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(c) Pester Lloyd / 19 - 2015   POLITIK    07.05.2015

 

25 Jahre freie Wahlen: Orbáns Traum vom "bürgerlichen Ungarn"

Bei einer Feierstunde, die an den Zusammentritt des ersten frei gewählten Parlamentes nach der Wende 1990 erinnern sollte, entfaltete Premier Orbán seinen "lang gehegten Traum" eines "bürgerlichen Ungarns". Dessen "Vollendung", zu der er von der Heimat berufen wurde, sollen die Anstrengungen der Regierung in den kommenden drei Jahren gewidmet sein. Für Demokraten klingt das wie eine finale Drohung.

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Die feierliche Konferenz im Parlament - nur für geladene Gäste, so blieben die Gesinnungsgenossen unter sich - war vom staatlichen Geschichtsinstitut VERITAS inszeniert worden, jenes Institut, dessen Direktor die Deportationen von ungarischen Juden unter Horthy in von den Nazis besetzte Nachbarländer und damit in den sicheren Tod als "fremdenpolizeiliche Maßnahme" deklarierte. Die Neudfinition, Interpretation und die gebügelte Sprachregelung, eine Spezialität von Diktaturen, ist die vornehmliche Aufgabe dieses Institutes und zog sich auch durch diese Veranstaltung.

 

"Bürgerliches Ungarn" ist nämlich nicht mehr als Orbáns aktueller Code für das, was er auch schon als "neues Ungarn" oder "illiberale Demokratie" umschrieb und was seine Politik tagtäglich deutlicher vorlebt: ein von einer kleinen Parteielite geführter Ständestaat, bei dem eine völkisch lackierte Zielstellung Regierungsformen und Entrechtungen rechtfertigen sollen, die wiederum die ökonomischen Beutezüge der "Eliten" ermöglichen. Den Preis für dieses System zahlt die "untere" Hälfte des Volkes mit Verarmung und Perspektivlosigkeit, die in entsprechende Stellvertreterfeindbilder zu kanalisieren sind, also EU, "Finanzmarkt" (lies: Juden), Flüchtlinge, Liberale usw.

Unter dieser Definition des "bürgerlichen Ungarn" ist auch Orbáns weitere Ausführung vom Mittwoch verständlicher, dass nämlich "die Regierung jetzt die Autorität und die Stärke hat, das Programm für ein bürgerliches Ungarn umzusetzen." - Lies: die demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrolinstanzen gleichgeschaltet oder außer Betrieb genommen hat, um machen zu können was man will. Andernfalls könnte man nämlich auch von Qualität und Rückhalt anstelle "Autorität und Stärke" sprechen, doch daran mangelt es eben.

Es "brauchte zwanzig Jahre der Kämpfe, eine siegreiche Verfassungsreform und fünf Jahre Anstrengungen, die Ruinen zu beseitigen und neue Fundamente zu legen." Es ging also, so offenbart der Redner, von Beginn an nicht um Reperatur von Fehlentwicklungen in der jungen ungarischen Demokratie, sondern um ein gänzlich anderes System.

Orbán bestätigte in einer Rückschau auf die Jahre ab 1990, dass die Enttäuschung der Menschen, sich 20 Jahre nach der Wende als Verlierer zu fühlen, das Versagen der politischen Eliten, die Ungerechtigkeiten eines wild wuchernden Kapitalismus etc., den Weg für die neue Ideologie von Ungarns neuer Stärke und Unabhängigkeit frei gemacht haben. 2006 sei mit Gyurcsánys Lügenrede die Wende eingeleitet worden, die Finanzkrise 2008 habe dann ihr Übriges getan, (um ihn endlich und nun bitte endgültig an die Macht zurück zu bringen).

Orbán behauptet, dass die "Ungarn 2010, wenn auch mit einer Verzögerung von zwanzig Jahren, entschieden haben, eine Revolution durchzuführen". Eine Revolution, die ihm die Macht gab "all das zu tun, was die Heimat forderte." Er habe dann bewiesen, dass man "in nationaler Einheit" Dinge erreichen kann, die "vorher unmöglich erschienen". Er nannte: die "Befreiung der Familien, die Aktivierung der Wirtschaft", die "Besteuerung der Multis", die Abschaffung der "Schuldensklaverei für Kommunen und Forex-Kreditnehmer", "den IWF nach Hause schicken..." etc. etc.

Orbán kündigte, nein drohte an, dass diese "Konsolidierung zu einem bürgerlichen Ungarn - wenn auch in anderer Weise - eine Aufgabe von keiner geringeren Größe als der Wandel vom Kommunismus und das Geleiten durch die Verfassungsrevolution 2010 sein wird." Dieser Satz muss für Demokraten - angesichts der vergangenen fünf Jahre - wie eine direkte Drohung klingen, wie eine finale Fanfare zur letzten Schlacht.

Für Orbáns Parlamentspräsident, László Kövér, war die "postkommunistische Transformation" der "einzige Wendepunkt im 20. Jahrhundert", der Ungarn "keine Verluste oder Ketten", sondern "wenigstens die teilweise Wiederherstellung der Freiheit und Unabhängigkeit" einbrachte. Der 2. Mai 1990 markiere daher den Übergang "von der Dikatur zur Demokratie, vom Kommunismus zum Rechtsstaat und von der Volksrepublik zur Republik."

 

Kövér führte jedoch weiter aus, dass die Erwartungen der Menschen in die neue Epoche überzogen gewesen seien, vor allem was das Wohlstandsgefälle zum Westen betrifft. In der Rede des Parlamentspräsidenten, der eigentlich ein erklärter Gegner des Parlamentarismus ist, schwang unterschwellig aber gut hörbar mit, dass die Enttäuschungen der vergangenen Dekaden (das Volk war überfordert sich selbst zu verwalten) das jetzige System mit dem Quasi-Führer-Prinzip rechtfertigten.

Orbán selbst sagte bereits mehrfach, dass Krisen und "bestimmte Situationen", auch "andere Gesellschaftsformen als die der Demokratie nötig machen" könnten. Kövér wiederum besteht darauf, dass es "nicht nur eine Art der Demokratie" gebe und so kann man das "bürgerliche Ungarn" getrost als Gegenentwurf zu einem "demokratischen Ungarn" erklären.

Orbáns letzter Satz, ein ungewolltes Psychogramm: "Wir schützen Familien, geben Arbeit statt Beihilfen und stehen für ungarische Interessen in Brüssel ein - und so haben wir unsere nationale Souveränität wiedergewonnen. Wir fochten einen guten Kampf und wir genießen den Sieg - das war Männerarbeit! Wir danken den Frauen für ihre Unterstützung dabei."

red.

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