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(c) Pester Lloyd / 11 - 2015   WIRTSCHAFT    12.03.2015

 

Finanzskandal in Ungarn: Wie Gangster und Politiker eine Milliarde Euro verschwinden ließen

Zigtausende geprellte Anleger, undurchsichtige Amtshandlungen, Scheingeschäfte, verschleppte Konkurse und ein Schaden von rund 1 Milliarde Euro. Der von der Regierungspartei ausgerufene "größte sozialistische Brokerskandal seit der Wende" rund um Buda-Cash und Quaestor wird zum allungarischen Gaunerstück mit Potential zur (Mafia-)Staatsaffäre.

Die Dinge rund um die Buda-Cash und Quaestor-Pleiten der vergangenen Tage scheinen nur auf den ersten Blick verwirrend. Entfernt man die Tarnnetze und Nebelschwaden, kommt ein zwar hässliches, aber deutlich erkennbares Bild zu Tage. Es ist das Bild einer durch und durch mafiösen Gesellschaft.

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Erst Buda-Cash, samt DRB-Bankengruppe, dann Hungária Értékpapír, nun Quaestor. Rund 220.000 Kunden und Anleger schauen wütend durch die Finger. Staatlich geduldeter, vielleicht sogar geförderter Anlagebetrug...

 

Eine Milliarde "verschwunden"

Kurz gesagt:

1. Die ungarische Nationalbank hat ein den "Linken" zuzuordnendes Finanzhaus (Buda-Cash), das unter der vorgetäuschten Blindheit der Aufsichtsbehörden über Jahre Kundengelder verzockte bzw. stahl, jetzt auffliegen lassen.

2. Im Fahrwasser dieser Liquidierung hat man eine andere Zockerbude, die Quaestor, die wiederum der rechten Landeshälfte zuzuordnen ist und die über Jahre Kundengelder verzockte bzw. stahl, elegant gegen die Wand fahren lassen.

Während man die Pleite der linken Gauner politisch ausschlachtet, werden die eigenen Günstlinge als Folgeopfer in Schutz genommen. Hauptsache: das Geld ist weg.

Die Schadenssummen durch den erst jetzt zu Tage geförderten und eigentlich längst überfälligen Bankrott der Buda-Cash, der dazugehörigen regionalen Banken sowie dem darauffolgenden Bankrott des Aktienhandelshauses Quaestor, vor allem aber dessen Anleihetochter Quaestor Financial Hrurira, übersteigen beretis die Marke von 1 Milliarde Euro.

Die einen stahlen, die anderen betrogen...

Fakten: Aktienhandel für Privatanleger in Ungarn

Ende 2014 registrierte die MNB offiziell 1.950 Milliarden Forint, rund 6,4 Mrd. EUR in Aktien, die von 22 "unabhängigen Aktienhändlern" im Kundenauftrag gehalten wurden. Das waren 17,6% mehr als im Jahr zuvor, was natürlich vor allem mit der Zinspolitik der Zentralbank zu tun hat. Die Marktkonzentration im Aktienhandel für Privatanleger ist sehr hoch, lediglich drei bis vier Unternehmen teilen sich den größten Anteil auf, dazu gehört die Erste Befektetési Zrt. mit ihrer Erste Bank als Mutter (bei der - zufällig - gerade der ungarische Staat eingestiegen ist) sowie die Concorde und die Equilor. Die jetzt ausgefallenen Firmen hielten zusammen rund 7,5% Marktanteil.

Während die Buda-Cash-Gruppe über 15 Jahre rund 100 Mrd. Forint Verluste (320 Mio. EUR) vor fast 100.000 Kunden und der Finanzaufsicht verbarg, rund 60 Mrd. davon in Form von Aktienfonds, den Rest schob man an die eigens  erworbenen Banken ab, errechnete man bei der Quaestor Financial Hrurira (120.000 Kunden) ein Gesamtportfolio von 210 Mrd. Forint, überwiegend in Form von Firmen- und Projekt-Anleihen, von denen rund 150 Mrd. (490 Mio. EUR) in den Wind geschrieben werden könnten. Rechnet man die erforderlichen Mittel aus Rettungsfonds sowie Folgekosten bei den abzuwickelnden Projekten hinzu, ist die Milliarde voll.

Bei Buda-Cash ging wohl nur ein kleinerer Teil durch Zockereien an der Börse verloren, das Meiste zweigte man mit Hilfe von Scheingeschäften ab. Der frühere Geschäftsführer, Gründer und Haupteigner Péter Tölgyesi wurde, gemeinsam mit zwei Komplizen, am Mittwoch deswegen, also wegen Untreue und gemeinschaftlichem, organisiertem Betrug sowie aller möglicher Verstöße gegen Bilanz- und Finanzaufsichtsgesetze in Untersuchungshaft genommen. Die Verbindungen der Eigner zu den sozialliberalen Vorgängerregierungen sind bekannt und unleugbar.

Überbewertete Anleihen für Fußballstadien, Einkaufszentren und Hotels

Quaestor beruft sich bei seiner eigenen Bankrotterklärung auf den amtlich deklarierten Bankrott der Buda-Cash, der dazu geführt hätte, dass Kunden in Panik ihre Einlagen abziehen wollten, man aber nicht genügend liquide Mittel hatte. Eine glatte Lüge.

Wie jetzt - Stück für Stück - herauskommt, hatte man diese Liquidität zu keinem Zeitpunkt und wird sie auch nie wieder haben. Denn die an Anleger ausgegebenen Anleihen haben nur einen Buchwert, die dahinter stehenden Projekte werden beim Verflüssigen wohl, wenn überhaupt, ein Sechstel der Nennsummen erbringen. "Mehrere Verdächtige" der Quaestor wurden, so die Nationale Ermittlungsbehörde, "befragt", das Hauptquartier durchsucht. Na dann...

Es ist kein Zufall, dass sich unter den Anleiheobjekten der Quaestor mehrere Fußballstadien, neue Sportanlagen, eine ganze Armada von Pensionen und Kleinhotels, Spa´s, aber auch Shopping Center in der Provinz, Bäder, Freizeitanlagen befinden, viele Projekte, die, gerne mit EU-Geldern kofinanziert, von einschlägigen Geschäftsleuten mit Nähe zur politischen Macht in den letzten vier bis fünf Jahren forciert und über "öffentliche" Ausschreibungen, aber auch ganz privat, realisiert wurden. Die Kreditklemme der mit Orbán ringenden Banken machte viele erfinderisch, die Ausgabe von Anleihen wiederum Projekte möglich, die einer fachgerechten Prüfung nie - und schon gar nicht in den vorliegenden Volumina - Stand gehalten hätten.

Politische Verbindungen

 

Hinzu kommt, dass der Mehrheitseigner der Quaestor, Csaba Tarsoly, beste Beziehungen zur Regierung Orbán pflegte. Er fädelte nicht nur die Beteiligung und anleihefinanzierte Umsetzung der Györer ETO-Stadions und etliche andere "Kommunalprojekte" mit den Fidesz-Stadtoberen ein, sondern war auch ganz oben, mindestens auf der Entscheidungsebene des Außenministers bzw. Kanzleramtsministers Lázár aktiv, der für die "Ostöffnung" verantwortlich zeichnet.

Tarsolys Beteiligung VisaWorld-Center Szolgáltató Kft hielt u.a. 60% der Anteile am neu errichteten ungarischen Visa-Center in Moskau (bei dem lustigerweise auch der Name des Felcsúter Bürgermeisters Mészáros auftaucht, der wiederum ein enger Freund von Orbán ist) sowie an den "Handelshäusern" in Istanbul und ebenfalls in Moskau. Projekte, die von Lázár und seinen Vasallen als Teil der "Ostöffnung" an die Öffentlichkeit verkauft, hintenrum aber als private Spekulationsobjekte versilbert wurden. Weitere, möglicherweise verdeckte Involvierungen in die "Handelshäuser" in Baku und anderen schrägen Gegenden sowie in weiteren Projekten mit Verbindungen zur Politik, werden derzeit noch recherchiert.

Das Außenministerium stotterte eine Erwiderung auf die gerade kolportierten Verbindungen. Man wollte nur sicherstellen, dass für das Visa-Zentrum und die Handelshäuser "kein Forint öffentlicher Mittel" verwendet werden müsste, aber man hatte ja keine Ahnung, dass... usw. usw.

Ungarn steht wieder vor den Trümmern der "Arbeit" seiner "Eliten"

Die MNB, also die mit der Finanzaufsicht beauftragte Nationalbank sowie die Regierungspartei Fidesz sprechen davon, dass die Schuld dafür, dass diese "Unregelmäßigkeiten" bei den Broker- und Finaznhäusern über Jahre, ja Jahrzehnte - unentdeckt wäre zu viel gesagt - also unbehandelt geblieben waren, ganz klar bei "den Sozialisten" liege.

Der Umstand, dass die Fidesz-Partei von 1998-2002 sowie wieder seit 2010 die Macht inne hatte und von 2000 bis 2004 und wieder ab 2010 ein von Fidesz eingesetzter Experte, Károly Szász, die Finanzaufsicht PSZÁF (jetzt bei MNB eingegliedert) führte, wird schlicht ignoriert.

Was hat die MNB seit 2010 eigentlich gemacht, anstatt ihrer Aufsichtsfunktion nachzukommen, fragen Medien, Experten und Kunden unisono - und alle wissen die Antwort: Schlösser, Geigen, Gemälde gekauft, Immobilien im Kreis bewegt und Milliarden in "Bildungsstiftungen" verschoben, die "unorthodoxe Finanz- und Wirtschaftspolitik" gegen den "neoliberalen Mainstream" unterrichten sollen.

Angeblich hat zudem ein von der MSZP verabschiedetes Gesetz dafür gesorgt, dass solcherart Firmen nur alle fünf Jahre zu prüfen seien, schoss die MNB mit Fidesz als Infanterie zurück. Eine interessante Position einer Partei, die seit 2010 bis hin zur Verfassung alles, aber wirklich alles Legislative geschreddert hat, was sie von den Vorgängern übernahm, - nur dieses eine Gesetz nicht?

"Wir können gar nicht so viel Steuern zahlen wie ihr stehlt'".

Wie auch immer. Wir stehen in Ungarn also - wieder einmal - vor den Trümmern der Tätigkeit unserer politischen "Eliten". Dass die, die heute am längeren Hebel sitzen, die Sache zu ihrem Vorteil nutzen, mit einer nie gesehenen Chuzpe, liegt in deren und in der Natur der Sache. Doch genauso  erbärmlich klingt es, wenn jetzt - so wie gestern geschehen - der MSZP-Abgeordnete Zsolt Molnár, von der Regierung fordert, dass die "persönlichen Verluste" der Anleger "vollständig entschädigt werden müssten". Ja woraus denn? Der Slogan der jüngsten Demos gegen Korruption und Amtsmissbrauch trifft hier den Nagel auf den Kopf: "Wir können gar nicht so viel Steuern zahlen wie ihr stehlt'".

Fidesz will nun "Investoren schützen"

Fidesz erwarte nun, dass "die, die diese Firmen betrieben, zur Verantwortung gezogen werden" und, dass "ihr persönlicher Besitz zur Schadensreduzierung eingefroren und verwendet wird." Im Nachsatz wird dieses Geschwurbel vesrständlicher. Fidesz-Fraktionssprecher Bence Tuzson ließ durchblicken wie er sich das vorstellt: dieser "neuerliche sozialistische Brokerskandal" fordere "unsere Partei auf, all jene zu schützen, die in Ungarn investieren". Übersetzt: die Buda-Cash-Leute werden eingebuchtet, die Projektträger des Quaestor-Betruges entschädigt und die Diebe juristisch aus der Schusslinie gebracht, was ein paar Bauernopfer aus dem Management nicht ausschließt. - Und fertig ist das nächste Gaunerstück.

"Schwer zu leugnen, dass zumindest der Quaestor-Fall ein Fidesz-Skandal" ist

Péter Júhász, einst Gründer der Facebook-Initiative Milla, heute Korruptionsjäger unter der Flagge der liberalen Kleinpartei "Gemeinsam" und nicht in die MSZP-Regierungen verwickelt, sieht in dem "größten Brokerskandal der letzten 25 Jahre" "die Natur des Orbán-Regimes hervortreten". "Fidesz-nahe Oligarchen" hätten 150 Mrd. Forint (490 Mio. EUR) "gestohlen" und "haben jetzt die Stirn zum Staat zu rennen und um Hilfe zu bitten". Auch für den Grünen-Ableger "Dialog für Ungarn" ist es "schwer zu leugnen, dass zumindest der Quaestor-Fall ein Fidesz-Skandal" sei. Matolcsy schulde nicht nur eine Erklärung, warum die Aufsicht so lange versagt habe, - er schulde dem Land zumindest den Rücktritt.

cs.sz. / red.


Wie geht die Abwicklung vor sich?

In beiden Fällen ermitteln die staatlichen Organe, also Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei, "Finanzaufsicht" etc. Am Fortgang und den Konsequenzen dieser Ermittlungen wird sich die oben aufgestellte Hypothese von der false flag-Aktion der Quaestor belegen lassen.

Die Bankkunden der DRB-Gruppe werden - im Unterschied zu den Haltern von Aktiendepots und Anleihen bei Buda-Cash und Quaestor - aus dem Einlagensicherungsfonds OBA (gefüllt mit Bank- und Steuergeldern) mit bis zu 100.000 EUR entschädigt.

 

Laut OBA wird man rund 103 Milliarden Forint an rund 73.000 Privatkunden der DRB-Bankengruppe auszahlen. Zunächst an 64.000 Inhaber von Guthaben zwischen 22.550 und 100.000 Forint (70 bis 300 EUR), danach an jene, die mehr auf dem Konto liegen haben sowie an rund 10.000 juristische, nicht natürliche Personen. 12,9 Mrd. Forint an Ansprüchen gehen über die Einlagensicherungsobergrenze von 100.000 EUR pro Nase hinaus, die sind weg, es wäre ein Wunder, wenn sie nach der Abwicklung der Bank noch übrig blieben. 5,5 Mrd. Forint an Guthaben stehen unter Vorbehalt, hier müssen Ansprüche Dritter erst überprüft werden.

Am Rande: wie zu hören, haben rund 1.200 Geheimdienstler eine private Zusatzkrankenversicherung in Form von Aktiendepots bei Buda-Cash gehalten. Auch diese gehen nun leer aus, was interessante Entwicklungen in der Form von Offenlegungen der Vergangenheit Beteiligter erwarten lässt.

Die Aktien- und Währungsdepots, Derivate und Anleihen beider Pleite-Gruppen (sowie der kleinen Hungária Értékpapír) werden in einem weiteren Schritt unter Aufsicht eines von der Nationalbank bestellten Kommissars Stück um Stück aufgelöst, um eine flüssige Konkursmasse zu erhalten, die auszahlbar wird, abzüglich der Liquidationskosten, versteht sich. Die Anleger können - wenn überhaupt - mit einer einstelligen Prozentzahl rechnen, die ihnen am Ende von ihrem Kapital bleiben wird. Unter den Opfern sind nicht nur Privatperson en, sondern auch viele Firmen, Kommunen und sogar Sportclubs. -red.

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Chronik der Ereignisse:

Der Nächste bitte: Quaestor - Nationalbank übernimmt Kontrolle über
weiteren Aktienhändler - 10.3.


Orbán äußerst sich zum Finanzskandal - 9.3.

Hungária Értékpapír: Ungarische Nationalbank nimmt
weiteren Aktienhändler vom Markt - 6.3.


Fortgang im Finanzskandal: Buda-Cash-Banken unter Liquidation - 3.3.

Koalition der Abzocker: Was steckt hinter Buda-C(r)ash? - 27.2.

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Hintergrund "Mafiastaat" (kleine Auswahl):

MET - Die Gelddruckmaschine eines Mafia-Staates

Zwangskollektivierung und Rückprivatisierung
Wie in Ungarn aus Genossenschaftsbanken Parteifilialen wurden


Legalisierung des Illegalen: geschäftsmäßige, amtliche Plünderung von EU-Fördergeldern in Ungarn

Real exsitierende Kleptokratie: Ungarn legalisiert Korruption und Amtsmissbrauch

Affäre um Széchenyi Bank: Rettete die ungarische Regierung Oligarchengelder mit Steuermillionen?

Abgezweigt: Ungarische Nationalbank stockt Stiftungen auf 800 Mio. EUR auf

Plündern unter Geheimhaltung: Infos zu AKW-Ausbau in Ungarn 30 Jahre unter Verschluss
 

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