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(c) Pester Lloyd / 09 - 2015    GESELLSCHAFT      25.02.2015

 

Kein "Wunder", wenn Roma arbeiten: Ungarischer Roma-Bürgermeister plädiert in Brüssel gegen Sonderrollen

"Das Wunder von Cserdi ist kein Wunder", sagte der Bürgermeister der kleinen südwestungarischen Gemeinde Cserdi, László Bogdán, vor dem Sozialausschuss der EU-Kommission in Brüssel, wohin ihn ein EU-Abgeordneter der ungarischen MSZP eingeladen hatte, um sein "best practice"-Modell vorzustellen.
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Es mag sein, dass man in Ungarn oder auch in Europa den Umstand, dass seit seinem Amtsantritt die Arbeitslosenquote in der 426-Einwohner-Gemeinde mit einem hohen Romaanteil von 98 auf 5-6% gesenkt werden konnte als Wunder betrachtet. Doch dahinter steckt eben kein Wunder, sondern konsequente Arbeit, "unübliche Methoden" und vor allem die Einbeziehung selbstbestimmter Menschen, so Bogdán.

Warum sollte man sich darüber "wundern", dass wir mit Schaufel und Harke arbeiten können, fragte der Roma-Bürgermeister in die Runde und damit einen Hinweis auf allseits etablierte Vorurteile gegenüber der größten ethnischen Minderheit in Ungarn gebend. Bogdán plädierte in Brüssel dafür, das Romaproblem nicht als Problem, sondern als Aufgabe zu betrachten und die Betroffenen nicht als Fremdartige auf ein Podest zu stellen - oder zu verdammen.

Bogdáns Leistungen in Cserdi beruhen auf einem präventiven Kriminalitätsbekämpfungsprogramm, bei dem er u.a. Jugendliche seines Ortes einen Tag drastische Präsentationen im lokalen Knast erleben ließ, zur gesunden Abschreckung wie er meint. Doch - und genau hier setzt der Unterschied zur völlig verfehlten und letztlich rassistischen Regierungspolitik ein - bietet Bogdán Alternativen an, die über Verbot und Drohung hinausgehen.

So gründete er einen gemeindeeigenen Biohof mit genossenschaftlichen Anteilen der Mitarbeiter, der vielen Arbeit und eine Perspektive gibt sowie - oft erstmals - Sinn und Gemeinschaft erleben lässt. Integration statt Segregation in "Romaförderschulen" und Billigsarbeiterkolonnen unter Aufsicht finstrer Gestalten in der sog. Közmunka. Eine Nachbarschaftshilfe bindet ältere Bewohnerinnen ein, die Romakindern Nachhilfe geben oder auf die Kinder aufpassen, während die Eltern arbeiten. Ein Bau- und Ordnungstrupp kümmert sich um Grünflächen und beseitigt bauliche Schandflecke, auch für private Renovierungsmaßnahmen ist man buchbar. Internationale Austauschprogramme mit Schülern öffnen die kleine Welt.

 

Bogdán stellte bei seinem Vortrag in Brüssel nicht nur die "positive Diskriminierung" im Rahmen europäischer Romastrategien als kontraproduktiv für die Minderheit in Frage, weil sie die "negativen Gefühle" der Mehrheit gegenüber den dann "Bevorzugten" anwachsen lässt, er findet das gesamte System der sog. lokalen und landesweiten "Selbstverwaltungen" der ethnischen und nationalen Minderheiten in Ungarn fehlgeleitet und unnütz. Denn diese Strukturen seien eine "Quelle der Korruption", die im alltäglichen Leben keinen praktischen Nutzen bringe und die Minderheit nur als etwas "Besonderes" aus der Gesellschaft ausschließe. (Anm.: die Landesswelbstverwaltung der Roma ist unter Fidesz-Aufsicht, ein Pseudoorgan ohne wirkliche Gestaltungskraft, aber mit öffentlichen Mitteln durchströmt, auch bei anderen Minderheiten wie den Ungarndeutschen richten es sich seit Jahren und Jahrhzehnten immer wieder die gleichen Leute.)

Ist Cserdi das eine "Extrem" der Lage der Roma in Ungarn, stellt u.a. Gyöngöyspata das andere dar. Dort regiert ein bekennender Neonazi als Bürgermeister. Entsprechend sieht die Lebensrealität aus:
Das Musterdorf: Ungarn und die "Lösung des Zigeunerproblems" - Ortstermin in Gyöngyöspata

Mehr zum Thema:

2014:
Sägen und Hämmern gegen die Bretter vorm Kopf: Jugendliche aus Duisburg zum Arbeitseinsatz in Cserdi

2013:
Der Best-practice-Zigeuner: Wie ein Roma als Bürgermeister seinen Ort umkrempelt

Hintergrund:

Debatte im Parlament: Minister will Segregation von Roma-Kindern in Schulen legalisieren

Das "Zigeunerproblem" ist das Europaproblem
Teures Alibi: zum Stand der "Romastrategie" in Ungarn und der EU

red.

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