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(c) Pester Lloyd / 12 - 2015   POLITIK    16.03.2015

 

"Kossuth und Petöfi würden lachen...": Orbáns Rede zum Nationalfeiertag

Mit dickem Nationalschwulst weit hinter der Grenze des Erträglichen überzog Premier Orbán am Sonntag eine organisierte Anhängerschar am Nationalmuseum bei der traditionellen Festtagsrede zum 15. März, dem Jahrestag des Anti-Habsurgaufstandes 1848. Orbán wollte sich einmal mehr als Erbe der Freiheitsbewegung inszenieren, doch er machte sich zu einer peinlichen Karikatur davon...
 
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Die kitschige Inszenierung (siehe Fotos) kongruierte mit der Rede. CÖF-Sturmtruppler sorgten für "Viktor, Viktor"-Rufe einer jubelnden Menge.
3000 eingeplante Schüler blieben großteils aus, doch karrte man mehrere Tausend Menschen heran. Am Rande balgten sich "Securities" mit zwei Handvoll Protestlern. Folkloristisch ausstaffierte Ensembles, die irgendwo zwischen Operette und Nordkorea changierten, umrahmten die Inszenierung, die Kossuth und Petöfi die Tränen in die Augen getrieben hätte.

Orbán hob, einem Erlöser gleich, seine Rede mit den Worten an: "Auf das Frieden, Freiheit und Verständingung sei...". Er sprach weiter von "magischer Energie", die eine "große Nation geformt" habe und der 15. März sei der "heilige Schritt" gewesen, den sie gegangen sei. Freiheit und Unabhängigkeit - das sei das Leitsternpaar unserer Geschichte. Und wieder: Blutlinie, heilige Schwüre, Großartiges was man der Welt darbringe. Dann ein Schenkelklopfer auf Kosten der darniederliegenden Opposition: Hunderttausende versammelten sich am Morgen des 16. März - "auch ohne Facebook". Die Masse johlt.

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Dann das Gedenken an die "Blutopfer", die Märtyrer und die untilgbare Schande der Invasoren. Natürlich sponn Orbán die direkte Linie vom Damals ins Heute, sich selbst als Inkarnation eines Kossuth samt Petöfi implizierend. Die Ungarn würden heute wieder einen Überlebenskampf führen, "das ungarische Schicksal" sei das gleiche wie damals. - Brausender Applaus.

Heute allerdings bestünden die Invasoren aus "Spekulanten", die ihre "Waffen in den Geldbörsen" stecken haben. Und er verortet Ungarn in der EU im selben Hinterhof, in dem es dereinst im Habsburgerreich darbte. Na klar, es durfte auch nicht "die neue Weltordnung" fehlen, in der es sich zu positioniern gilt, ein Begriff, der genau die Dosis Angst und Unheimlichkeit verbreiten soll, der die gröbsten Frechheiten der Regierung als notwendig erscheinen lässt.

Alle Ungarn hätten in den vergangenen 25 Jahren verstanden, "dass wir entweder zusammen Erfolg haben oder untergehen." "Zusammen oder gar nicht, das war auch die Lektion von 1848" sagte er "unter fortdauerndem Applaus des Publikums" wie uns das Regierungspresseamt wissen lässt. Und klar: in den vergangen Jahren (unter ihm also!) begann die ungarische Nation wieder eine "starke" zu werden.

Freiheit heißt für Orbán das "unveräußerliche Recht aller Nationen, ihren Weg zu gehen." Das ist eine interessante Interpretation, wenn man bedenkt welche Wege so manche Nation schon beschritten hat. Auch das Fehlen der individuellen Freiheit in seiner Definition ist kein Zufall. Denn das Individuum hat sich dem kollektiven Willen für ein imaginäres, aber eben großes Ziel unterzuordnen. Daher sind die wirklich "Liberalen" in Orbáns Ungarn auch so verhasst, also Feinde der Nation. So einfach ist das.

Kossuth und Petöfi "würden nur lachen, wenn sie sehen könnten, dass irgendjemand uns Freiheit und Demokratie lehren will", meint Orbán. Immerhin trat Kossuth als ungarischer Freiheitsheld schon in Amerika auf als das noch "ein Sklavenland" war. Dass Kossuth dort im Exil war, weil er von seinen freiheitsliebenden ungarischen Magnaten quasi verscherbelt wurde, darunter auch Amtsvorgänger, die heute wieder als Vorbilder installiert werden, - darüber kein Wort. Oh ja, Kossuth und Petöfi würden lachen...

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Nach der frühjährlichen Schändung (es gibt noch eine im Herbst) ungarischer Revolutionshelden, kehrte Orbán zum aktuellen Feindbild zurück: "Europa ist heute voller Fragen, Ungarn voller Antworten". Das war immerhin einmal etwas Neues. Ungarn sei und bleibe Teil Europas, aber eben an der Seite anderer Nationen. "Der Kampf um die Unabhängigkeit" sei "nie zu Ende". Die Ambilvalenz würgt den Premier, man spürt es körperlich. `Freiheit oder Europa` würde er am liebsten brüllen, doch das würde das Land in der Konsequenz Abermilliarden Euro kosten - und ihn den Kopf.

Bleibt also nicht viel mehr als die EU-Kröte weiter zu schlucken und zu kassieren und den ganzen Schwindel mit einem großen Schwall hohler Phrasen zu übertünchen. Am Sonntag gab es "Glauben", "Treue", "Wahrhaftigkeit", "Bestimmung", "Sieg", aber nur für "den Starken". Orbán schloss seine Rede mit der Prognose, dass "Ungarns Größe wiederkehren wird", machte aber keine zeitlichen Eingrenzungen - er wird wissen, warum.

Orbáns Ansprachen waren vor einigen Jahren ausgefuchste Konstrukte cleveren Machtstrebens. Niue elegant, dafür aber effiziente, bissige Kunstwerke, die bei allem offensichtlichen Populismus doch bewegten und trafen: wen und was sie sollten, Anhänger wie Gegner.

 

Was der Premier aber seit einigen Monaten abliefert, ist nur noch ein Abklatsch davon, ein äußeres Zeichen tiefer innerer Verunsicherung. Wo früher Esprit und Kampfgeist sprühten, trieft es heute nur vor Kitsch und unreflektierter Egomanie, eine einfallslose Endlosschleife aus Opfermythen, Nationalismus, gewürzt mit gröbster Geschichtsfälschung und den immer gleichen Slogans. Früher verstand er es jedoch, zu dosieren, die Pfeile überlegt abzuschießen. Heute rührt er nur noch planlos im metaphorischen Arsenal und ballert wild in der Gegend herum.

Aus Reden, die nicht nur Schmuck, sondern den Anhängern Halt und Richtung waren, wurde heute einmal mehr die hohle Farce eines unbelehrbaren Megalomanen. Ihm können nur noch infantile oder zynische Seelen folgen, niemanden der wirklich bei Sinnen ist. Die Ungarn sind mehr bei Sinnen als viele glauben mögen. Es ist sein Apparat, der noch den Schein der Macht wahrt. Wie schnell ein solcher versagen kann, zeigte die Geschichte.

red. / m.s.

 

 

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