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(c) Pester Lloyd / 21 - 2015   POLITIK    19.05.2015

 

EU-Kommission droht Ungarn mit Sanktionen und Rausschmiss:
Na und? Orbán verteidigt Flüchtlingshetze und Debatte über Todesstrafe

Ungarns Premier Orbán hat sich mit seiner Position zur Todesstrafe und der Hetze gegen Flüchtlinge wieder einmal zum Tagesordnungspunkt einer Debatte im EU-Parlament qualifiziert. Er lud sich selbst als "Verteidiger" nach Straßburg ein, ihm wurde mit Sanktionen und Artikel 7 gedroht, was dem in der Opferrolle geübten Premier noch in die Hände spielte. Die EVP kritisierte auch - ein bisschen.

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Fotos: Offizielle Facebook-Seite Orbáns, also (c) Amt des Ministerpräsidenten

Gerade machten Meldungen über die von der Regierung betriebene Schließung eines Flüchtlingslagers in Debrecen die Runde, die dazu führt, dass die Aufnahmekapzitäten des Landes, die ohnehin zu 90% von der EU finanziert werden, weiter verringert werden. Begleitet werden solche Maßnahmen von fast täglichen Äußerungen über die "Gefahr", die von den Einwanderern ausgeht, vor allem die Gleichsetzung Flüchtlinge = Schmarotzer = Kriminelle = Terroristen ist gängiger Regierungssprech, in Variationen. Seit der ersten Erregung in Europa darüber, wurde die Debatte in Ungarn eher noch verschärft. Stellvertreterkriege sind lohnende Kriege.

"Europa den Europäern!" lautete denn auch der Kernsatz von Orbáns Verteidungsplädoyer, man nehme sich in Ungarn selbstverständlich heraus, selbst zu entscheiden, worüber man debattiere. In der üblichen Anmaßung für alle Ungarn zu sprechen, fuhr er fort: "Wir Ungarn wollen ein Europa der Europäer und darin ein Ungarn der Ungarn bewahren."

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Sein Land brauche keine Einwanderer und könne sie auch nicht unterbringen, die von der EU angedachte Aufnahmequote sei "absurd" (in Ungarn sagt er: "verrückt"). Die Länder sollten selbst entscheiden, wie sie mit Flüchtlingen, Einwanderung und Grenzschutz umgehen. Die Quotenregelung wie überhaupt die europäische Politik "fordere Flüchtlinge geradezu auf, nach Europa zu kommen". Er gehe in Ungarn den Weg, dass er "das Volk befrage", wie sie mit der Frage umgehen soll. "Wenn Sie (gewandt ans Auditorium) uns vorschreiben wollen, worüber wie in Ungarn diskutieren dürfen, handeln Sie gegen die Gründungsverträge der Europäischen Union."

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Foto: EU-Kommission

Diese Ansage richtete sich als Reoturkutsche vor allem auch an den Vizepräsidenten der EU-Kommission, den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans (Foto), der für den Fall einer Wiedereinführung der Todesstrafe in Ungarn die Einsetzung eines „weitreichenden Sanktionsmechanismus“ angedroht hatte, denn dies wäre ein eindeutiger und schwerer Verstoß gegen die Grundwerte der EU.

 

Timmermans stellte klar, dass die Grundrechtscharta der EU explizit verbiete, dass eine Person in Europa zum Tode verurteilt oder hingerichtet werde. Die Abschaffung der Todesstrafe sei eine „Grundvoraussetzung für einen Staat, um Mitglied der EU zu werden“. Bei einer Wiedereinführung würde dies Artikel 7 des EU-Vertrags aktivieren (Ausschlussverfahren).

Die „Kommission ist bereit, unmittelbar alle verfügbaren Mittel einzusetzen, dass Ungarn und andere Mitgliedsstaaten die Verpflichtungen nach Unionsrecht und die Werte der EU einhalten. Wir werden keine Sekunde zögern.“ so Timmermans, der Orbán auch etwas für seine "Volksbefragung" über "Migration und Terrorismus" mitzugeben hatte: „Wenn Migranten als Bedrohung für Leben und Arbeit der Menschen gesehen werden, ist das einfach falsch. Das würde nur zu falschen Vorstellungen und Vorurteilen führen“. Eine pluralistische Gesellschaft sei notwendig, doch „wir brauchen politische Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, die EU-Politik den Bürgern offen und fair und ausgewogen zu erklären.“

Orbán antwortete, dass Ungarn festgestellt habe, dass der EU-Rechtsrahmen für das Handling der Flüchtlingsprobleamtik "nicht funktioniert", daher werde man Änderungen auf eigene Faust umsetzen und sich "von der EU zu nichts zwingen lassen".

Im Laufe der Debatte wurde Orbán vorgehalten, ohnehin antidemokratisch eingestellt zu sein, was man auch an seinen Äußerungen zur "illiberalen Gesellschaft" und dem Lob totalitärer Regime als "effizient" erkenne. Orbán begegnete diesen Vorwürfen auf europäischer Ebene bisher meist mit Lippenbekenntnissen zur EU und der Demokratie. Diesmal nicht: er sagte unumwunden, dass die "liberalen Prinzipien in Wirtschaft und gesellschaftlicher Organisation versagt und die Krise verursacht" hätten.

Martin Schulz, Präsident des EP wollte Orbán, der Gott und das Christentum als Säulen der ungarischen Gesellschaft in die Verfassung schrieben ließ, katechistisch beikommen. Es gäbe da nämlich ein Gebot, ein göttliches Gebot, das besagt, "Du sollst nicht töten" (Nr. 5, wer sich nicht sicher ist). Sinngemäß: Orbán mache sich selbst zu Gott, wenn er meint, er könne dies außer Kraft setzen, Menschen hätten schließlich die Eigenschaft sich zu irren, aber auch, sich ändern zu können, was eindeutig gegen die Todesstrafe spricht.

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Der Chef der Fraktion der Liberalen, der Belgier Guy Verhofstadt, ergänzte die kritischen Anmerkungen seiner Kollegen noch um die "putinfreundliche Außenpolitik" und erinnerte Orbán bei seinen "provokanten Äußerungen" zu Flüchtlingen an die große Hilfs- und Aufnahmebereitschaft, die den Ungarn 1956 entgegen gebracht wurde.

Die ungarischen Oppositionellen im europäischen Parlament, Sozialisten wie Grün-Liberale zogen ebenfalls einige Register, so sprach István Újheyli von der gerade abgehaltenen Befragung zur Flüchtlingsthematik, sie sei im Duktus eines gewissen Goebbels verfasst. Benedek Jávor wiederum erläuterte, dass sich Orbán mit seinen Positionen immer mehr der neonazistischen Jobbik annähere.

Eine Fidesz-Abgeordnete verteidigte die Befragung, sie würde "unbeschönigt die Sorgen der Menschen wiedergeben", Manfred Weber, Fraktionschef der Fidesz-CDU-Parteienfamilie EVP, die Orbán seit Jahren in Brüssel den Rücken frei und die überlebenswichtigen Gelder am Fließen hält, befand, dass "das Befragen der Bürger an sich eine gute Sache sei", allerdings hält er "die Wortwahl für inakzeptabel".

 

Der CSU-Mann befindet, dass die Abschaffung der Todesstrafe in Europa eine "zivilisatorische Errungenschaft" sei und daher verteidigt werden müsse. Weber konnte es nicht lassen, Ungarn in dieser Debatte als "Vorreiter" des Wirtschaftswachstums in Europa zu loben, was von der völligen Ignoranz gegenüber den Lebensrealitäten in Ungarn zeugt, aber nahe legt, dass die EVP dieses "Erfolgsmodell" weiter unterstützen wird. (Wir empfehlen dringendst ein kleines Studium unserer Wirtschaftsseiten!)

Viel wichtiger ist es der die Institutionen dominierenden EVP im Moment offensichtlich, Europa “das Scheitern” einer linken Regierung (Griechenland) vorzuführen, um jeden Gedanken an eine Alternative zu dem bestehenden System im Keim zu ersticken. Dass Ungarn in der Zwischenzeit zu einem antidemokratischen Mafiastaat verkommen ist und - neben dem nominalen, fremdfinanzierten BIP-Wachstum - auch die Armuts- und Kinderhungerstatistiken anführt, diese Details kann man für “die Sache” des “Konservativismus” schon einmal hinnehmen und opfern. Nicht wahr?

UPDATE, 20.05.:

Die Delegationsleiterin der österreichischen Grünen, Ulrike Lunacek, fasst zusammen: "Und schon wieder Viktor Orbán im Europaparlament - und schon wieder schließt die EVP die Reihen, und schon wieder wird versucht diese Debatte als eine Links-Rechts-Auseinandersetzung zu bagatellisieren, und schon wieder legitimiert Orbán seine verhetzende Politik mit dem Recht auf Meinungs- und Gedankenfreiheit, und leider wieder wird Orbán in Ungarn mit seiner Brandstifter-Politik durchkommen - und das ist der eigentliche Skandal und macht deutlich, dass die EU endlich ein effektives Instrumentarium braucht, um die Einhaltung der Grundwerte zu überwachen und deren Missachtung sanktionieren zu können."

"Die Grüne-Fraktion hat sich dafür eingesetzt, eine starke Resolution zu verabschieden, um die Position des Parlaments zu untermauern. Diese Resolution wurde aber auf Druck der anderen Fraktionen auf die Juni-Plenarsitzung verschoben. Ich fordere jetzt die anderen Fraktionen und vor allem die EVP auf, hier nicht weiter als Bremsklotz zu agieren. Darüber hinaus muss der Fall Orbán endlich als Katalysator genützt werden, um die Selbstfesselung der Union bei der Bekämpfung dieser Verletzungen europäischer Grundwerte zu überwinden. Dazu braucht es einen neuen Ansatz. Das Artikel-7-Verfahren ist dafür zu langsam und zu schwerfällig..."

Der Vorschlag, einen Monitoring- und Sanktionsmechanismus bezüglich der EU-Grundwerte einzuführen ist nicht neu, er wurde von den Außenministern der Niederlande, Finnlands, Dänemarks und Deutschlands (damals noch Guido Westerwelle) 2013 vorgebracht, schlief aber wegen des EU-Wahlkampfes wieder ein. Siehe dazu unseren Beitrag:
Lex hungarica - Schutzmechanismus für Grundwerte: Ungarn als Katalysator der Demokratie in Europa
 

red. / m.s.

 

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