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(c) Pester Lloyd / 15 - 2015   WIRTSCHAFT    09.04.2015

 

Wie geschmiert: "Handgeld" für Ärzte in Ungarn wird legalisiert

Die ungarische Regierung hatte schon mehrfach angekündigt, sich des berüchtigten Handgeldes, des hálapénz für Ärzte und Pflegepersonal anzunehmen und eine rechtliche Regelung für dieses Schmiergeld zu finden. Diese soll den Anschein von Gesetzlichkeit tragen, aber den Geldfluss aufrecht erhalten. Der Bürger muss zahlen, was der Staat sich nicht leisten will.

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Zwar gab es vor zwei Jahren eine sprübare und längst überfällige Anhebung der Saläre für medizinisches Personal, doch genügten diese - je nach Qualifikations- und Fachgruppe - durchschnittlich 10-25% immer noch nicht, um von einem Einkommen zu sprechen, von dem man wirklich leben kann, geschweige denn einem, das Qualifikation und Verantwortung angemessen wäre.

Das Handgeld, sozusagen eine indirekte zweite Gesundheitsabgabe der Bevölkerung musste also bleiben, um die ohnehin schon massenweise ins westliche Ausland abwandernden Mediziner am Ende nicht mit weniger Geld dastehen zu lassen.

Beim jetzigen Gesetzesvorschlag steht nur so viel fest: für die Patienten ändert sich praktisch nichts, nur der Zeitpunkt der Geldübergabe wird von vor bzw. während einer Behandlung auf danach verlegt. Dann nämlich ist das Handgeld als "Dank" für "Kundenzufriedenheit" legal, eine frühere Übergabe macht es zur "Straftat" ekrlärt ein Staatssekretär für den Öffentlichen Dienst in einer Aussendung.

Außerdem dürfen Ärzte oder sonstiges medizinisches Personal die Art oder den Zeitpunkt einer Behandlung nicht von Zusagen über Zahlungen abhängig machen, schob er nach, wobei auf der Hand liegt, dass die durch dieses Schmiergeld geschaffene Mehrklassenversorgung nun schlicht legalisiert wird. Denn Absprachen zu Summen und daran geknüpfte Bedingungen und Erwartungen effektiv zu kontrollieren ist ein Ding der Unmöglichkeit, selbst in einem angehenden Überwachsungsstaat.

 

Der Entwurf, der vorerst nur auf der Webseite des Ministeriums für Justiz und öffentliche Verwaltung aufschien, obwohl eigentlich das Ministerium für Nationale Ressourcen für den Gesundheitssektor zuständig ist, wurde noch nicht vom Kabinett beraten oder durchgewunken.

Der Gesetzesvorschlag ist dabei auf so vielen Ebenen rechts- und verfassungswidrig, dass man schon ein Brecheisen braucht, um Justitia damit bewußtlos zu prügeln. Gut, das wäre nicht das erste Mal in den vergangenen Jahren, erinnern wir uns nur an die kürzliche
Aufhebung des Interessenskonfliktes für Amtsträger und damit der Quasi-Legalisierung von Korruption und Amtsmissbrauch.

Was aber bei den Ärzten hinzu kommt: legalisiert man das Einkommen, müsste es im Sinne der Gleichbehandlung steuerpflichtig werden, was Klagen von "Neidern" zeitigen kann, bis hinauf zu den EU-Gerichten.

Noch
Ende des Vorjahres galt die Ansage, dass ab kommenden Jahr alle Geldannahmen, außerhalb der Kassenleistungen und rein privatärztlicher Behandlungen verboten sein würden. Doch der verkündende Staatssekretär wurde offenbar von den Zunftherren zurückgepfiffen.

Dabei kann sich die Lobby sogar auf die Patienten verlassen, denn ein Großteil von ihnen gab, in einer anonymen Umfrage an (siehe Link oben), das Handgeld "freiwillig zu zahlen" - dass diese Freiweilligkeit nackter Angst vor schlechterer Behandlung entspringt, lässt man dabei freilich unter den Tisch fallen.

Doch es gibt auch andere Töne, sogar von Ärzten: Tamás Dénes, Chef der Vereinigung Junger Ärzte, hält "die Legalisierung und Beibehaltung dieser Soft-Korruption" für kontraproduktiv. Das "tief verwurzelte System" sei mit ein Grund für die Frustration und Verunsicherung vieler Ärzte, die - neben den geringen Einkommen und schlechten Arbeitsbedingungen - Gründe seien, weshalb der Mediziner-Exodus aus Ungarn ungebremst anhalte. Es führe für die Regierung letztlich kein Weg daran vorbei, "Mitarbeiter des Gesundheitswesens angemessen zu bezahlen". Doch die Prioritäten dieser Regierung liegen beim Geldausgeben bekanntlich anderswo.

In Gesprächen unter vier Augen gibt es viele Ärzte, die sich regelrecht für das System schämen. Denn es ist nicht nur eine asoziale Selektion der Patienten, sondern auch eine Entwürdigung der Ärzte.

Das statistische Zentralamt KSH beziffert die im letzten Jahr von Patienten oder deren Angehörigen gezahlten Handgelder mit 8,3 Mrd. Forint, also ca. 25 Mio. EUR, eine Verdreifachung binnen 10 Jahren. Allerdings dürfen an der Erhebungsgenauigkeit Zweifel angebracht sein.

Das Handgeld für Ärzte oder Pflegepersonal dient den Patienten vor allem der Beschleunigung der Behandlung, OP-Termine oder die Reihung in bestimmte Therapiemaßnahmen, selbst bestimmte Untersuchungswünsche, z.B. an speziellen Apparaturen, gehen fast immer mit Zahlungen einher, aber auch das Trinkgeld für die Schwestern für einen besseren Schlafplatz oder ein "Dank" für eine erfolgreiche Operation gehören zum Standard. Von Klinik zu Klinik unterscheiden sich lediglich die Tarife und die Dreistigkeit des Personals, mit der diese eingehoben werden.

 

Die meisten zuvor in kommunaler Verwaltung stehenden Krankenhäuser des Landes sind mittlerweile verstaatlicht worden, Regierungskommissare übernahmen das Regiment. Eine wirkliche Gesundheitsreform fand bisher, entgegen großspurigen Ankündigungen nicht statt. Im Gegenteil, die klammen Kassen müssen quartalweise mit Notspritzen aus dem Staatshaushalt aufgebessert werden, um die Zahlungsunfähigkeit vieler Krankenhäuser abzuwenden, die manchmal Medikamente nur noch gegen Bargeld erhalten. Auf der anderen Seite bemühen sich einschlägige Kreise um lukrative Service-Ausschreibungen, u.a. für die Kantinen, die Wäschereien, die Zulieferung, die Security-Aufträge, ein Großhandeslmonopol für Medikamente, bei dem nur einige wenige, "staatlich lizensierte" Lieferanten zum Zuge kommen, stellt den nächsten Coup dar.

Für Aufsehen sorgte kürzlich die Ankündigung, massiv bei Ärztestellen und Zuschüssen für Krankenhäuser sparen zu wollen, bzw. zu müssen, dafür aber ein gigantisches Zentralkrankenhaus in Budapest zu errichten.

red. / cs.sz.


Mehr zum Zustand des ungarischen Gesundheitswesens:

Multiples Versagen: Notspritzen für chronisch unterfinanziertes Gesundheitswesen
http://www.pesterlloyd.net/html/1404notspritzegesundheitswesen.html

"Können ihm nicht helfen...": Krankenhaus in Ungarn lässt Obdachlosen vor dem Eingang sterben 
http://www.pesterlloyd.net/html/1512obdachlosertot.html

30.- bis 120.- EUR mehr Lohn für Mitarbeiter im Gesundheitswesen
http://www.pesterlloyd.net/html/1320lohnerhoehunggesundheit.html

Wo es wirklich wehtut...
Ärztepräsident fordert grundsätzliches Umdenken bei Gesundheitspolitik
http://www.pesterlloyd.net/html/1420egermokinterview.html

"Gesundheitsreform": Neues Mega-Krankenhaus für Budapest, Schließungen und Entlassungen auf dem Lande
http://www.pesterlloyd.net/html/1507megakrankenhaus.html

 

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