Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

andrassy2015neu2

 

(c) Pester Lloyd / 19 - 2015   POLITIK    02.05.2015

 

Niemand hat die Absicht...: Orbáns Kanzler zu aktuellen Fragen der ungarischen Politik

Lebenslang ist den Bürgern nicht genug... - "Nur meine Meinung": Lázár für Todesstrafe - Tausende Tonnen Giftmüll mitten in Budapest - Alibi-Anhörungen zum AKW-Ausbau in Paks - Flüchtlingshetze ist gerechtfertigt - Nationale Tabakläden dürfen Schilder abnehmen - Orbáns Phantomberater "ist kein Kollege" - Gesperrte EU-Gelder: Mehr "Disziplin" bei Ausschreibungen - Schicksal von NAV-Chefin ungewiss

18lazarPK (Andere)
Kanzleratmsminister Lázár, Orbáns rechte Hand, hat auf der neu eingeführten, wöchentlichen Regierungspressekonferenz am Donnerstag zu aktuellen Aufregern und Themen Stellung genommen. Bitte nutzen sie zur vertieften Information die im Text markierten Links.

Lebenslang ist den Bürgern nicht genug...

Lázár, genauso wie zuvor Regierungssprecher Kovács, behaupten, dass es in Ungarn zum Thema der Wiedereinführung der Todesstrafe eine "Debatte in der ungarischen Gesellschaft" gäbe. Allerdings war - außerhalb der Forderungen der Neonazi-Partei Jobbik - von einer Debatte keine Spur,
Orbán allein stieß das Thema auf die Tagesordnung, offenbar um damit von dem skandalösen Plan für ein Atommüllager nahe Pécs abzulenken und zugleich an Jobbik verloren gegangene Sympathiewerte zurück zu gewinnen.

 

Lázár berichtete, dass Orbán und EP-Präsident Schulz sich am Telefon ausgetauscht hätten, wobei der Premier sinngemäß gesagt hätte, dass "niemand in Ungarn die Absicht habe, die Todesstrafe wieder einzuführen" und Schulz sich darauf verlassen könne, dass Ungarn die Grundwerte der Gemeinschaft zu beachten. Anschließend informierte sich der Premier bei den EVP-Spitzen Daul und Weber über die Stimmung in Brüssel, schließlich forderten immer mehr Politiker den Ausschluss des Fidesz aus der "Volks"parteien-Familie. Diese hält jedoch weiter stramm zu ihrem östlichen Vorreiter, die kritischen Worthülsen eines Othmar Karas oder Elmar Brok in den Medien sind nur Besänftigungen für die öffentliche Meinung.

"Nur meine Meinung": Lázár für Todesstrafe

Eine Debatte sei kein Plan für eine Einführung lavierte Lázár, man müsse aber die Sorgen der Menschen ernst nehmen, die nach dem "brutalen Mord", der an einer Trafikantin in Kaposvár verübt wurde, glauben, dass das bereits verschärfte ungarische Strafrecht nicht adäquat sei. Offenbar so Lázár, sei die "echte lebenslange Strafe, ohne Aussicht auf jemalige Freilassung nicht abschreckend genug." Im Falle "brutaler Verbrechen, besonders, wenn sie gegen Kinder, ältere Menschen oder andere wehrlose Individuen verübt werden", gibt es "in der Gesellschaft den Drang nach härterer Bestrafung". "Darüber ist zu sprechen", denn wenn, so ergänzte Regierungssprecher Kovács, "die Politik nicht auf die Menschen hört, verliert sie den Bezug zur Realität". Ein Satz, den man sich angesichts der vergangenen Jahre mehrmals auf der Zunge zergehen lassen darf...

Ungarn bekenne sich zu den Werten der EU, diese muss aber, als "Verteidiger der Demokratie Debatten über die Sorgen der Menschen, auch über Todesängste" zulassen. Er sei "persönlich für die Todesstrafe", aber das "ist nur eine Meinung von acht Millionen", sagte Lázár, der gemeinhin als potentieller Nachfolger Orbáns, sein Medwedew gehandelt wird, vor allem dann, wenn dieser - vermutlich in 2-3 Jahren ein
Präsidialsystem nach russischem Vorbild umsetzt.. Er habe jedoch "noch nie gehört, dass der Premier auch für die Einführung" sei. Am kommenden Mittwoch werde das Kabinett jedenfalls über die praktische Anwendung der Verschärfungen des Strafrechts beraten, die Debatte also am Köcheln halten.

Tausende Tonnen Giftmüll mitten in Budapest

Ein weiteres aktuelles Thema ist ein Industrieareal im 9. Budapester Bezirk, in der Illatos Straße, auf dem mehrere Tausend Tonnen Giftmüll illegal gelagert werden. Dabei handelt es sich um ein ehemaliges Chemiewerk, das 2011, in Liquidation befindlich, an einen Geschäftsmann privatisiert wurde. Dieser begann mit dem Abriss, meldete zwischenzeitlich Bankrott an und ist jetzt flüchtig. Er hinterließ mindestens 3.000 Tonnen asbesthaltigen Müll, in dem sich auch Schweröl- und Schwermetallabfälle, Cyanide und andere toxische Stoffe befinden. Zwar hatte er bereits mehrfach Auflagen und Strafen der Umweltbehörden erhalten, hielt sich jedoch nicht daran.

Nun, nachdem Bürgerinitiativen lautstark auf das Problem aufmerksam machten, orderte Lázár eine "umgehende Vor-Ort-Insepktion" an und die amtliche Entsorgung zur Spezialdeponie Dorog. Für die Kosten von rund 5 Mio. EUR gehe das Wirtschaftsministerium in Vorlage, man wolle sich das Geld aber bei der Pleitefirma wiederholen. Über das behördliche Versagen seit 2011 verlor Lázár kein Wort. Vermutlich am Montag werden wir dann erfahren, inwiefern auch an diesem Skandal wieder die "Sozialisten" Schuld tragen.

Alibi-Anhörungen zum AKW-Ausbau in Paks

Am 7. Mai wird es die erste öffentliche Anhörung zum
AKW-Ausbau in Paks geben, allerdings lediglich im Rahmen der vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsstudien, der Ausbau selbst ist längst beschlossen. Laut Lázár hätten ihm Dutzende Kommunen der betroffenen Region bereits ihre "volle Unterstützung" für das ökonomisch, politisch und ökologisch umstrittene 12,5 Mrd.-EUR-Projekt signalisiert. Eine neue Brücke über die Donau bei Paks, die den Anwohnern "die Umgehung des AKW ermöglichen" soll, soll den unmittelbar Betroffenen die Sache versüßen. Auch die Versteilung von Klimaanlagen wäre ein Tipp, immerhin soll sich die Durchschnittstemperatur um das neue AKW um 2,5 Grad erhöhen...

Mit einer Road-Show durch die Nachbarländer wollen die ungarischen Behörden die EU-Anforderugen zur Partizipation der Nachbarstaaten erfüllen, erster Auftritt wird in Kiew sein, die Ukrainer können ja mehrere Lieder von den Wohltaten der Kernkraft singen.

Flüchtlingshetze ist gerechtfertigt

Lázár verteidigte die
"Nationale Konsultation" zur Flüchtlingsthematik als "notwendig", weil sie das Alltagsleben der Menschen betreffe. Zu den internationalen Vorwürfen, der Regierungsfragebogen sei rassistisch angelegt, würde Flüchtlinge unter pauschalen Terrorverdachte stellen und sei manipulativ, äußerte er sich nicht. Die schieren Zahlen rechtfertigten die Befragung, Lázár wiederholte hier die einschlägigen Äußerungen Orbáns, Anfang Mai begännen dann "Konsultationen" (zu Gestzesänderungen).

Nationale Tabakläden dürfen Schilder abnehmen

Mit Bezugnahme auf den Trafikanten-Mord von Kaposvár gestattete der Kanzler den Betreibern der "Nationalen Tabakläden" (das sind fast ausschließlich
Fidesz-Kader oder deren Verwandschaft), die sie als solche kennzeichnenden Folien (die auch die Sicht von außen in das Geschäft verhindern) abnehmen zu dürfen "ohne Konsequenzen befürchten zu müssen", wenn das ihrem "Sicherheitsgefühl" hilft. Der Innenminister sei zudem beauftragt, ein Sicherheitssystem einzuführen, dass alle jene in solchen Shops, aber auch andere Angestellte, die nachts arbeiten müssen, besser schützt.

Orbáns Phantomberater "ist kein Kollege"

Wieder wurde seitens Medienvertretern nach dem Status des - laut Wikipedia-Eintrag - "strategischen Chefberaters für Kommunikationsfragen", Árpád Habony, gefragt. Lázár sagte, dass der Mann "kein Kollege sei", er habe keine offizielle vertragliche Verbindung zur Regierung oder zum Premier, keinen Diplomatenpass und habe daher auch kein "nationales Sicherheitsscreening nach Type C" durchlaufen. Warum Habony jedoch unbeschränkten Zutritt zum Parlament, einschließlich des Flügels habe, in dem das Amt des Minsiterpräsidenten untergebracht ist und welche Verbindungen es zwischen der Politik (
öffentliche Gelder für parteinahe Medien) und Habonys "Modern Média Group" MMG gäbe und wie in diesem Zusammenhang Orbáns gestriger Aufruf zu verstehen sei, dass "die Rechte eine neue Mediengruppe" brauche, all das ließ Lázár unbeantwortet.

Gesperrte EU-Gelder: Mehr "Disziplin" bei Ausschreibungen

Weitere Ankündigungen des Kanzlers betrafen u.a. ein neues Ausschreibungsrecht ("es wird dort mehr Disziplin geben", Quote für ungarische Unternehmen von mindestens 40% = Fidesz-Günstlinge). Dies ist eine Forderung der EU im Zusammenhang mit den
jüngst gesperrten Geldern. Die Ankündigung Lázárs geht jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung, was man schon an an der Ankündigung erkennen kann, dass die neuen Gesetze "in jedem einzelnen Punkt vollständig mit EU-Regeln übereinstimmen werden." Aus dem Neusprech der Orbán-Regierung übersetzt heißt das nichts weniger als: Wir planen mal wieder eine große Gaunerei, die EU braucht sich aber nicht einbilden, etwas dagegen unternehmen zu können, denn wir werden formal alles so anpassen, dass wir unangreifbar sind. - Wäre dem nicht so, hätte man die Konformität mit EU-Regeln nämlich nicht extra betonen müssen, schließlich ist diese ohnehin verbindlich.

Weitere kommende Maßnahmen sollen den Abbau von Bürokratie und den damit in Verbindung stehenden Kosten für Unternehmen betreffen (darüber redet man schon seit 2010). Zwischen den Zeilen war zu hören, dass es hier eher um Erleichterungen für Bauträger und Architekten geht, offenbar gibt es bei der Klientel Beschwerden beim Ausbau "überdachter Sportanlagen" und privater Eigenheime mit den üblichen Barocktürmchen der Geldproleten.

 

Ungarn soll außerdem eines der "Top-Länder" in Bezug auf medizinische Fachausbildungen werden, wobei der Uniklinik in Pécs dabei eine zentrale Rolle zufallen soll, - die Semmelweis wurde nicht genannt. Nachfragen zu den konzertierten Streichungen im Hochschulwesen und den dazugehörigen Protesten wurden nicht zugelassen.

Schicksal von NAV-Chefin ungewiss

Auch eine Nachfrage zum Schicksal der mit
massiven Korruptionsvorwürfen belasteten Chefin der Steuer- und Zollbehörde NAV, Ildikó Vida, wurde unterdrückt. Es gibt Gerüchte, dass sie zum Sommer gegangen werden wird, jedoch nicht, weil sie durch bevorzugte Behandlung von Unternehmen über die Jahre mindestens 3.800 Milliarden Forint (12,5 Mrd. EUR) Steuern "vergessen" hat, einzuziehen, wie sogar (oder gerade eben drum) der Fidesz-geführte Rechnungshof jetzt konstatierte, sondern, weil sie als Vertraute von Oligarch Simicska gilt, jenem Ex-Vertrauten und Fidesz-Finanzier, mit dem der Premier seit einigen Monaten einen Machtkampf ausficht.

red.

 

Unabhängiger Journalismus braucht
die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!
18watchingYoupl (Andere)
Unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!