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(c) Pester Lloyd / 12 - 2015   POLITIK    19.03.2015

 

Gesinnungspolizei: Orbáns Parteijugend macht Jagd auf Andersdenkende

Fidelitas, die Jugendorganisation der ungarischen Regierungspartei FIDESZ, die wiederum Schwesterpartei der CDU in der EVP ist, hat am Mittwoch auf einer Pressekonferenz die Gründung einer "provokátorfigyelő" also einer Beobachtungsgruppe gegen Provokateure angekündigt. Diese soll "all jene linksextremen Provokateure", die "Veranstaltungen anderer" stören, öffentlich bloßstellen, mit Namen, Adressen, Fotos.

Die "ungarischen Menschen sollen wissen", wer versucht, Unruhe zu stiften und "tausende Familien bei der Abhaltung friedlicher Versammlungen stört."  erklärten die Fidelitas-Vorstände László Böröcz und Zsófia Koncz und fordern die "wachsamen Bürger" dazu auf, ihre Beobachtungen an die Fidelitas-Email-Adresse zu senden, Diskretion zugesichert, versteht sich. "Das sei Jedermanns Recht".


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Anlass für die Ankündigung sind die Ereignisse vom 15. März, als am Rande der Orbán-Rede beim Nationalmuseum eine Gruppe Gegendemonstranten mit Sprechchören, Trillerpfeifen und Plakaten auftauchte und es ein Handgemenge mit Fidesz-Anhängern und "Securities" gab, was das Bild trauter Eintracht zwischen Volk und Führer störte. Die Polizei verhaftete eine Person und drängte die Protestierer in eine Nebenstraße.

 

Fidelitas spricht von gewaltbereiten "linksextremen Aktivisten", die sich dort "als Bürger getarnt" hätten und präsentierte gleich ein paar einschlägig Bekannte, darunter je ein Mitglied der MSZP und der DK sowie der neuen linksliberalen Gruppen. Die Gegenseite spricht hingegen davon, an ihrem Recht auf Meinungsfreiheit von rüpelnden und schlagenden Orbán-Fanatikern gehindert worden zu sein. Auf Videos sind dabei auch antisemitische Flüche unter Einbeziehung der weiblichen Vorfahren der Teilnehmer zu hören.

Fidelitas hat für seine "Provokateur-Wacht" eine Facebook-Seite eingerichtet und dort bereits einige Personen mit Foto und privaten Daten aufgeführt, darunter Mitglieder der Jugendorganisation der linksliberalen Y-gen. Diese haben mittlerweile Anzeige wegen des Missbrauchs persönlicher Daten gegen Unbekannt erstattet, die Facebook-Seite wurde dann vorerst vom Netz genommen. Man hofft aber, dass die Firma ein Einsehen hat und die Seite wieder freischaltet, sonst fände man "andere Wege". Mittlerweile hat sich eine Fake-Seite etabliert,
https://www.facebook.com/groups/1012448542100842/  die mit “Selbstanzeigen”, Sarkasmus und Satire gegen das Jagdfieber der Fidesz-Sturmtruppler vorgeht.

12fidelitas1 (Andere)Wie man einen Provokateur erkennen könne und wie man Irrtümer ausschließen könne sowie sonstige Fragen nach verfassungsmäigen Rechten, Selbstjustiz etc., dazu gab es keine Auskünft, aber vielleicht erscheint ja demnächst eine Handlungsdirektive. Hier vorerst der offizielle Aufruf der Fidelitas.

Der Blog von www.atlatzso.hu arbeitete ein Plakat aus stalinistischen Zeiten um...

Bereits nach den Protesten vor der Fidesz-Parteizentrale vor zwei Jahren, mit ein paar zerbrochenen Fensterscheiben und einem demolierten PC, die von der Orbán-Partei als "brutaler Angriff auf die Demokratie" und "Leib und Leben unserer Mitarbeiter", ja ein "geplanter Überfall von Linksextremisten" dargestellt wurde, kündigte der damalige Generalsekretär des Fidesz und Präsident des für seine rechtsextremen Schlägertrupps berüchtigten Fußballklubs FTC Ferencváros, Gábor Kubatov, die "Notwendigkeit" der Gründung einer "Parteigarde" an, um Fidesz vor "undemokratischen Elementen" zu schützen.

Es war der gleiche Kubatov, der nachweislich illegale Listen von Wählern in Pécs anfertigen ließ ("Wir wissen, wo die Kommis wohnen..."), mit Daten über deren vermeintliche Gesinnung. Kubatov überführte sich auf einem Video selbst, die Aktion sollte als Modell für spätere landesweite Listen dienen. Die Staatsanwaltschaft blockiert bis heute von der Opposition eingeforderte Ermittlungen dazu.

Die Aktion von Fidelitas erinnert nicht nur an die regelmäßigen Denunziationen einschlägiger rechtsextremer Websseiten, die Menschen aufgrund ihres Glaubens, ihrer Lebensweise oder ihrer Anschauungen bloßstellen und quasi zur Jagd freigeben, sondern auch an die hysterische Truppe der sogenannten
"Naschi" (die Unseren), mit der Russlands Präsident Putin vor Jahren auf Oppositionelle wegen "antirussischen" Verhaltens losgehen ließ, Belagerungen von Wohnsitzen und öffentliche Bücherverbrennungen inklusive und alles als "Antifaschismus" beschrieben.

Auch in Orbáns Ungarn ist die pauschale Umdeutung von Oppositionellen zu "Linksradikalen" das diffamatorische Standardmodell, erweitert - von Orbán wörtlich - um "Agenten ausländischer Mächte" und "Feinde der Nation". Wer gegen uns ist, gehört nicht dazu. Dabei sind nicht nur Parteien und deren Anhänger gemeint, sondern z.B. auch im Ausland bekannte oder lebende ungarische Intellektuelle und NGO´s.

 

Die Aktion weckt unweigerlich Erinnerungen an die deutsche Blockwart"kultur" der 30er und 40er Jahre und man kommt auch kaum umhin, an die HJ zu denken. Denn immerhin müssten selbst Befürworter einer solchen "Wacht" die ausschließliche Ausrichtung auf "linksextreme Provokateure" nachdenklich machen, mit den etablierten Aufmärschen der Neonazis, die viel mehr als eine "Provokation", nämlich ein direkter Angriff auf den Frieden der Gesellschaft darstellen, hat man bei Fidelitas offenbar keine Sorgen. Schon eher mit den aktuellen Umfragewerten, die Jobbik, die bürgerliche Holding der marodierenden Garden, nur noch 3 Punkte hinter Fidesz platzieren...

Eine Vertreterin der Oppositionspartei DK merkte an, dass Orbán nun  seine parteieigene AVH gründe (Államvédelmi Hatóság, stalinistische GeStaPo in Ungarn zwischen 1948 und 1957) um Gesinnungsjagden zu veranstalten. Medien zogen Parallelen zur Kádár-FDJ und zur Rákosi-Ära und erwähnten ebenfalls die Hetzseiten von kuruc.info und alfahir mit ihren Denunziationen.

red.

Hintergrund:

Sabotage am Rechtsstaat. Nazialltag in Ungarn: Uniformierte Aufmärsche, applaudierendes Publikum, kalkulierende Politik

Gefahr von Links: Regierungspartei plant Gründung einer eigenen "Garde"

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