massenveranstaltungen gelten. Auch hier sah das Verfassungsgericht die Arbeitsmöglichkeiten von Medien soweit behindert, dass man eine Einschränkung der Pressefreiheit erkannte. Seit dem Einspruch der Verfassungsrichter 2014 wurde in Fällen, in denen Medien gegen das publizitäre Vermummungsgebot von Exekutivkräften verstießen, nicht mehr geurteilt, eine Gesetzeskorrektur wurde auch verweigert. Vorgaben für die Rechtspraxis sollten die verkokste Legislatur nun retten.

Grundrechte gegeneinander ausgespielt

Das Ausspielen von Grundrechten gegen andere oder gegen staatspolitische Notwendigkeiten zur politischen Vorteilsnahme der Machthaber ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Sind sie so skrupellos und egoman wie heute in Ungarn, spiegelt sich das in den Gesetzen. In einem anderen Urteil hatte das Verfassungsgericht im März 2014 einen noch viel herberen Schlag gegen die Medienfreiheit (vorerst) gestoppt, der - als Teil des neuen BGB - sogar "öffentliche Kritik an Amtsträgern" stark einschränken sollte. Um die "Funktionsfähigkeit der und den Respekt vor öffentlichen Ämtern" zu gewährleisten, wäre Kritik an Amtsträgern "nur zulässig", wenn sie "im legitimen, öffentlichen Interesse, notwendig und angemessen" sei.
Mehr zum Paragraphen gegen Majestätsbeleidigung hier. (darin auch weiterführende Links zu Zensurambitionen der Regierung)

Die Kurie hatte beim jetzt zu behandelnden "Bilderverbot" die Aufgabe, den Gerichten einen Bewertungsrahmen als Richtlinie vorzugeben, ohne dass dazu das Gesetz geändert werden müsse, was die Regierungspartei nämlich ablehnt. Doch die Obersten Richter formulierten derart salomonisch, dass der Handlungsspielraum der Richter sehr groß bleibt und den Politikern bei entsprechender Rechtsvertretung ein gezielt einsetzbares Zensurinstrument erhalten bleibt. Es nimmt daher auch wenig Wunder, dass der beanstandeten Gesetzgebung ein Anlass vorlag, in dem Kanzleramtsminister Lázár involviert war, der sich - wie viele seiner Kollegen - durch die Pressemeute verfolgt sah und sieht.

Oberstem Gericht fehlte Mut und Einsicht

Grundsätzlich hatte die Kurie das Recht auf Privatsphäre mit dem auf Pressefreiheit abzuwägen, ein stets schwieriges Geschäft, da eine vollständige Durchsetzung des Einen zwangsläufig Einschränkungen des Anderen - und vice versa - mit sich bringt und es sich bei beiden um Grundrechte handelt. Zu denen eine aufgeklärte Einstellung zu haben, hülfe selbigen sehr.

Nach längerer Debatte fand der Wächterrat die Formel, dass bei Veranstaltungen von "hohem öffentlichen Interesse" eine grundsätzliche Unkenntlichmachung der eingesetzten Beamten auf publizierten Fotos, so wie sie derzeit praktiziert wird, nicht mehr notwendig sei. Damit folgt man sozusagen dem Motto: gleiches (Un)Recht für alle, denn wir finden heute die Absurdität, dass z.B. Demonstranten, die von einer Demo weggetragen werden in der Zeitung offen erkennbar sind und damit quasi als "Straftäter" prejudiziert werden können, während die Beamten unter dem Schutz der Anonymität arbeiten dürfen, obwohl sie eigentlich im "öffentlichen Dienst" stehen.

Du sollst Dir (möglichst) kein Bild machen...:

Doch was ist nun "großes öffentliches Interesse"? Eine Massendemo? Eine 3-Mann-Sitzblockade, eine Pressekonferenz? Der Sprecher der Kurie konnte dieses weite Feld nicht einengen, genausowenig werden es die Richter können, was offenbar im Interesse des Gesetzgebers liegt. Es "hängt von der Situation" ab, meinte der Gerichtssprecher in die fragenden Gesichter der Medienvertreter. Ton- und Bildaufzeichnungen von öffentlich zugänglichen Veranstaltungen könnten also "im Prinzip" "ohne vorherige Genehmigung" der Aufgenommenen veröffentlicht werden, schob der Sprecher nach, als hätte man damit etwas Wunderbares geschaffen. Dabei ist genau dieses Recht ein Grundsatz der Pressefreiheit und hätte von vornherein niemals eingeengt werden dürfen. Hingegen müsse man bei Gerichtsverhandlungen die Genehmigung der anwesenden Beamten zur Veröffentlichung weiterhin einholen. Bei Angeklagten gilt das - zumindest im Gerichtssaal - ohnehin.

Zensur im eigentlichen Sinne...

Die Kurie gestand ein, dass man mit der Regelung selbst nicht endgültig durch ist, kein Wunder, konnte man ja nur im Rahmen des Gesetzestextes selbst interpretieren. Die Richter waren außerdem zu feige, den Politikern klarzumachen, dass diese gar nicht das Recht haben, sich hinter dem Privatsphärenschutz für kleine Beamte zu verstecken, da ihnen ein ganz anderer Status zukommt und tun so, als hätten sie das 1. Gebot Mose außer Kraft setzen sollen.

 

Der Gesetzgeber, wie gesagt, weigert sich, hier Nachbesserungen vorzunehmen, behält also die grundrechtswidrige Anmaßung bei, dass ein jedes Politikerfoto zu genehmigen sei - und zwar, wie es im Text heißt - im Kontext seiner Veröffentlichung. Das bedeutet, dass der Redakteur nicht nur Thema und Foto vorlegen müsste, sondern auch den Text zur Voreinsicht. Das ist Zensur im eigentlichen Sinne, selbst dann, wenn der Dargestellte gar nichts dagegen einwenden sollte und auch dann, wenn von diesem Einspruchsrecht in den nächsten Jahren nicht gleich exzessive Gebrauch gemacht werden sollte.

Die Kurie wünscht sich nun, anhand eines Präzdenzfalles "ein klareres Bild" darüber zu bekommen, wie "sich die Prinzipien unserer Entscheidung entwickeln". Sollte es weitere "rechtliche Unklarheiten geben", könne man sich ja gerne wieder an das Oberste Gericht wenden. Nun, das konnte man zu Zeiten des Liberalenfressers Metternichs und des Zensur-Barons Bach genauso wie unter Horthy.

red. / m.s.

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