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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   POLITIK   03.02.2015

 

Gespalten bis skurril: Ungarische Reaktionen zum Merkel-Besuch

Am Tag danach versuchen sich Parteien und Medien daran, Merkels Auftritt in Budapest einzuordnen. Man schwankt gewaltig zwischen einer schallenden Ohrfeige für Orbán und sein "illiberales" Demokratiebild und einem Besuch, der per se eine Aufwertung und Bestätigung für Orbáns Politik war. Die politischen Parteien reagierten eher reflexartig, die Medien tiefgründig bis skurril... - eine Auswahl.

Unser Kommentar zum Besuch

Die im Parlament vertretenen Parteien reagierten am absehbarsten auf das Treffen der beiden Regierungschefs. Fidesz ließ erklären, dass Merkels Besuch nicht nur einen fruchtbaren Beitrag zur Vertiefung der bilateralen Beziehungen geleistet habe, sondern auch "zur Errichtung eines noch stärkeren Europas."

Die "sozialdemokratische" MSZP begrüßte Merkels "Einstehen für soziale, christliche (sic!) und liberale Werte". Die ungarischen Sozialisten und die deutschen Konservativen "denken im Bereich der Demokratie entlang dergleichen Linien", da "Orbán wieder `Nein` zu einem auf menschlichen Freiheiten beruhenden System gesagt habe." so MSZP-Chef József Tóbiás.

Die LMP (Grüne) empfehlen Orbán, "Merkels Hinweis ernst zu nehmen und seine Energiebezugswege zu diversifizieren und NGO´s als Partner zu behandeln." Außerdem sollte er zur Kenntnis nehmen, dass "sein Konzept der illiberalen Demokratie nicht einmal in der eigenen Parteienfamilie in Europa breitere Unterstützung" fände, so Bernadett Szél, Co-Chefin der Partei.

Die neonazistische Jobbik, die sich dem Lager der Putin-Fanboys anschloss und im Kreml wie auf der Krim von den russischen "Antifaschisten" der Putin-Seite stets herzlich willkommen geheißen wird, lobte Orbán für seine Erklärung, dass Ungarn Handelsbeziehungen zu Russland brauche, tadelte ihn aber dafür, dass er "trotzdem" für Sanktionen gegen Russland stimmt.

Die linksliberale "Együtt" befindet, dass Orbán sein Land "noch weiter von Europa entfernt" habe, da er es wieder unterlassen hat "ein vollständiges Bekenntnis zu den Europäischen Werten" abzuzlegen. Parteispercherin Nóra Hajdu findet, Orbán sollte Merkels "Rat" annehmen, dass "Opposition, Zivilgesellschaft und Medien wichtige Akteure in einer Demokratie" sind.

Die DK von Ex-Premier Gyurcsány, der anderen stark polarsierenden Figur auf Ungarns politischer Bühne, beschreibt Orbáns Auftritt bei der Pressekonferenz mit seinem Gast in der Form wie im Inhalt als "armselig" und "verlogen". Merkel hingegen habe in "der ihr eigenen Höflichkeit, zwar nicht laut, aber deutlich die Performance der ungarischen Regierung kritisiert".

"Dialog für Ungarn" eine linksliberale Abspaltung der Grünen befindet, dass der gestrige Auftritt klar gemacht habe, dass "Ungarns derzeitiger Ministerpräsident unfähig ist, die Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zu lösen, die seit Jahren zwischen beiden Ländern bestehen." Benedek Jávor, Mitgründer und Abgeordneter, fürchtet, dass "der Premier zur russischen Seite fallen wird".

Das regierungsnahe Meinungsforschungsinstitut Nézőpont, aus dem Orbán regelmäßig Kader für strategisch wichtige Posten in seinem Amt rekrutiert und das - neben Századvég - auch im Verdacht steht als Geldwaschmaschine für öffentliche Aufträge zu fungieren, liefert die passende Umfrage zum Merkel-Besuch: 32% der Ungarn halten Deutschland für Ungarns wichtigsten Verbündeten, 7% sagten das über Russland, 6% über die USA, Polen und Österreich wurden von je 2% genannt. 52% wünschen sich noch engere Beziehungen zu Deutschland.

Eine Aktionsgruppe namens #WakeUpHungary wollte neben der Andrássy Uni einen "Flashmob" mit ein paar beschrifteten Regenschirmen abhalten, wurde aber von der Polizei 45 Minuten lang "durchsucht" und erst "exakt in dem Moment wieder freigelassen" als es "für die Aktion zu spät war". Das Antiterrorkommando TÉK (das landläufig als Orbáns Privatarmee gilt) verbot kurzfristig eine lange angemeldete Demo der Bewegung "MostMi" (Jetzt wir!) aus "Sicherheitsgründen". Die Opposition sieht darin einen Beleg für die undemokratischen Zustände im Lande.

Die amtliche Nachrichtenagentur MTI begleitete den Merkel-Besuch sehr detailversessen, auch ihre Anmerkungen zur Rolle von Opposition, gesellschaftlichem Dialog, Zivilgesellschaft etc. wurde wiedergegeben, auch der Schlagabtausch zur "illiberalen Demokratie" schien auf, wurde aber  von den öffentlich-rechtlichen Medien in der Berichterstattung nicht übernommen. Wie üblich, nahmen die Äußerungen Orbáns einen breiteren Raum als die des Gastes ein. In seiner Morgen-Digest verlagerte MTI Merkels Demokratie-Aussagen bereits ausschließlich in die "Lektion" in der Andrássy-Uni.

So hielt es auch "Magyar Nemzet", das an sich regierungsnahe Blatt des mit Orbán allerdings im Clinch liegenden Oligarchen Simicska. In seinem Live-Ticker gab das Blatt die Aussage Orbáns "Eine Demokratie muss nicht notwendigerweise liberal sein. Wer das verlangt, erteilt einem Wertesystem ein Privileg, was wir nicht erlauben können." noch wieder, im darauffolgenden Hauptartikel, der die Highlights des Besuches zusammenfasste, war er wieder verschwunden.

Der "ungarische Spiegel", HVG (früher WAZ/Funke, seit kurzem auf sich allein gestellt), analysiert, dass "beide Weltenführer" (also Merkel und Putin, der am 17.2. nach Budapest kommt) nach Ungarn kommen, weil das Land die Schwachstelle der EU ist. Während Merkel die "Einheit der Europäischen Gemeinschaft wiederherstellen will", folge "Moskau dem Prinzip von Teile und Herrsche." Merkel will Orbán gegen die Lockangebote Putins immunisieren. Wenn das klappt, sei es ihr auch egal, wenn Orbán ihren Besuch für innenpolitische Zwecke benutzt.

In einem der führenden Polit-Blogs des Landes, dem als gemäßigt konservativ geltenden
www.galamus.hu, beklagt eine Kommentatorin die "Gleichgültigkeit" Merkels gegenüber "uns, den Ungarn, die von Orbán regiert werden". Sie hätte eine "Geste machen sollen" und wenigstens einen "Oppositionspolitiker oder Vertreter einer (von der Regierung aktuell verfolgten) NGO" treffen sollen. Aber sie entschied, das nicht zu tun. Nicht einen davon. "Für Merkel existiert das andere Ungarn nicht."

 

Die rechtsradikale und gleichzeitig regierungstreue Zeitschrift "Demokrata", die zwar journalistisch belanglos ist, aber eine Bedeutung hat, da Orbán sie als seine Lieblingslektüre bezeichnete, untersagt der Opposition, weiterhin Kritik an den Geschäftsanbahnungen mit Russland zu üben, seit Merkel beim Weltwirtschaftsforum in Davos selbst angekündigt hätte, eine Freihandelszone zwischen der EU und Eurasien anzustreben. Außerdem wurde der Beweis erbracht, dass Ungarn und Orbán nicht isoliert sind, da zwei der wichtigsten Akteure der Weltpolitik nach Budapest kommen.

Die Fidesz-nahe Zeitschrift Heti Válasz glaubt, dass Orbán ein Risiko eingangen sei, Putin einzuladen und will wissen, dass die deutsche Seite heftig darauf gedrängt habe, diesen Besuch zeitlich weiter von dem Merkels weg zu verlegen, um deren "Autorität nicht zu untergraben". Da das nicht geschehen ist, habe Deutschland Orbán nun aufgetragen, beim TTIP-Abkommen still zu halten und bis Ende Februar in Kiew zu erscheinen und Präsident Poroschenko seine Aufwartung zu machen...

Figyelő, ein Blatt der rechten "Intellektuellen" glaubt, dass die Russen sich selbst eingeladen haben, denn "wir Ungarn sind gar nicht in der Position ein von Putin angesetztes Treffen abzulehnen." Der hatte schließlich noch eine Gegeneinladung offen. Dass er nun so schnell kommt ist einigermaßen unangenehm, weil man damit gegen die EU Linie, die beschlossen habe, die Kontakte mit Russland herunterzufahren, verstoße. Allerdings hätten die Präsidenten von Frankreich, Finnland und Österreich sich auch nicht daran gehalten.

Origo.hu, das Portal im Besitz der Magyar Telekom (Tochter der teilstaatlichen Deutschen Telekom), das kürzlich seinen Chefredakteur nach Intervention von Orbáns Kanzler Lázár feuert, findet, dass Merkel ausgesprochen habe, was sie an Orbáns Politik stört. Man würdigt außerdem, dass sie bei ihrem Auftritt an der Andrássy u.a. Petöfi und Konrád zitierte.

Das regierungsntreue Válasz.hu sah die seit Wochen ventilierten Hoffnungen der Opposition zerstört, Merkel würde Orbáns "neofaschistische Diktatur" (Anspielung auf eine Aussage des US-Senators McCain) brandmarken - "oder etwas in der Art". Nichts dergleich sei letztlich geschehen, es gab ein Treffen europäischer Partner auf Augenhöhe.

 

Den Vogel schoss - einmal mehr - die "Magyar Hírlap" des sehr rechten Oligarchen Gábos Széles ab. Chefkolumnist Zsolt Bayer verfasste einen "Brief an Angela Merkel", der zu 80% aus einer melodramatischen, von Pathos triefenden Schilderung des (vermeintlichen) Lebensschicksals seiner Vorfahren handelte, die vor über 200 Jahren aus dem Spessart kamen, um Ungarn zu kultivieren, während ihre Nachfahren sich im Zweiten Weltkrieg für die Heimat aufopferten, dafür von den Amis eingesperrt, von den Russen in Lager gesteckt und vertrieben sowie von den Kommunisten gequält wurden (was sie davor so getrieben haben, verschweigt uns Bayer).

Daher, so die Schlussfolgerung Byers, sollte Frau Merkel - die ja als DDR-Frau noch den Checkpoint-Charlie kennt - beim nächsten Besuch den Soldatenfriedhof in Budaörs besuchen (SS-Friedhof, Anm.) und dort ihren Kopf neigen, wo echte Helden liegen, lies: anstatt in "deutschem Selbsthass" den Juden ihre Aufwartung zu machen. Dass Bayer es zudem noch schaffte, Thomas Mann, Martin Walser mit Thilo Sarrazin und Udo Ulfkotte in eine Reihe zu stellen, würde den Autoren als durchgeknallten Clown beiseite stellen: allerdings ist Zsolt Bayer nich nur Führer einer einflussreichen regierungsnahen "Zivilorganisation", des CÖF mit seinen "Friedensmärschen", sondern auch einer der Mitgründer des Fidesz und ein persönlicher Freund von Viktor Orbán...

red.

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