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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   POLITIK   28.01.2015

 

Vom Kreml nach Kecskemét: Ex-Regierungskommissar der Orbán-Regierung in U-Haft

Vor einigen Tagen wurde der frühere Diplomat und Regierungskommissar Szilárd Kiss sowie zwei seiner mutmaßlichen Komplizen wegen des Verdachts auf schweren Kreditbetrug verhaftet. Er war u.a. im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums und des Außenministeriums für die "Ostöffnung" unterwegs und gilt als Lobbyist Orbáns in Moskau. Der Fall hat natürlich rein wirtschaftliche Hintergründe und "nichts mit Politik zu tun." Zwielichtiges und die Heftigkeit der Dementis nähren Zweifel.

Die ultrarechte “Magyar Hírlap” bildete Kiss eins als “Macher” ab.
Ok. Mit Tendenz zum Agenten-B-Movie der 70er...

Die Festnahme von Szilárd Kiss steht offiziell im Zusammenhang mit mutmaßlichem, gemeinschaftlichem Kreditbetrug, Urkundenfälschungen, betrügerischem Bankrott im Umfeld und zum Schaden der Spargenossenschaft Orgovány és Vidéke. Die mittlerweile bankrotte Genossenschaftsbank steht zur Zeit unter Kuratel der Nationalbank und wird liqudiert. Bei diesen offiziellen Verlautbarungen ist eine gesunde Skepsis hilfreich, ist die Regierung hinsichtlich der Zentralisierung-Verstaatlichung-Rückprivatisierung der Genossenschaftsbanken selbst wie ein staatlicher Bankräuber aufgetreten, - was natürlich nicht ausschließt, dass es auch noch andere Kriminelle im Lande gibt.

 

In der Oppositionszeitung Népszabadság, die - sozusagen genetisch - in Russland-Fragen bewandert ist, erfahren wir noch ein paar pikante Details mehr über Kiss. Dieser lebte rund 30 Jahre, also auch bereits vor der Wende, in Moskau und ist mit einer Russin verheiratet, die wiederum Miteigentümerin des "Ungarischen Visazentrums" in Moskau ist, eines Dienstleisters, der sich gegen Entlohnung um die Formalien von Einreise- und Aufenthaltsvisa nach Ungarn, also in die EU, kümmert. Kiss wiederum war über Jahre Agrarattaché in der ungarischen Botschaft in Moskau und dort bekannt als einer, "der massenhaft russische Pässe ins Konsulat brachte", so die Zeitung. Seine diversen anderen Unternehmungen liefen offenbar nicht so erfolgreich, Népszabadság will von Pleiten mit Schulden von über 800.000 EUR wissen. Eine Geldnot, die dann möglicherweise zu den Aktivitäten um die Spargenossenschaft und nun in den Knast führte.

Kiss ist eine von vielen schillernden Figuren im System Orbán, bei denen nie ganz klar ist, was der eigentliche Zweck ihres Handelns ist, ob sie also auf eigene Rechnung oder für "nationale" Interesssen unterwegs sind. Der Begriff Halbwelt oder Doppelagent umschreibt diesen Typus. Kiss hat enge Beziehungen zu Landwirtschaftsminister Fazekas und war offiziell "Regierungskommissar für die Ostöffnung", weshalb dessen Sekretariat auch dringendst daraufhin weist, dass die Verhaftung nichts, aber auch gar nichts mit den "früheren" Kontakten zum Herrn Minister und Kiss´ offiziellen Funktionen zu tun hat. Ein ebenso übertrieben heftiges Dementi kam aus der Kanzlei von Außen- und Außwenwirtschaftsminister Szijjártó, der von Amtswegen auch zentral bei der "Ostöffnung" involviert war und ist und häufiger Kontakt mit Kiss hatte, der ihm auch als gut vernetzter Türöffner nach Aserbaidshan und in andere Diktaturen der Gegend dienlich war. Das Außenamt übernahm Kiss Ende 2013 auch offiziell vom Landwirtschaftsministerium, am 12. Dezember 2014, also gerade erst, endete seine Tätigkeit dort.

Kiss, ganz links, auf dem Podium mit dem damaligen Ostöffnungs-Pfadfinder und heutigen Außenminister Szijjártó bei einer Veranstaltung des Entwicklungsministeriums 2013. Foto: MTI

Die lautstarken Dementis sind nicht nur für die persönliche Reinheit der Beteiligten, sondern auch aus Staatsräson wichtig, denn beide genannten Ministerien haben - neben dem fürWirtschaft - den gar nicht verheimlichten Auftrag, russische und anderweitige Kontakte aufzutun, mit denen man die russischen Gegensanktionen zur EU umgehen kann, damit die Agrarexporte der bevorzugten Regionaloligarchen nicht abreißen. Dass Kiss dabei mehr als ein ungarischer Paprikahändler war, ist ein offenes Geheimnis, als "Orbáns Lobbyist in Moskau" wird er von Index.hu beschrieben, andere trauen ihm sogar eine Rolle beim Einfädeln des 10 Mrd.-Atomdeals und anderer Geschäfte zu. Doch der Mohr hat wohl seine Schuldigkeit getan...

 

All das muss - auch im vitalen Interesse des Verdächtigen - heftigst dementiert werden. Es geht bei den Vorwürfen "ausschließlich um wirtschaftliche Vorgänge, nicht einer davon hat irgendwie mit Politik zu tun", sagte Gábor Papp, Kiss´ Verteidiger daher schon geradezu panisch am Montag. Und überhaupt habe Kiss "gar kein Verbrechen begangen", was in Relation zu dem, was andere Protagonisten der Regierungspartei alles für legal halten, sogar stimmen könnte. Das wirft wiederum die Frage auf, was Kiss wirklich falsch gemacht hat, wenn man bedenkt, dass die ungarische Staatsanwaltschaft bisher jede Ermittlung, erst Recht jeden Prozess gegen einen Fidesz-Mann verhindert hat, völlig gleichgültig wie evident die Vorhaltungen sind.

Die Opposition will nun wissen, ob Kiss als Attaché in Moskau überhaupt die Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen hat, die ihn zur Ausgabe von Visa berechtigten. Dass diese so detailliert gestellte Frage ausgerechnet aus Gyurcsánys DK kam, deren Diplomaten alle Nase lang in irgendwelche Visaskandale und gar den mafiösen Verkauf des ehem. ung. Botschaftsgebäudes in Moskau verstrickt waren, setzt der Story nur die Zipfelmütze provinzieller Absurdität auf. LMP, Együtt und andere Parteien fordern eine allgemeine Aufklärung zu den Tätigkeiten und Verwicklungen Kiss´ - genauso gut könnten sie eine vollständige Einkommens- und Vermögenserklärung vom Ministerpräsidenten fordern...

Kiss hat vorerst 30 Tage U-Haft in Kecskemét aufgefasst, praktischerweise unterhält das Landwirtschaftsministerium dort seit kurzem eine Niederlassung, so dass es Minister Fazekas für allfällige Abstimmungen mit dem Delinquenten nicht so weit hätte...

red. / a.l.

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