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(c) Pester Lloyd / 13 - 2015   WIRTSCHAFT    24.03.2015

 

Du heiliger Sonntag: Wie sich die Regierung bei der Ladenöffnung verrannte

Nach und nach wird immer mehr Fidesz-Oberen klar, dass sie sich von ihrem Juniorpartner, den Katholiban der KDNP, mit der "Sonntagsschließung" ein ziemlich faules Osterei ins Nest gelegt haben, verlockt von "Extraprofiten". Doch aus generalpräventiven und strategisch-monetären Gründen muss die nationale Front geschlossen bleiben, "es arbeiten noch viel zu viele Menschen am Sonntag", tönte daher Kanzler Lázár.

13vasarnapzarvaNoch rund eine Million Menschen müssten an Sonntagen, trotz der neuen Öffnungsregeln, arbeiten und "ihren Familien fernbleiben", so wird Lázár heute in Medien zitiert, daher müsse man konsequent an der Schärfung der Gesetze arbeiten. Letztlich, so die Parole, sollen alle, die nicht Unabkömmlich sind (also Rettungsdienste, öffentlicher Verkehr, Infrastruktur, Exekutivorgane und - beschränkt Gastgewerbe und Entertainment) Sonntag mit einem Arbeitsverbot belegt werden.

Sonntag geschlossen, das soll der Standard sein, nicht nur für Lebenmsittelketten

Intern bröckeln diese, mit Frömmelei und Nationalschwulst umrahmten Argumente aber zusehends: Lázár soll am Wochenende in trauter Fidesz-Runde des "Wir lieben Ungarn-Clubs" (den gibt es wirklich, auch als "Magyar Bilderberger" verschrien) gewarnt haben, dass "wenn es diesen Sonntag ein Referendum über die Sonntagsschließung für Geschäfte gäbe, wir (Fidesz) es verlieren würden". Auch seien die miesen Umfragezahlen zum größten Teil darauf zurückzuführen.

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Ein CBA in Budapest freut sich, seinen Kunden die Sonntagsöffnung mitteilen zu dürfen. “Familienbetrieb” scheint ein dehnbarer und definierbarer Begriff zu sein.

Geht es denn wirklich um die christliche Sonntagsruhe? Nein, sagen Kritiker. Es geht um Marktanteile, um Protektion. Die Fidesz-Handelsketten CBA, Coop, Wahlkampffinanzierer und Teil des kleptokratischen Oligarchen-Netzwerkes sowie die von Fidesz-Lokalprominenz betriebenen Trafiken sollen in Position gebracht werden und durch Erweiterung ihres Produktportfolios zum führenden Versorgungsnetzwerk - im doppelten Sinne - werden. Wie bei den Banken, sollen Gesetzgeber, Exekutive und Judikative die Marktübernahme gegen die ausländischen Player vorbereiten. Hier ein aktuelles Beispiel dazu, mehr über steuerliche Maßnahmen hier.

Stimmt nicht!, argumentieren die Gesetzgeber und ihre Schönfärber, schließlich bestimme das Ladenöffnungsgesetz ausdrücklich, dass nur Geschäfte unter 200 qm und (!) im ausschließlichen Familienbetrieb sonntags offen bleiben dürften, fast alle CBA´s hätten aber Angestellte. Lüge, schießen wiederum die Gegner zurück. Denn etliche Newsportale dokumentierten am vergangenen Wochenende eine ganze Reihe CBA-Geschäfte (und nur solche), die explizit mit Schildern "Wir haben Sonntag geöffnet" warben. Das Gesetz formuliert zudem "Geschäfte im Familienbetrieb", definiert diesen aber nicht genauer. Außerdem ist auch die Exekutive gleischgeschaltet und CBA dadurch geschützt. Ende.

 

Peinlich für Fidesz wurde es in der Vorwoche als umfangreiche Studien, beauftragt vom Wirtschaftsministerium 2011, auftauchten, die belegten, dass sich die Regierung bereits damals intensiv mit der Thematik befasst hat. Grundaussagen: Zentausende Arbeitsplätze gehen verloren (vor allem für jene, für die der Wochenendjob ein existentieller Zuverdienst war), vor allem eine Mittelschicht, die sich was leisten kann (Fidesz-Klientel), wäre sauer über die Bevormundung, das Verkehrschaso an Freitagen und Samstagen würde zunehmen, die Wochentage die Sonntagsausfälle nur zu einem Teil kompensieren = Steuerausfälle in Abermillionenhöhe.

Diese Studien habe es nie gegeben, lautete die Auskunft aus Orbánwells Wahrheitsministerium. Blöd nur, dass die Autoren der Studie den unabhängigen Medien bereitwillig Interviews und Details bereitstellten. Ok, hieß es dann, möglicherweise habe man eine Art Umfrage gemacht, mehr aber nicht, ruderte das Ministerium zurück. Auch diese Befragung von über 4000 Menschen war eindeutig: 60% sind gegen Sonntagsschließung, die meisten davon "über dem Mindestlohn".

Warum es eine solche Impact-Studie jetzt nicht gibt? Ganz einfach: "Die Regierung ist nicht für die Auswirkung ihrer Gesetze verantwortlich." - so Regierungssprecher Zoltán Kovács. So einfach ist das. Nach Fidesz- und Lázár-Logik gibt es ohnehin kein Zurück bei Regierungsentscheidungen, niemals (die Internetsteuer war ein Unfall, aber auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen), schon gar nicht, wenn die "Familie" davon profitiert - auch im doppelten Sinne.

 

Die Frage ist nur, wie hoch darf der politische Preis dafür sein? Es wäre ja geradezu absurd, wenn auch sehr witzig, wenn Orbáns "nationale Revolution", die mühelos über Verfassung, Grund- und Bürgerrechte, Pressefreiheit, Eigentumsrechte, Korruptionsbekämpfung und die Kontrolle von Amtsmissbrauch hinwegmarschierte, nun über Ladenöffnungszeiten stolperte...

Die ungarische Arbeitgebervereinigung VOSZ, sonst ein verlässlicher Partner der Regierung, z.B. bei der Aushöhlung von Arbeiterrechten, hat sich diesmal mit der Gewerkschaft LIGA, sonst auch eher eine Alibi-Gewerkschaft, zusammengetan, um ein Referendum zu initiieren, das die Sonntagsschließung kippen soll. Es ist nun also Aufgabe der Nationalen Wahlkommission, aus "formalen Gründen" oder mit anderen Kniffen, ein solches zu verhindern.

red.

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